Kapitel 8
Das Radioteleskop-Signal
Gleich am nächsten Mittag, so gegen 12 Uhr bei den Hübners:
Wie wir wissen, hatten Stephan und seine
Tochter Sarah Besuch von Herrn Peter Lenz. Stephan und seine
Tochter hofften, durch einen sachkundigen Spezialisten das seltsame
Verschwinden von Katja Moser aufklären zu können. Und wir
wissen auch, dass Sarah dieses Phänomen mit der Videokamera
ihres Vaters live aufgenommen hatte. Doch schnell mussten die
beiden während des Besuches von Peter Lenz erkennen, dass jener
nur ein Geschäft roch, womit er sehr viel Geld
verdienen wollte. Ungeachtet dessen, was aus dieser armen Katja Moser
geworden ist.
Und genau diese Anti-Sympathie und die
eiskalte Reaktion dieses Herrn verlieh Stephan und Sarah die Kraft
und den Mut, ihn vorzeitig aber dennoch in höflicher Form aus
ihrem Hause zu verweisen.
Sarah befand sich gerade im Flur des Hauses.
Sie hatte sich soeben von Frau Hansen, ihrer Privatlehrerin, auf den
nächsten Tag verabschiedet und rollte mit ihrem Rollstuhl in
Richtung ihres Zimmers, als ihr Vater von seinem Arbeitszimmer die
Treppen herunter kam.
»Na, Kleines, seid ihr heute schon
fertig?«, vergewisserte sich ihr Vater so beiläufig.
»Klar, Papa, für heute ist alles
geschafft.«
»Aha, und ich dachte du hättest
heute ne Prüfung in Geschichte?«
»Aber Papa, die ist doch erst nächste
Woche.«, argumentierte Sarah triumphierend.
»Ja, wirklich? Na, ist ja ein Glück für dich.«
»Och, Papa, vor Geschichte hab ich keinen
Bammel, eher vor Mathe.«
Und dann kam wie schon so oft von ihrem Vater
ein Spruch, den Sarah über alles hasste, und deswegen immer mit
faselte.
»Wer fleißig lernt, der nichts verlernt.«
»Du hast ja Recht, Papa.«
»Klar hab ich das, in deinem Alter
erging es mir auch nicht anders.« Irgendwie bemerkte Stephan,
dass ein gewisser Unterton in Sarahs Antworten lag.
»Ist irgendetwas mit dir, Kleines?«
»Nein, was soll schon sein?«, kam
kleinlaut von ihr.
»Du weißt doch, dass du mit mir über
alles reden kannst, wenn dich etwas bedrückt, Sarah?«
Sarah neigte ihren Blick in Richtung Fußboden.
»Ach Papa, ich könnte mich selbst ohrfeigen.«
»Es ist wegen gestern, stimmt's?«
Sarah rollte mit ihren Augen.
»Ja, weißt du, ich hätte von Anfang
an auf dich hören sollen. Du hattest Recht, diese
geschäftstüchtigen Herrenmenschen sind doch nur auf eines
aus, Geld, Geld und nochmals Geld. Dabei gehen die über Leichen
und das ohne Rücksicht auf Verluste.«
Tja, Sarah, da magst du Recht behalten, aber
dennoch solltest du nicht alle über denselben Kamm scheren. Es
gibt durchaus noch ehrliche Geschäftsmänner, sie werden
zwar immer weniger, aber es gibt sie durchaus noch.«, sagte
Sarahs Vater.
»Na, wie auch immer! Ich bin nicht mehr
davon überzeugt, dass wir der Katja Moser auf irgendeine Weise
helfen können.«, sagte Sarah enttäuscht.
Insgeheim dachte Sarahs Vater genauso. Doch
er war nicht der Typ Mann, der gleich wenn etwas nicht auf Anhieb
klappte, die Flinte ins Korn warf.
Nach dem das Thema erschöpfend behandelt
worden war, schlug Stephan seiner Tochter eine Teepause vor, um
anschließend diese heikle Sache neu zu überdenken.
Da saßen nun die beiden an der
Wohnzimmer-Bar und tranken Tee. Beide beobachteten sich genau und
studierend, wer wohl die erste Idee von sich geben würde.
Sarahs Mundwinkel zuckten.
»Du, Papa, vielleicht sollten... Ach nein
das kann ja nicht funktionieren!«
»Was kann nicht funktionieren? Hast du
etwa eine Idee? Na, sag schon Sarah!«
Sarah hatte wahrlich eine Idee, doch diese in
die Realität umzusetzen glich einem ausgesprochenen Wunder.
»Papa, ich kann mich noch sehr gut daran
erinnern, dass du mir mal alle deine Hobbies aufzähltest, die
du in deinem Leben bisher hattest, stimmt's?«
» Ja, sicherlich, ich glaube, das war
letztes Jahr im Oktober. Sarah, ich verstehe nicht, was haben meine
Hobbies mit unserem Problem zu tun?«
Sarah atmete tief durch,
schloss die Augen und schien für einige nicht enden wollende
Sekunden über ihr Vorhaben nochmals nachzudenken.
»Warum antwortest du nicht?«,
drängte Stephan in seine Tochter.
»Das kann ich dir schon sagen. Aber du
musst mit versprechen, dass du mich nicht unterbrichst.«
»In Ordnung, ich verspreche es. Ehrenwort.«
»Gut, Papa.
