Kapitel 7
Der Todesschlaf
Wie wir wissen, saßen Norman und Katja
mit den Dogon zusammen, um diesem Volk einen Einblick in ihre Welt
zu geben. Viele Stunden gingen bei ihren Schilderungen vorbei, bis
sie jäh aus ihren Gesprächen mit den Dogon unterbrochen
wurden. Ein tiefer, markerschütternder Ton heulte
plötzlich auf. Schweigend und ohne jedes Wort standen im
nächsten Augenblick alle Dogon auf und verließen im Nu
den Saal. Norman und Katja saßen noch auf ihren Stühlen
und guckten sich fragend und erstaunt an. Nur Lyr, ihr ständiger
Begleiter, blieb an Normans und Katjas Seite.
»Lyr, was ist denn jetzt los?«,
fragte Norman nach.
Macht euch keine Sorgen, dies ist nur das
Signal, dass sich alle hier an Bord in die Schlafkammern begeben
müssen.«, entgegnete Lyr mit beruhigender Stimme.
»In die Schlafkammern? Was für
Schlafkammern, Lyr? Ja müssen denn alle wie kleine Babys
rechtzeitig zu Bett gehen?«,fragte Katja eindringlich.
»Aber nein, das hat doch nichts mit dem
sonst normalen nächtlichem Ruhen zu tun, meine Liebe. Es ist
vielmehr eine Art künstlicher Schlaf.«
Auch Norman sah man an, dass er nicht gerade
begeistert von der neuen Order durch diesen Ton war. Er kam sich vor,
als säße er noch in der Schule, alsdort der Unterricht und die Pausen durch einen
Ton bekundet wurden. Nun packte auch Norman die Neugier.
»Ja, Lyr, erkläre uns doch bitte, was
es mit diesen Schlafkammern und dem künstlichen Schlaf auf sich
hat.«
»Nun gut, wie ihr wünscht. Als
erstes musstet ihr in die Regenerationskammer um euch auf die enorme
Geschwindigkeit einzustellen. Obwohl es im Weltraum keine Reibung
gibt, so besteht doch die absolute Tatsache, dass sich durch diese
überdimensionale Geschwindigkeit eure und unsere Atome in euren Zellen radikal verändern würden.
Und das in einem Maße, dass ihr, ja wir alle, auf die Dauer
ernsthafte gesundheitliche Schwierigkeiten bekämen.«
»Ja, aber Lyr, was hat den das mit den
sogenanten Schlafkammern zu tun?«, unterbrach Norman.
»Geduld,
meine Freunde, Geduld, das hat sehr wohl mit den Schlafkammern zu
tun. Wie ihr bereits wisst, sind wir Dogon eurer Zivilisation um
eine sehr lange Zeit voraus, nicht nur in eurem Denken und Handeln,
nein, auch in der Forschung und der Technik. Wir sind seit sehr
langer Zeit in der Lage, Geschwindigkeiten weit über der
Lichtgeschwindigkeit zu erreichen. Doch der Raum in dem wir
uns bewegen ist unendlich, und unser Heimatplanet Goderijan ist so
weit entfernt, dass wir trotz der enormen Geschwindigkeiten, die uns
zur Verfügung stehen, tausende von Jahren in eurer
Zeitrechnung bräuchten, um zu unserem Sonnensystem zu gelangen.
Darum haben wir eine Möglichkeit entwickelt, um uns in eine Art
Todesschlaf zu versetzen und mit unseren Raumschiff in eine Art
Raumzeitschleife einzudringen. So verkürzen wir die Reisezeit
bis auf ein Jahr, nach eurer Zeitrechnung. In dieser Zeit braucht
dieser Körper, der sich in diesem, sagen wir einmal künstlichen
Tod befindet, keinerlei Nahrung oder sonst irgendwelche
körperliche Energien. Eure und unsere Körper bekommen und
brauchen nur ein Minimum an für den Körper dringend
benötigte Stoffe. In diese
Todes-Schlafkammern müssen sich alle begeben und werden erst
wieder aufwachen, wenn sich das Raumschiff im Orbit vor unserem
Planten Goderijan befindet.«
Obwohl Lyr kein richtiges Lebewesen war,
sondern aus künstlicher Form bestand, fiel Norman und Katja
auf, dass sich Lyr der Androide sehr stolz in seiner Erzählung
und Präsentation gab.