Nach dem Besuch des Herrn Lenz war ich, wie du weißt, stocksauer. Und
ich dachte mir, das was ich auf dieser Kassette habe, war kein
Bluff seitens irgendwelcher Lausejungs, die nicht wussten, wohin mit
ihrem freien Tag. Auch dass irgendwo ein Kamerateam eine Szene für
einen Science Fiktion Film drehte, schloss ich aus. Denn
irgend wem wäre das doch aufgefallen. Es hätten
sich bestimmt einige Schaulustige an Ort und Stelle versammelt. Ich
war es, die dieses Phänomen aufzeichnete. Und ich war es, die
sich dieses Ereignis zum ersten mal auf deiner Kamera ansah. Immer
und immer wieder dachte ich nach. Bis mir dann etwas auffiel, was
meine Vermutungen bestätigte. Als wir diesen Peter Lenz unser
Phänomen vorführten, war es nicht so, dass seine Augen vor
Erstaunen leuchteten? Einen Blick, den ich so schnell nicht
wieder vergessen werde. Und war es denn nicht so, dass er uns erst
den gutmütigen und sorgenvollen Spezialisten für
rätselhafte Phänomene vorspielte. Und wie kommt es, als
er die Echtheit dieser Videoaufnahme erkannte, er sich plötzlich
in einen skrupellosen Geschäftemacher verwandelte, plötzlich
mit Heimtücke und List versuchte, uns diese Aufnahmen
abzuluchsen? Insgeheim fiel es mir schon auf, ja ich bin mir sogar
sicher, dass dieser Lenz Blut geleckt hatte. Genau wie du schon
gesagt hast. Er wusste ganz genau, was er da sah, und er wird
wiederkommen, Papa dessen bin ich mir sicher wie des Amens in der Kirche.«
»Und letzte Nacht, als ich mir
das Video immer und immer wieder ansah, kam ich zu dem
Ergebnis, dass die Katja von irgend einer Art entführt worden
sein muss und dass diese Art von A...«
Trotz seines Versprechens, seine Tochter nicht
zu unterbrechen, konnte Stephan sich nicht mehr beherrschen und ging
wörtlich dazwischen: »Von welcher Art, sprichst du denn
Sarah?«
»Papa, hörst du denn nicht zu?«
»Von welcher Art, habe ich dich
gefragt?«, wurde ihr Vater in seinen Worten rebellisch.
»Von einer Art, die außerirdischen
Ursprungs sein muss, Papa.«
Beide sahen sich nun tief und schweigend an.
In seinem Inneren fühlte und wusste Stephan, als er das Video
das erste Mal sah, dass seine Tochter nicht ganz so Unrecht zu
haben schien. Doch er verdrängte diesen Gedanken. Es war nicht
nur die Angst, für verrückt erklärt zu werden. Nein
es war vielmehr die Angst, in seinem tiefsten Inneren erkennen zu
müssen, dass der Mensch doch nicht das Maß aller Dinge
zu sein scheint, wie er bisher annahm. Den Gedanken akzeptieren zu
müssen, durch ihn und seine Tochter hinsichtlich dieses
Geschehens eine nicht wieder gut zu machende Veränderung
hervorzurufen und somit vielleicht auch eine Veränderung der
Menschheitsgeschichte zu verursachen, flößte ihm enorme
Angst ein.
»Sarah, weißt du denn, was du da
überhaupt von dir gibst? Und was hat denn das alles, verdammt
noch mal, mit meinen Hobbys zu tun?
»Papa, bitte rege dich nicht zu sehr
auf. Es ist mir klar, dass sich das alles ziemlich verrückt
anhören muss. Aber eine andere Erklärung passt sonst gar
nicht zu meinen Träumen und der Aufnahme. Sieh dir doch noch mal
die Aufnahme an, und dann sag mir, ob du eine andere Erklärung
als ich findest.«
Völlig aufgelöst und durcheinander
wartete Sarah auf eine Antwort von ihrem Vater der nun schwer atmend
und mit beiden Händen zusammengefaltet seinen Hinterkopf
festhielt und zugleich in ihrem Zimmer auf und ab ging.
»Nun gut, ich will dir mal glauben, aber
ich frage dich jetzt das allerletzte mal, Sarah, was hat all das
mit meinen Hobbys zu tun?«
Sarah machte eine kurze nachdenkliche Pause bis...»
Natürlich Papa, zu deinen Hobbys.: Sag mal, hast du eigentlich noch
deine Mini-Radiofunkteleskop-Station?
»Natürlich habe ich sie noch, und
was heißt hier Mini. Sie hat mir immerhin achtzehntausend gekostet.«
Tja, der eigentliche Grund, warum sich Sarah
nach dieser Anlage erkundigte, war der, dass sie die letzte Nacht
einen sehr regen Traum hatte. Sie sah sich auf dem Speicher des
Hauses durch die Dachluke gucken. Und sie sah sich mit ihren Augen
das Sternenfirmament abtasten. Und wie sie sich das langsam
drehende Zelt aus Milliarden von Gestirnen ansah, überfiel sie
ein Gefühl der Sehnsucht, ja, zu einem
Ort, den sie nicht einmal kannte. Na jedenfalls, am nächsten
Morgen dann sah sie sich das Video nochmals genauer an. Immer und
immer wieder bis es ihr wie Schuppen von den Augen fiel.
»Papa, du musst mir glauben, diese Katja
Moser ist von irgendeiner außerirdischen Art entführt
worden. Wie sonst kannst du dir erklären, dass ein Mädchen,
das friedlich auf einer Holzbank sitzt, sich einfach so mir nichts
dir nichts und das ohne irgendwelche Hilfsmittel in die Lüfte
erhebt und davonschwebt, frei wie ein Schmetterling. Ich meine,
ich erzähle dir doch keine aus den Fingern gezogene Geschichte,
um dich zu amüsieren. Du hast dir doch selbst das Video
angesehen, oder etwa nicht?«
Ihr Vater glaubte, langsam den Verstand verlieren zu müssen.
»Natürlich habe ich dieses Wunder
auf deiner Kassette gesehen, genau das ist es ja, was mir so Angst
macht. Sarah, wirklich, wir sollten sie vernichten und die ganze
Sache einfach vergessen. Ja, das wäre das Richtigste.«
Sarah konnte ihren Vater natürlich gut
verstehen, auch sie fühlte sich nicht besonders gut bei dieser
ganzen Sache. Auch sie hatte Angst vor dem, was vielleicht noch
kommen wird. Doch in einem war sie sich nun sicher, sie hatte eine
Möglichkeit gefunden, diesem Mädchen eventuell zu helfen.
Es war natürlich nur eine Chance, eine winzige Chance. Dennoch
wollte sie diese nicht ungenutzt vergehen lassen. Sie könnte
niemals mehr in den Spiegel sehen. Koste es was es wolle. Da, so
dachte sie, muss ich jetzt durch.
»Also, lass mich doch mal kurz Luft holen
und Nachdenken, okay?«
Sarah war aufgeregt wie noch nie in ihrem
Leben. Sie war so sehr aufgeregt, dass sie sogar zeitweise ihren
Rollstuhl vergaß, in dem sie gefesselt war.
» Gut, ist gut. Ich versuche, dir zu
helfen, aber so bald ich merke, dass die ganze Sache zu heiß
wird, ist sie gelaufen, dann ist endgültig Schluss und zwar mit
allem. Und das ist mein allerletztes Wort.«
»Du bist ne Wucht, Papa!
»Das wird sich noch herausstellen. Und
noch eines vorweg, was willst du mit meiner Radioteleskopanlange
machen?«
Katja holte abermals tief Luft.
»Genau das versuche ich dir ja die
ganze Zeit zu erklären. Erstens, nehmen wir mal an, dass ich
Recht behalte und die Katja Moser ist definitiv von Außerirdischen
entführt worden. Okay Papa?«
Er guckte seine Tochter an,
als wäre sie von einer außerirdischen Art.
»Gut kleines, nehmen wir das mal an.
Und was dann?«
»Moment, Papa, hab noch etwas Geduld. Zum zweiten, vielleicht können wir
davon ausgehen, dass diese Wesen die Katja Moser noch ganz in der
Nähe gefangen halten. Vielleicht im Orbit des Mondes.«,
mutmaßte Sarah.
»Oder vielleicht halten sich diese Wesen ja gar nicht mehr mit der Katja
im Weltraum auf, sondern haben sie irgendwo an einem einsamen
Landstrich versteckt.«, sagte Stephan.
»Ich meine, Papa, das wäre doch alles möglich, oder?«
»Ja, ja, Sarah, alles wäre möglich.
Doch, sag mir mal eines: Woher weißt du, oder woher bist du dir so
sicher? Ich meine, dass diese Wesen die Katja irgendwo in der Nähe
festhalten? Und vor allem stellt sich doch die Frage, wofür und
wozu?«, eine durchaus kluge Frage, die ihr Papa da stellte.
»Na, das ist doch klar! Diese Wesen
werden die Katja sicherlich studieren, untersuchen usw. wollen.
Das liest man doch immer wieder, laut der Zeugen die schon mal von
Außerirdischen entführt worden sind. Die betroffenen
Zeugen sagten aus, dass sie nach ihrer Entführung in der Nähe
ihres Heimatortes wieder ausgesetzt wurden. Also, liegt es
doch nicht fern, dass sie dies auch bei der Katja tun werden. Und
deshalb glaube ich auch ganz fest daran, dass diese Wesen sich mit
Katja ganz in der Nähe unserer Erde aufhalten werden.«
Wenn Sarah zu diesem Zeitpunkt hätte
erahnen können, was sie mit ihrem Vorhaben alles verändern
und vor allem durcheinanderbringen wird, hätte sie vielleicht
einen Rückzieher gemacht. Denn wegen dieses Mädchens,
Sarah Hübner, werden gewisse Reisende - ihr könnt euch
bestimmt schon vorstellen, wer damit gemeint ist - nun in balder
Ferne gezwungen sein, ihr eigentliches Ziel ein wenig aufzuschieben.
Was auch schwerwiegende Folgen mit sich führen wird.
»Na, na, Kleines. Übertreibst du es nicht ein wenig?«
Stephan hatte seine Tochter noch nie so in
Rage, ja so agil erlebt, dass er sich wundern musste, woher sie
plötzlich so viel Kraft und Ausdauer nahm. Sonst war sie meist
lustlos und sehr geschwächt in allen ihren Unternehmungen. Und
so wie sich seine Tochter im Augenblick verhielt, gefiel ihm allemal
besser, als dass sie stets unzufrieden
über ihre Behinderung nachdachte. Vielleicht hatte sie Recht
und war der Sache auf der richtigen Spur. Vielleicht war aber auch
alles zum Scheitern verurteilt. Egal wie es ausgehen mochte, er
wollte Sarahs Eifer und neuen Tatendrang nicht zu Fall bringen. Wenn
nötig, so beschloss er, würde er ihr sogar etwas
vorspielen. Aber dennoch musste er auf der Hut sein. Denn seine
Tochter hatte eine besondere Gabe, ihn zu durchschauen.
»Kann schon sein, dass es sich total
verrückt anhören muss. Doch ich war mir noch nie in meinem
Leben bei einer Sache so sicher, wie bei dieser.«
»Gut, Liebes, dann sage mir, wie du vorgehen willst.«
»Na gut. Dazu brauchen wir aber dein
Radio-Teleskop.« Da staunte ihr Vater nicht schlecht.