»Ach so, Lyr, jetzt begreife ich, bei uns
zuhause träumen wir Menschen schon längere Zeit davon,
uns für einige Jahre oder gar noch länger, in eine Art
künstlichen Schlaf versetzten zu können. Einige lassen
sich sogar bei uns einfrieren. Das sind meistens Menschen, die
unheilbar erkrankt und dem Tode geweiht waren. Als sie dann starben
ließen sie sich einfrieren. Diese armen Menschen trugen die
Hoffnung in sich, die Hoffnung, dass die Wissenschaft eines Tages
so weit in der Medizin ist, sie wieder aufzutauen und die
jeweilige Krankheit zu heilen.«, gab Norman als Erwiderung von sich.
»Diese Versuche, die ihr auf eurem
Planeten tätigt, sind uns wohl bekannt.«, äußerte
Lyr leicht ironisch.
»Weißt du, Lyr, es ist nicht das einzige
Problem das wir haben. Mit den unendlichen Weiten in anderen
Galaxien haben wir sehr große Schwierigkeiten in unserer
Raumfahrt-Technik drei große Probleme die wir seit
Jahrzehnten zu lösen versuchen. Zum einen suchen wir einen Weg,
eine künstliche Schwerkraft auf unseren Raumschiffen, so wie
sie hier herrscht, herzustellen. Zum zweiten, Energien zu finden, die es uns
ermöglichen, mindestens mit Lichtgeschwindigkeit zu fliegen.
Und zum dritten, eine eurer Techniken zu besitzen, die in der Lage
ist, künstlichen Schlaf zu erzeugen und das ohne jahrelang
Nahrung aufnehmen zu müssen. So könnten wir unsere
Astronauten in entferntesten Sonnensystemen schicken.«
Lyr horchte gespannt und mit einem Entzücken auf seinen Lippen zu.
»Ganz ohne Zweifel seid ihr Menschen,
sagen wir, eine recht interessante Spezies. Ich bin mir sicher, dass
ihr in ferner Zeit auch diese technischen Probleme beseitigen
werdet. Dennoch könnten wir euch in euerem derzeitigen Stadium
mit unserem Fortschritt, Techniken oder Errungenschaften nicht
dienlich sein. Ihr seid noch zu unerfahren, leichtsinnig und zudem
auch zu aggressiv, um sich solcher Mittel zu bedienen.«
Als Norman dies hörte, war er doch
sichtlich etwas enttäuscht, denn er dachte sich, dass er und
Katja ein paar Geheimnissen als Geschenk von den Dogon mit in ihre
Welt nehmen könnten. Und selbst Katja fühlte sich ein
bisschen in ihrer Spezies entehrt.
»Aber Lyr, wir dachten, dass wir
vielleicht ein paar von euren Erfindungen zu unserem Heimatplaneten
mitnehmen könnten, wenn wir wieder nach Hause kommen.«,
äußerte sich Norman etwas enttäuscht und auch Katja
setzte zu einem Kopfschütteln an.
»Ich kann euch gut verstehen, dennoch
haben wir es zu unserem Gesetz gemacht, in fernen
fremden Welten, in denen sich lebende Intelligenz entwickelt oder
schon fortschrittliche, so wie ihr Menschen es seid, uns niemals in
ihre Kultur oder gar in ihrem Schaffen einzumischen oder durch und
mit unserer Intelligenz zu verändern. Ihr müsst mit der
Zeit und der damit verbundenen Errungenschaften Reifen.«
»Aber was wäre denn so schlimm
daran, wenn wir Menschen durch eine eurer Erfindungen unser Leben
etwas erleichtern könnten.«
Lyr sah mit seinen leuchtenden Augen zu Norman
und Katja und war sichtlich begeistert, als wollte er sagen, meine
Güte, seid ihr zwei hartnäckig.