»Dachte mir schon, dass du darauf
zurückkommen wirst. Dennoch kann ich mir beim besten Willen
nicht vorstellen, was es uns im Bezug auf unseren Fall von
Nutzen sein kann.«, doch Sarah hatte schon längst ihren
Plan in Gedanken realisiert.
»Aber Papa, was macht man denn im
allgemeinen mit einer Radioteleskop-Anlage? Du selbst
hast sie dir ja auch gekauft, oder?«, äußerte
sich Sarah sehr smart.
Äußerst verdutzt und sichtlich baff guckte Stephan
verlegen und doch entzückt, sich auf die Lippen beißend,
in Richtung Decke.
»Lauschen. Ja man kann damit das
Weltall abhören, bis zu einer gewissen Reichweite kann man
bestimmte Wellen senden und abhören. Warum?«
Ach du meine Güte, dachte sich Sarah. Und noch viel mehr.
Papa, verstehst du denn das nicht, wir
könnten diesen Wesen eine Nachricht zukommen lassen.
Sarahs Augen leuchteten vor Aufregung.
Gespannt wie ein kleines Kind wartete sie auf Papas Reaktion und
Antwort. Dabei strahlte sie einen Willen aus, dass es jeden Papa auf
dieser Welt schwer gefallen wäre, nein zu sagen. Und wie es
nicht anders sein konnte, verzog sich Stephans Gesicht zu einer
einverstandenen Mimik.
»Oh Papa, du bist und bleibst der Beste.«
Dann folgte ein tiefer Seufzer und eine...
» Na, lobe mich lieber nicht vor dem
Abend, Sarah.«
» Ich jedenfalls bin, wenn ich mich nach
meinen Träumen richte, zuversichtlich, Papa.«
Obwohl Stephan tief in seinen Gedanken nicht
ganz ehrlich zu seiner Tochter war, fühlte er doch irgendwie,
dass seine Tochter sich verändert hatte und dass vielleicht,
aber nur vielleicht, irgendeine ihr gegebenen Macht sie führte
und lenkte. Selbst er fühlte einen unwiderstehlichen Drang, ihr
bei diesem Unterfangen helfen zu müssen.
»So, Sarah, das bedeutet also, dass ich
die Anlage vom Speicher holen sollte? Ich frage mich, wo wir sie am
besten aufbauen sollen. Was meinst du, Sarah?«
»Also, hier können wir die Anlage
nicht aufbauen, Papa.«
»Was? Hier im Wohnzimmer ist doch
genügend Platz. Oder etwa nicht?«
»Klar ist hier genug Platz. Wie auch
sonst im Hause. Doch wir lassen sie am besten da wo sie ist.«
»Was denn, auf dem Speicher?«
»Ja Papa, auf dem Dachboden. Überleg
doch mal. Wir müssen doch vorerst die ganze Sache geheim
halten. Und stell dir mal vor, Frau Hansen bekommt Wind davon. Sie
ist zwar sehr nett und verständnisvoll, aber, oh Gott, die würde
uns beide in die Klapsmühle bringen lassen. Oder was meinst du,
Papa.«, tja, da war sich auch Stephan sicher.
Mann, die Hansen, die hatte ich ganz vergessen.
Du hast Recht, Kleines, wenn die was davon erfährt, ist der Ofen
schon vorher aus und das, bevor wir ihn erst mal warm gemacht
haben.«
»Genau, Papa. Papa, wie lange wirst du
brauchen, die Anlage aufzubauen?«, fragte
Sarah neugierig.
»Nun, so genau kann ich es
nicht abschätzen. Aber es wird ein ganz schönes Stück
Arbeit. Ich muss Kabel verlegen und die Anlage an meinem Computer
anschließen. Dann die Teleskopantenne auf dem Dach anbringen,
und vieles mehr. Dennoch, so glaube ich, in vier bis fünf
Stunden, dürfte ich dann so weit sein.«
Sarah konnte es kaum erwarten, die Nachrichten
zu den Entführern von Katja Moser zu schicken, woran sie fest
glaubte. Auch ihr Vater wurde schon vom Außerirdischen-Fieber
gepackt, so dass er sich gleich ans Werk machte. Währendessen
fuhr Sarah mit ihrem Rollstuhl in ihr Kinderzimmer, um sich
anderweitig zu beschäftigen. Wie gerne hätte sie doch
ihrem Vater auf dem Speicher geholfen. In solchen Momenten dachte
Sarah an ihre Behinderung. Und es tat jedes mal ein bisschen mehr
weh, weil sie sich so nutzlos vorkam. Eine halbe Stunde später,
Sarah las gerade ein Buch, um die restliche Zeit totzuschlagen, bis
ihr Vater mit der Anlage soweit war, läutete ihr Telefon. Ein
Blick über ihr Buch und ein verneinendes Kopfschütteln.
»Papa sagte eindeutig, dass ich nicht
ans Telefon soll.«, gab sie im Selbstgespräch von sich.
Und wieder klingelte das Telefon. Und auch diesmal nur ein
gelangweilter Blick auf den Apparat.
»Ganz schön zäh, dieser Jemand. Papa, Papa?«, schrie sie durchs Haus.
Auf der Leiter stehend war Stephan gerade
dabei, das Kabel für die Sende- und Empfangsimpulse an der
Satellitenschüssel durch die Dachluke zu buxieren, als er
Sarahs Schreie hörte.
»Mist, ausgerechnet jetzt.«, ärgerte Stephan sich, rutschte aus und
fiel von der Leiter. Unten angekommen, richtete er sich in enormer
Beweglichkeit wieder auf und sauste halb stolpernd und wie
betrunken durch sein Arbeitszimmer und die Wendeltreppen hinunter.
Schnaufend, außer Atem und sichtlich konfus kam Stephan in
Sarahs Zimmer an.
»Ja, Kleines, was ist denn nun
geschehen?«, erkundigte er sich nach ihrem Befinden.
»Mir ist nichts geschehen Papa, es muss
doch, wenn ich nach dir rufe, nicht immer gleich was passiert sein.
Das Telefon ging die ganze Zeit. Und du hast mir doch ausdrücklich
verboten, an die Tür und ans Telefon zu gehen. Ich dachte,
vielleicht ist es ja was Wichtiges. So hartnäckig wie dieser
Jemand anruft.«
»Ach so, na dieser Jemand wird sich
schon wieder melden, wenn es wichtig ist. Na ja, werde erst mal was
trinken, willst du auch was, Sarah?«
»Nein danke, Papa, jetzt nicht.«
Und Stephan ging ins Wohnzimmer. Kaum dass er
das Glas aus der Vitrine nahm, klingelte das Telefon erneut. Und
Stephan ging eilig in Sarahs Zimmer und hob den Hörer ab.
»Ja, Stephan Hübner am Apparat. Sie wünschen?«
Ah, du bist es, Schatz, ich dachte, Sarah wäre
am Apparat. Ich wollte mich nur mal nach euch beiden erkundigen. Na,
wie geht es denn meinen beiden Lieblingen?«
Und im gleichen Augenblick legte Stephan seine linke
Innenhandfläche auf die Sprachmuschel des Telefonhörers.
»Sarah, kein Wort zu Mama, jedenfalls jetzt noch nicht. Okay?«
Mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen
nickte Sarah bejahend. Sichtlich erfreut, dass sie und ihr Papa ein
kleines Geheimnis für sich hatten. Jedenfalls vorläufig.
»Hallo, Stephan, bist du noch dran?«, wurde sie immer lauter.
»Aber natürlich bin ich noch in der Leitung, Martha. Na Schatz, und wie geht es dir.«
»Arbeit, Arbeit und nochmal Arbeit. Du weißt ja, wie es bei unserer Fluglinie zugeht.
Es reißt einfach nicht ab. Stephan. Ich vermisse euch beide schrecklich.«
Stephan fiel wie immer, wenn er seine Frau am
Telefon hatte, das Sprechen schwer.
»Ich vermisse dich auch, Martha. Ich
hoffe, es bleibt bei Freitag. Ich meine, du kommst doch Freitag nach
Hause? Sarah vermisst dich so sehr.«
Dann folgte ein Schweigen in der Leitung, was Stephan vermuten ließ, dass mal wieder was dazwischen gekommen
ist.
»Stephan, weißt du, ich...«
»Nein, Martha nicht schon wieder, kannst
du mir mal sagen, wie ich es diesmal deiner Tochter beibringen soll,
dass du wieder nicht nach Hause kommst?«
Und Stephan sah seine Tochter dabei an, die längst begriffen
hatte und dementsprechend auch ihr Gesicht verzog.
»Stephan, versteh doch. Du musst wissen,
dass uns für das Wochenende einfach zu viele Piloten fehlen.
Und da bin ich nun mal dran. Das geht den restlichen Piloten auch
nicht anders. Es ist für diese Saison bestimmt das letzte Mal,
ich verspreche es dir.«
»Ja, ja, du und deine Versprechen, Martha.«
»Bist du jetzt böse mit mir, Stephan?«
»Böse? Nein böse nicht, aber enttäuscht.«
»Schau mal, du möchtest doch ganz
bestimmt nicht, dass ich heute und die ganze restliche Woche ein
schlechtes Gewissen habe. Glaub mir, wenn ich eine andere
Möglichkeit fände, um nach Hause zu kommen, ja glaubst du
denn im Ernst, ich würde nicht sofort heimkommen?«
»Natürlich, entschuldige Martha, du fehlst uns beiden nun mal so sehr.«
»Ihr beide mir doch auch. Es ist halt
derzeit nicht zu ändern, Stephan. Nächsten Montag bin ich
wieder zu Hause. Ich verspreche es dir und Sarah. In Ordnung?«
»Bestimmt?«, fragte Stephan.
»Ganz bestimmt.«
»Also, mein Schatz, ich muss los, muss
gleich fliegen, gib Sarah einen lieben Kuss von mir, okay?«
»Ja aber willst du sie nicht noch sprechen, Martha?«
»Tut mir leid, ich habe jetzt
wirklich keine Zeit mehr, der Copilot drängt schon. Bitte sei
doch so nett und erkläre Sarah alles. Du bist doch so lieb, ja
Stephan?«
»Mach dir keine Sorgen um uns, Martha, bis bald.«
»Ja mein Schatz ich liebe dich, also dann, bis bald.«
»Okay, mein Engel bis auf bald.«
Und Stephan lauschte noch, so wie er es immer nach einem Telefongespräch
mit seiner Frau tat. Er horchte auf den Moment, bis er dieses
Klacken hörte, das den Abriss der Verbindung ankündigte.
Es war eine sentimentale Angewohnheit, die ihm die Gewissheit
gab, nicht doch noch aus Versehen zu
früh den Hörer aufzulegen. Ein Blick auf seine Tochter,
dann ein tiefer Seufzer und ein Versuch, seiner Tochter eine
weitere Enttäuschung seitens ihrer Mutter zu erklären.
»Sarah, ich...«
»Nicht nötig, Papa, ich weiß Bescheid, Mama kommt auch dieses Wochenende nicht nach Hause.«
»Trotzdem soll ich dir einen lieben Kuss von ihr geben.«
Sarah verhielt sich wie immer sehr tapfer und
versuchte ihre Traurigkeit vor ihren Vater zu verbergen, indem sie
sich von ihm abwandte und begann, in ihrem Bücherregal herumzustöbern, das
ringsherum um das ganze Zimmer aufgebaut war.