»Auch dies kann ich begründen.
Stellt euch einmal vor, wir wären tatsächlich bereit, euch
und eurer Zivilisation ein Geschenk aus unserer Raumfahrttechnik zu
machen. Und, sagen wir einmal, jeder mächtigste Mann in euren
Ländern auf eurer Welt, dürfte sich eine Erfindung, und
das egal welche, auswählen. Was glaubt ihr beide, würden
diese mächtigen Männer wählen? Und was noch viel
entscheidender ist, was würden sie damit tun?«
Plötzlich fiel es den beiden "wie Schuppen
vom Kopf". Für Norman und Katja bedurfte es keiner Worte mehr.
Beide spürten instinktiv, dass diese mächtigen Männer
in ihrer Welt diese neue Errungenschaft missbrauchen würden.
»So, ich hoffe, ich konnte eure Neugier
ein wenig stillen. Doch es ist Zeit, ich führe euch nun in
eine der Schlafkammern.«
Lyr bemerkte, dass Normans Gesicht sich zu
einer Sorgenfalte verzog.
»Norman, irgendetwas bedrückt dich
doch.«
»Nein, oder doch, ja, mich bedrückt
tatsächlich etwas.«
»Darf ich fragen, was dir Sorgen
bereitet?«, stocherte Lyr etwas nach.
»Warum sprichst du vom Tod, wenn es um
die Schlafkammern geht?«
Eine berechtigte Frage, die Norman seinem
Androiden-Freund stellte. Und man merkte Lyr sichtlich an, dass er
durch diese Frage Norman bewunderte.
»Weil jedes einzelne Individuum, das sich
in dieser Schlafkammer aufhält, in eine Art Todesschlaf
versetzt wird.«
Norman und Katja wurden kreidebleich.
»Was, wir und all die anderen werden
dort tot sein, so richtig tot?«
»Ja, genau das trifft zu.«
»Und warum nennt ihr diese Räume
dann Schlafkammern?«, fauchte Katja mit lauter und erregter
Stimme Lyr an.
»Weil ihr ja wieder aufwachen werdet.«
Aber in biologischer Form seid ihr
während dieser Zeit vollkommen tot. Kein Herz wird mehr
schlagen, kein Atem wird aus eurer Lunge mehr kommen und kein Blut
wird für diese Zeit mehr in euren Adern fließen. Das sollte
euch keine Sorgen bereiten. Ihr werdet unbeschadet wieder aufwachen
wie all die anderen auch.«
Norman und Katja fühlten sich bei dem
Gedanken, in Kürze für eine gewisse Zeit tot zu sein, gar
nicht wohl. Ja, beide verspürten in ihrer Magengegend ein
unbehagliches und beklemmendes Gefühl, so dass eine bestimmte
Frage nicht lange auf sich warten ließ:
»Lyr? Noch eine letzte Frage bitte.«
»Gut, Norman, aber es wird nun höchste
Zeit.«
»Gab es in euren Schlafkammern schon
einmal einen Unfall? Ich meine, bis jetzt ist doch jeder wieder
erwacht, oder?«
Lyr konnte Normans Sorgen gut verstehen und gab deshalb Antwort auf
seine Frage.