Stephan hielt es für besser, so zu tun, als würde er ihre
wässrigen Augen nicht bemerken, obwohl er sie in diesem
Augenblick am liebsten in die Arme genommen hätte.
»So Kleines, ich hab noch einiges zu
tun. Wenn du mich brauchst, rufe nach mir, okay?«
»Klar Papa, geh nur nach oben, ich werd
hier derweilen eines meiner vielen Bücher lesen.« Da
hatte Sarah nicht einmal so Unrecht, das war das passende Wort, viele Bücher.
Jeder normale Teenager in diesem Alter hatte mit Sicherheit ein
Regal, in dem sich zehn oder höchstens zwanzig Bücher
befanden. Sarah hingegen besaß sage und schreibe
1222 Bücher. Dieses beachtliche Sammelwerk bestand aus
Dokumentationen, Forschungen und Technik, Astrologie, Astronomie, und
so weiter und so fort. Ja, dieses Mädchen hatte sich einen
Wissensgrad angeeignet, der einer riesigen Enzyklopädie, also
einem Lexikon gleichzustellen wäre. Das merkte auch ihre
Privatlehrerin, Frau Hansen, die seither zäh und ohne Unterlass
versuchte, irgend eine geschichtliche oder dokumentarische
Wissenslücke bei ihr aufzufinden. Doch weit gefehlt, sie
musste ihr bis jetzt immer eine Eins in den Prüfungen geben. So
handelte sie natürlich nicht aus reiner Bosheit oder gar aus
Neid, nein es gab dafür eine ganz einfache Erklärung. Sie
machte es sich einfach zum Hobby. So versuchte sie - und das nach
Aussage von Sarah - ihr liebloses Leben ein bisschen aufzufrischen.
Wie auch immer, etwas Wahres mag da schon dran sein.
Sarah vertiefte sich förmlich in ihr
Buch. Es handelte sich dabei um Schillers Werke, zweiter
Band. Dieses Buch hatte sie schon einige Male von A bis Z
durchgelesen und dennoch konnte sie nie genug davon kriegen.
Besonders eine Erzählung, gewissermaßen eine Tragödie,
hatte es ihr angetan: Die Jungfrau von Orleans.
Und oft wünschte sie sich, die Jungfrau von
Orleans zu sein, die im Kampfe und in der Liebe Gottes stets
voller Kraft und Zuversicht an ihrem von Gott gegebenen Auftrag
festhielt. Zweieinhalb Stunden waren nun schon vergangen und Sarah
schmerzten die Augen, so dass sie die Werke von Schiller schloss
und beiseite legte.
»Komisch, heute ist ja noch gar nicht
mein kleiner Freund, der Buntspecht, ans Fenster gekommen, um sich
sein Leckerli zu holen. Na, werde mal ans Fenster rollen und ihm ein
Zeichen geben.«
Sogleich rollte sie ungefähr zwei Meter
mit ihrem Rollstuhl zu dem dort befindlichen und erhöhten
Podest, das zum Fenster führte und fuhr mit etwas Anstrengung
ein Stückchen auf ihm hoch, um das Fenster zu öffnen und
bessere Sicht nach draußen zu bekommen. Das Fenster
war nun offen und Sarah in Position, schon konnte es losgehen mit
ihrer speziellen Pfeiferei. Wie schon mal angesprochen hatte sich
Sarah ein ganz bestimmtes Pfeifen beigebracht, einen Pfeifton auf
den nur ein Lebewesen, nämlich ihr Buntspecht
reagierte - außer einigen Schaulustigen die
zufällig des Weges kamen. Er kam dann nach einer gewissen Zeit angeflogen und
wartete mit einem wunderschönen Gezeter auf, bis Sarah ihm
dafür seine Belohnung gab. Ganz gewöhnliches Vogelfutter
musste es sein. Etwas anderes nahm dieser freche kleine Piepmatz
erst gar nicht an. Sarah wartete, doch bis jetzt keine Spur von ihm.
Und sie wiederholte ihr spezielles Pfeifen. Dann, wie aus dem Nichts,
flatterte er wie wild vor ihrem Fenster umher, bis er sich
schließlich auf dem Fenstersims niederließ und sein
gewohntes Gezeter veranstaltete.
»Da bist du ja endlich wieder, mein
kleiner Freund. Wo hast du denn in den letzten Tagen nur gesteckt?
Na ja, ich verstehe schon. Hast dich bestimmt enorm erschrocken, als
das mit der Katja Moser geschah, warst ja auch dabei. Ach ich
wünschte, mein kleiner Freund, du könntest reden. Dann
könntest du als Zeuge fungieren. Na, macht nichts. Mann, du bist
aber heute sehr hungrig was?«
Sarah schwatzte noch ein wenig mit ihrem
gefiederten Freund, der hastig das Vogelfutter in sich hinein
pickte und schließlich mit einem heftigen Gepiepse wieder
in den angrenzendem Wald davonflog.
»Ja, flieg, flieg, mein kleiner Freund, du
bist frei, frei wie der Wind, der ziellos durch die Baumwipfel
streicht und sein Liedchen singt.« Sarah erfasste nun Poesie.
Ja, so war sie. Sehr oft dachte sie nach, über
alles und jenes und wieso, weshalb und zu guter Letzt, warum und
wofür. In allem suchte sie nach dem Sinn und Zweck des Ganzen.
Doch wie so viele poetisch veranlagte Menschen, fand sie nicht,
wonach sie suchte und sich sehnte. Und wie so viele geistig bewanderte
Menschen bekam sie keine Antwort auf alles Suchende in ihr.
Längst stand ihr Vater in der Tür
und sah sie nachdenklich an ihrem Fenster sitzen. Stephan wagte es
nicht, sie dabei zu stören. Er wusste ganz genau, dass sie sich
im Augenblick in einer anderen Welt, in einer nur für sie von sich
selbst erbauten und erschaffenen Welt befand. Er kannte ganz genau
diesen poetischen Zustand, in dem er sich oft selbst befand. Und er
wusste auch, dass es eine Art Meditation des Menschen war. Eine
gewisse Art Selbsthypnose, um wieder zu sich selbst zu finden, um
sich wiederzufinden.
Sarah erwachte aus ihren Träumen
und kehrte wieder in die Realität zurück. Gleich
bemerkte sie ihren Vater, der noch immer geduldig im
Türrahmen stand. Gekonnt drehte sie ihren Rollstuhl im Stand
herum und schenkte ihrem Vater ein Lächeln.
»Na, Kleines, alles in Ordnung? Fühlst
du dich wieder gut?«, fragte er etwas besorgt seine Tochter.
»Aber ja, Papa, es geht mir gut. Wie weit
bist du denn mit der Anlage?«
»Ich bin schon seit einer Viertelstunde fertig.«
»Was, das gibt's doch gar nicht, du
sagtest doch, dass es mindestens bis heute Abend dauern wird. Mann,
Papa, das ist ja prima.«
»Und programmiert habe ich auch schon
alles. Wenn wir wollen, dann können wir schon starten und den
ersten Ruf aussenden, Sarah. Also, sollten sie in der Nähe der
Erde sein, müssten sie das Signal auffangen können.«
»Sag mal, Papa, glaubst du, wenn es
wirklich Außerirdische waren, die die Katja entführten,
dass sie das Signal verstehen werden? Ich meine, falls sie es
empfangen?«
»Also, eines kann ich dir mit
Gewissheit sagen, wenn es sich hierbei wirklich um eine
außerirdische Art handelt, die es fertig brachte, Milliarden
und Abermilliarden von Lichtjahren zurückzulegen, dann, ja
dann würde ich es nicht begreifen, wenn sie nicht fähig
wären, einen einfachen Radioteleskopimpuls aufzufangen und zu
entschlüsseln. Das wäre gleichzustellen, wenn ein
Mathelehrer nicht mal Bruchrechnen könnte. Oder was meinst du
Sarah.«
Sarah nickte bejahend. Klar, so dachte sie, das hat was für sich.
»Na, was ist nun, hast du jetzt Lust, ein
Impulssignal zu senden oder nicht?«
Da ließ sich Sarah nicht zweimal bitten.
»Na und ob ich Lust habe! Und wie komme
ich nun auf den Speicher, Papa?«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Als
erstes trage ich deinen Rollstuhl hoch und anschließend dich,
einverstanden?«
»Klar bin ich einverstanden.«
Im Nu hob Stephan sanft und doch mit
kraftvollem Eifer Sarah aus dem Rollstuhl und setzte Sie auf einen
ihrer Stühle, die neben der Zimmertür in der Ecke an ihrem
mahagonifarbenen Ecktisch standen. Dann nahm er sich Sarahs
Rollstuhl und hob ihn abermals kraftvoll hoch und trug ihn
an seinem Arbeitszimmer vorbei rauf auf den Dachboden des
Hauses, wo er die Radioteleskopanlage aufgebaut hatte. Selbst seine
zweite, zwar etwas ältere Computeranlage, aber für diese
Zwecke optimal, richtete er auf dem Speicher ein. Dort sah es nun
wie in einem Laboratorium eines Erfinders aus.
Überall hingen und umschlangen sich Kabel
und Verstärker, ja, es zeichnete sich ein Wirrwarr ab, das
Seinesgleichen suchte.
Als nächstes lief, oder sagen wir einmal trampelte, Stephan
wieder hinunter. Dann wiederum an seinem Arbeitszimmer vorbei und
hinunter zu Sarahs Zimmer, wo sie schon sehnsüchtig auf ihn
wartete, um hinauf auf den Speicher getragen zu werden. Völlig
außer Puste und seine letzte Kraftreserven mobilisierend hob
er Sarah hoch und trug sie auf seinen Armen ohne abzusetzen
bis hinauf auf den Speicher. Dort angekommen setzte er seine Tochter
wieder sanft in ihrem Rollstuhl ab.
»Danke Papa, sehr lieb von dir. Wau, Mann,
das ist ja der helle Wahnsinn?«
Ein Ruf des Erstaunens hallte durch das ganze
Haus.
»Ja, findest du, war ja auch ne Menge
Arbeit.«
Ein Lob, das auch ihm gut tat.
»So, Papa, was muss ich jetzt tun um
diesen sogenannten Impuls oder Signal zu senden.«
»Pass auf, Sarah, es ist ganz einfach:«
Dann schob er seine Tochter mit dem Rollstuhl vor seine
Computeranlage. Vor ihr befand sich nun der Monitor und weiter
unterhalb die dazu gehörende Tastatur.
»So, Kleines, jetzt werde ich dir als erstes...«
»Sag mal, Papa, wo ist denn hier der Rechner?«
»Ach, weißt du, den habe ich im
Arbeitszimmer gelassen. Ich habe einfach ein paar Kabel vom Rechner
bis hier her verlegt. Aber keine Sorge, es funktioniert genauso.
Nun guck genau zu. Als erstes musst du das heutige Datum eingeben.