»Macht euch keinerlei Sorgen. Ich kann
euch versichern, dass ihr wohlbehütet wieder aufwachen werdet.«
Norman bekam zwar keine klare Antwort von Lyr
dem Androiden, aber dennoch gab er sich mit dieser zufrieden. Dann
gingen Norman und Katja gemächlich hinter Lyr her, der schon
vorausging. Wieder kamen sie an unzähligen Gängen und
leuchtenden Objekten vorbei. Alles schimmerte und glitzerte wie in
einem Meer aus Kristallen, wunderbar. Man bekam das Gefühl, als
würde dieses Raumschiff lebendig sein. Ein ständiges
Pulsieren an den Rundgewölbten Wänden und Decken. Norman
und Katja spürten eine wohltuende Wärme, die von den
leuchtenden Kristallen ausgingen. Unbeschreiblich, diese Schönheit,
die als Ganzes im Inneren aus allen erdenklichen Rundungen der
Wände und Decken sich präsentierte. Und das
einzigartigste was den beiden auffiel war, dass dieses Raumschiff
keine Ecken aufwies, unglaublich, was für eine bauliche
Meisterleistung. Keine einzige Ecke oder winkelförmige
Strukturen konnten sie ausmachen. Alles war rund und glatt, ein
Wunder des Schaffens, eine einzigartige Baukunst. So ging es minutenlang
durch unzählige Gänge und Räume, die sich in
ihrer Bauweise zu verschmelzen schienen, bis Lyr schließlich
vor einem Raum ohne Tor oder Tür, der hellblau pulsierte und
schimmerte, stehen blieb.
»So, meine Lieben, tretet hier ein. In
diesem Raum befindet sich für jeden von euch eine Art Liege,
auf die ihr euch legen müsst. Wenn dies geschehen ist, werdet
ihr von einem grünlich schimmernden Licht eingehüllt, das
euch eine wohltuende Wärme spendet. Keine Angst, das ist ganz
normal. Dann werdet ihr angenehm müde und alsbald einschlafen
und sterben. So, noch eine kurze Frage?«
Alles hörte sich für Norman und
Katja wunderbar an, bis auf den letzten Satz, den sich Lyr der
Androide eigentlich hätte sparen können, was Lyr auch an
ihren Blicken sehen konnte. Bemerkenswert, diese Offenheit von Lyr
dem Androiden.
»Oh, ich Dummerchen, verzeiht mir. Ihr
braucht euch wirklich nicht zu fürchten.«
Norman und Katja sahen sich tief in die Augen
und betraten Hand in Hand den bläulich leuchtenden Raum. Ganz
langsam und Schritt für Schritt näherten sie sich den
besagten Liegen, die fast die gleiche Form aufwiesen, wie die, die
sie das erste mal in der Regenerationskammer sahen. An den besagten
Liegen angekommen, drehte sich Norman noch einmal nach Lyr um. Doch
Lyr war nicht mehr zu sehen.
»Norman, hast du auch so ein komisches
Gefühl wie ich?«, fragte Katja sehr verängstigt.
»Tja, Katja, ich kann dich gut verstehen,
man stirbt ja nicht alle Tage.«, gab Norman ironisch von sich,
was zur Folge hatte, dass sich Katja keineswegs besser fühlte.
»Entschuldige, Katja, war nicht so
gemeint. Was soll es, das müssen wir jetzt durchstehen. Ich
würde vorschlagen, wir legen uns jetzt einfach und ohne
Kompromiss auf die Liegen und fügen uns in unser Schicksal,
oder was meinst du?«
Katja gab Norman keine Antwort. Zitternd sah
sie ihn mit ihren großen Augen an, als wolle sie ihm auf
wiedersehen sagen, vielleicht für immer. Norman spürte
Katjas Angst. Dann ging er nochmals auf sie zu und umarmte sie
zärtlich.
»Du, Katja, ich glaube nicht, dass sie
uns was tun wollen. Dazu hatten sie schon mehrmals Gelegenheit. Zum
Beispiel in der Regenerationskammer, oder?«
Obwohl auch Katja Normans Angst deutlich
spüren konnte, trösteten Normans Worte sehr. Wie tapfer er
doch sein kann, dachte sie sich. Dann ging jeder auf eine der
erhöhten Liegen zu, die einem aufgebauten Podest wie einem Sarkophag
ähnlich sahen. Fast zeitgleich stiegen sie die fein geschliffenen Stufen empor und
legten sich in die ausgehöhlten Ausformungen, die der Form
eines Menschen ähnelten. Da lagen sie nun, wartend auf das
Unvermeidliche. Ganz still wurde es um die beiden. Nur ein kleines
Summen war zu vernehmen, dass sich anhörte, als würde
irgend jemand in weiter Ferne seinen Rasen mähen.
»Du, Norman?«, klang Katjas
Stimme wie ein Echo durch den Raum.
Norman war erleichtert, Katjas Stimme zu hören.
»Ja, Katja, was ist?«
»Ach, ich wollte mich nur vergewissern,
dass es dir gut geht.«
Auch Norman spürte, dass Katja große
Angst hatte und nur aus Nervosität Fragen stellte.
»Mach dir keine Sorgen, Katja, es wird
schon alles gut werden.«
Dann herrschte außer dem Summen, dass
sich wie ein Rasenmäher anhörte, wieder Totenstille in dem
Raum. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, begann sich die Decke
zu senken, begleitet von einem heulenden Ton, der sich wie eine
defekte Kirchenorgel anhörte. Norman hatte das Gefühl,
dass er jeden Moment zerquetscht wird. Katja sah, wie sich die Decke
immer mehr und mehr herabsenkte, bis sie schließlich die
Augen schloss und aus Angst ihren Atem anhielt. Dann beherrschte
wieder die Stille den Raum.
»Katja, ist alles in Ordnung?«,
fragte Norman ängstlich.
»Ja, Norman, mir geht es gut. Hast du das
auch gesehen, wie sich die Decke senkte?«
»Ja Katja, das habe ich sehr wohl. Also weißt du was?«
»Was denn, Norman?«
»Davon hat uns Lyr aber nichts erzählt.«
»Du hast Recht, Norman, davon hat er uns
nichts erzählt. Und eines kann ich dir sagen. Wenn wir das
heil überstehen, werde ich Lyr ein paar ernsthafte Worte
zuflüstern, darauf kannst du dich verlassen.«
»Das hoffe ich inständig, Katja.«
Die beiden versuchten, sich noch eine ganze
Weile mit tröstenden Worten zu beruhigen. Doch wie aus heiterem
Himmel begann sich, wie von Lyr vorhergesagt, ein grün
leuchtender Schimmer auf sie zu legen.
»Norman, spürst du es auch? Norman,
es ist wunderbar, ich fühle mich so leicht und frei.
Auch Norman fühlte dieses Glücksgefühl der absoluten
Leichtigkeit und des Glücks.
»Ja, Katja es ist phantastisch. Wenn
das Sterben ist, dann war es doch töricht, davor Angst zu
haben, nicht wahr Katja?«
Doch Katja konnte keine Antwort geben, denn
Sie war längst entschlafen und auch Norman erwartete von Katja
keine Antwort mehr, auch er schlief nun den Schlaf des Gerechten.
*
Wie wir wissen, machte sich Peter Lenz von
seiner Agentur mit dem Auto auf den Weg zu Sarah Hübner nach
Rednizkleineck. Peter war gerade mal knapp eine Stunde unterwegs,
als sein Wagen zu stottern anfing.
»Verdammt noch mal, was ist denn jetzt
auf einmal los.«
Noch zog der Wagen und Peter versuchte
verzweifelt, ihn in Tempo zu halten, aber dieses Stottern
des Motors trat immer öfter und heftiger auf. Bis Peter
auf die Tankanzeige starrte und er mit Schreck erkennen musste, dass
mit seinem Auto alles in Ordnung war, außer mit der
Kleinigkeit, dass der Tank so gut wie leer war.
»Mist, auch das noch, habe ich doch glatt
vergessen, den Tank zu füllen. Ausgerechnet jetzt. Was
mache ich denn nun. Na ja, noch fährt er ja. Hoffe, es kommt bald
eine Tankstelle.«
Peter befand sich mal wieder emotional am
Ende. Doch nichts destotrotz folgte schließlich das
Unvermeidliche. Der Motor seines Wagens ging aus und Peter ließ
noch den Wagen an den Seitenstreifen ausrollen. Und da stand er nun
mitten auf der Autobahn auf dem Seitenstreifen.