26.01... So, und wenn das erledigt ist, dann musst du deinen Standort
eingeben. Das tun wir, damit das System seinen Ausgangspunkt
bestimmen kann, um dann, sagen wir mal von Punkt A nach Punkt B seine
Berechnungen zu verarbeiten und zu speichern. Das System kann
sozusagen den Ausgangspunkt, also von wo der Impuls denn gesendet
wurde, seine Strecke, die er zurücklegt, seine Geschwindigkeit,
und zu guter Letzt sein wahrscheinliches Ziel, dass wir ja noch
eingeben müssen, berechnen. Natürlich haben wir kein Ziel,
sondern nur eine Richtung. Und darüber hinaus werden wir
auch noch regelmäßig informiert.«
»Das ist wahnsinnig toll, Papa. Und was
für ein Ziel geben wir ein, ich meine, wir wissen doch gar
nicht, wohin wir überhaupt senden sollen?«
»Nun, du musst wissen, dass das weiter
nicht so schlimm ist, dann geben wir halt einfach nur eine gewisse
Richtung ein, zum Beispiel in Richtung eines Trabanten, den Mond in
etwa und schalten die Zerstreuung des Impulses in etwa einer
Ausdehnung von sagen wir mal dreihunderttausend Kilometern von der
Leitlichtlinie nach rechts und das selbe nach links, ein. Auf
diese Weise haben wir unser Suchfeld von 30 Kilometern Breite von
der Lichtleitlinie nach links und rechts, das macht wie viel
Sarah?«
»Äh, ich glaube das sind dann 60 Kilometer, Papa.«
»Genau, das Suchfeld hat ohne
Zerstreuung nur eine Breite von 60 Kilometern. Und mit der größten
Zerstreuung, die unser System, also die gesamte Radioteleskopanlage
zulässt, sind es dann mindestens sechshunderttausend Kilometer
Breite. Das ist dann schon einiges mehr, Sarah.«
»Einiges, sagst du, das ist doch enorm.«
»Oh, Kleines, das ist im Gegensatz zu
demn unendlichen Weiten des Universums fast nichts. Aber
dennoch besser als gar nichts. Weißt du, Kleines, du musst dir das so
vorstellen, je tiefer unser Impuls ins Weltall eindringt, desto
schwieriger wird es, je eine Antwort, wenn überhaupt, zurück
zu bekommen. Aber dir das alles zu erklären, würde dir im
Augenblick sowieso nicht von Nutzen sein. Aber einiges wird dir
bestimmt von deinen Büchern bekannt sein, so glaube ich.«
»Ja, sicher, aber ein Buch ersetzt nur
schwerlich die Realität. Nicht wahr, Papa?«
»Oh Sarah, ich glaube, gerade dir
sollte doch am besten bekannt sein, dass ein Buch oft mehr
aussagen kann, als man zunächst annimmt.«
»Ja, das stimmt allerdings. In jedem
Buch steckt immer ein bisschen Wahrheit drin. Weißt du, Papa, ich
glaube, dass in jedem einzelnen Buch sein eigener Charakter steckt.«
»Wie Recht du doch hast, meine Tochter.«
Beide starrten schweigend und etwas nervös
auf ihre Anlage und auf die Taste 'Enter' auf der Tastatur, von wo
sie jederzeit den Impuls starten konnten.
»Na, sollen wir, Papa?«
»Natürlich, warum glaubst du denn,
habe ich mir die ganze Arbeit gemacht. Nicht, um sie hinterher
nur anzusehen?«
»Na, dann?«
Und Sarah wartete voller Ungeduld, dass ihr
Vater endlich den Startknopf drückt. Doch der sah nur sie an
und schien auf sie zu warten.
»Was? Papa, ich?«
Es erfüllte Sarah mit Stolz, die
Eingabetaste selbst drücken zu dürfen, also den Impuls zu
starten. Und langsam hob sie ihren linken Arm und streckte den
zierlichen kleinen Zeigefinger aus und drückte ganz behutsam
die Eingabetaste. Dann beobachtete Sarah das Geschehen auf dem
Monitor. Eine sichtbare sonnengelbe Linie,
kennzeichnete den Weg auf das simulierte Sternenbild.
» So, Kleines, das war es vorerst, sollte
der Impuls auf irgend einer festen Materie, also außer dem
Mond, auf irgendeiner Beschaffenheit, sei es ein Raumschiff, sei es
ein Satellit oder gar auf einen Meteoriten stoßen, wird der
Impuls es uns melden. Und darüber hinaus, sofern es vorkommt,
sämtliche Formen von Sendefrequenzen, gleich von welcher Art
oder Ursprungs sie auch sein mögen. Na das ist schon eine feine Sache,
nicht wahr, Sarah?«
»Ja, Papa,
ich bin begeistert. Jetzt können wir nur noch hoffen und
abwarten. Tja, wenn auch das alles nichts bringt, dann weiß ich
auch nicht weiter.«
»Dennoch, wir haben es wenigstens
versucht, Sarah! Wir dürfen nicht anfangen, uns für
Geschehnisse verantwortlich zu fühlen, für die wir nicht
verantwortlich sind.«
»Das stimmt schon Papa, aber ich fühle
mich dabei nicht sehr wohl.«
»Meinst du ich etwa, wir müssen
aber bei dieser ganzen Sache Haltung bewahren und objektiv denken
und handeln. Nur so können wir eventuell etwas erreichen.« Da
hatte Sarahs Vater nicht einmal so Unrecht. Ja, da saßen nun
die beiden auf dem Speicher des Hauses an ihrer Radioteleskopanlage
und erhofften sich eine baldige Reaktion. Vielleicht, aber nur
vielleicht, sogar von den außerirdischen Entführern von
dem noch so jungen Mädchen, der Katja Moser.
Kapitel 9, Die Erfolgsfeier
Anfang und Kapitelübersicht
© 2012 by Peter Althammer
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