»Oh Gott,
nein, nicht jetzt. Verdammt noch mal, das darf doch alles nicht wahr
sein. Was Mach ich denn jetzt?«
Er pochte und klopfte auf sein Lenkrad, als
hätte er damit eine Chance, seinen Wagen wieder in Fahrt zu bringen.
Doch es half nichts. Schließlich musste er erkennen, dass er
damit keinen Erfolg hatte. Ganz still saß er in seinem Wagen
und überlegte. Dann fiel es ihm wie "die Schuppen vom Kopf".
»Mann, klar, ich habe ja das Handy. Ich
rufe Susanne an, sie soll sofort Gregor beauftragen, mit dem
Dienstwagen zu kommen und mir einen Kanister Benzin mitzubringen,
das wird dann bis zur nächsten Tankstelle reichen. Und Susanne
soll auch bei den Hübners anrufen, dass es etwas später
wird. Ja, das ist eine gute Idee.«, gesagt, getan.
Peter wählte auf seinem Handy die Nummer seiner Agentur.
»Agentur Peter Lenz, rätselhafte
Phänomene, sie wünschen?«, meldete sich Susanne am
anderen Ende der Leitung.
»Ja, Susanne, ich bin es, Peter. Sag jetzt
nichts und höre mir nur zu. Ich stecke auf der Autobahn fest.
Ich habe keinen Sprit mehr. Du musst Gregor mit einem Kanister voll
Benzin zu mir schicken. In Ordnung, hast du das verstanden
Susanne?«
»Aber Peter, das ist doch gar nicht nötig...«
Peter ließ Susanne nicht einmal ausreden
und fing an, Susanne wieder einmal anzufauchen.
»Wie, das ist nicht nötig, bist du
jetzt ganz und gar von Sinnen, Susanne?«, kam entsetzt von
Peter rüber.
»Weil du einen Zehn-Liter-Kanister Benzin
in deinem Kofferraum liegen hast.«
»Wie, was denn, was habe ich? Wie kommt
denn der da rein?«, kam total verwirrt von Peter rüber.
»Peter, was glaubst du, wofür ich
von dir bezahlt werde. Es ist nun mal mein Job, an alles zu denken.
Und seien es auch die ausgefallensten Dinge. Und da es nicht das
erste mal vorkommt, dass du irgendwo in den Pampas steckenbleibst,
dachte ich mir, dass ich beim nächsten Tanken so ganz nebenbei
einen Kanister voll Benzin in den Kofferraum lege. Hab nur vergessen,
es dir zu sagen, außerdem wäre es gerade jetzt ein
schlechter Zeitpunkt, Gregor abzuziehen. Er hat einen Kunden an der
Strippe.«
»Hoffentlich verquatscht er sich nicht
wieder und vergrault uns den Typen. Du kennst unser Genie ja.«
»Aber, aber Chef... Ich meine Peter, Gregor
leistet trotzdem gute Arbeit.«
»Das ist mir bekannt und ich möchte
ihn auch nicht missen. Ich hoffe, dass du ihm nichts sagst und die
Klappe hältst, Susanne?«
» Wie immer, Chef, wie immer.«
Peter war entzückt von dieser Nachricht. Was er auch sogleich
verkündete.
»Trotzdem
bist du ein Schatz, Susanne, was würde ich nur ohne dich
anfangen?«
»Eine andere Sekretärin einstellen,
so denke ich.« Auf Susannes Gesicht lag ein Schmunzeln.
Es kam nicht oft vor, dass Peter, Susanne
lobte. So kam es, dass Susanne diese wörtlichen Gesten förmlich
in sich aufsaugte und ihren Fleiß mit einem kleinen
Bonbon, die sie in einem Glas auf ihren Schreibtisch aufbewahrte,
belohnte.
»Aber nicht doch, Chef, das habe ich
doch gerne getan. War es das oder kann ich dir noch einen Gefallen
tun?«
»Ja, Susanne, du kannst mir noch einen
Gefallen erweisen?«
»Und dass wäre, Chef?«
»Dass du mich nicht immer Chef nennst.«,
fauchte er Susanne erneut an. Und beendete das Gespräch.
Dann stieg Peter aus seinem Auto und ging im Sauseschritt nach
hinten zum Kofferraum, holte den Benzinkanister heraus und tankte nach.
»So, jetzt kann es wieder losgehen. Mann,
das hat mir fast zehn Minuten gekostet, muss schleunigst zur nächsten
Tankstelle und dann ab nach Rednizkleineck.«
*
Nach dem etwas aufregenden Aufenthalt von Mary
Ritley auf den Malediven wissen wir, dass Mary gerade noch
rechtzeitig ihren Flug nach München, ihrer Heimatstadt,
erreichen konnte.
Mary saß nun mit ihrem Filmmaterial
absolut zufrieden und entspannt in der ersten Klasse beim
Mittagsessen. Und während sie so aß, dachte sie schon
wieder nach, wie sie am besten wieder einen neuen Kunden an Land
ziehen konnte. Tja, so war Mary nun einmal. Das, ja genau das
machte Mary unverzichtbar für die Agentur.
»Ach ja, endlich bald zuhause. Wenn nun
nichts mehr dazwischen kommt, dann bin ich bis spätestens
Vierzehn Uhr Fünfundvierzig in der Agentur. Danach nichts als
nach Hause und ab unter die Dusche, und dann ins Bett und Schlafen.
Ja nichts, als Schlafen.« , dachte sich Mary.
*
Wieder bei den Hübners:
Nun da es Sarah und ihrem Vater gelang, die
Privatlehrerin geschickt ihre Notlügen unterzujubeln, begann
die Zeit des Wartens, bis dieser Peter Lenz um vierzehn Uhr zu
Besuch käme. Doch für Sarah galt es noch immer, die restlichen
eineinhalb Stunden Unterricht herumzubringen. Und ausgerechnet
heute musste Sarah auch noch einen Mathe-Test absolvieren. Sie
konnte sich wenigstens etwas mit dem Unterricht ablenken. Doch ihr
Vater war das Nervenbündel höchst persönlich. Er
rannte oben im ersten Stock in seinem Arbeitszimmer wie Kapitän
Ahab - der sehnlichst auf seinen weißen Wal wartete - wie ein
besessener hin und her. Dann schrillte eines seiner Telefone.
»Mist, ausgerechnet heute muss ein Kunde anrufen.«
Stephan konnte natürlich jeden Auftrag
brauchen, nicht dass er auf jeden angewiesen wäre, denn Kunden
hatte er schon genug. Doch heute war es ihm nicht so recht, da er ja
diesen Peter Lenz um vierzehn Uhr erwartete. Dazu kam noch diese
heikle Sache mit der Katja Moser und die Entdeckung dieses
rätselhafte Ereignisses seiner Tochter. Außerdem wollte
Stephan endlich die ganze Sache zu einem guten Abschluss für
alle Parteien bringen.
Stephan ging und hob den Hörer von der Gabel.
»Ja, Stephan Hübner am Apparat, was
kann ich für sie tun?«
»Grüß dich, mein Alter, ich
bin es Günter, Günter Henning.«
»Oh, Günter, du, wie geht es dir denn?«
»Danke der Nachfrage, du, Stephan ich ruf
wegen der Informationen an, die du unbedingt von mir haben wolltest.
Und zwar über diesen Peter Lenz und einer gewissen Katja Moser.
Bist du noch immer daran interesSiert?«
»Aber natürlich, Günter. Na, was
hast du über die beiden herausbekommen?«
»Also, mein Bester, dann spitz mal schön
die Ohren. Nun, über diese Katja Moser gibt es keine besonderen
Auffälligkeiten, keine Vorstrafen, ist eine gute Schülerin
und lebt bei ihrer Mutter. Ihr Vater kam bei einem Autounfall ums
Leben. Geschwister, da hat sie einen Halbbruder.«
»Stephan, was glaubst du, wie ich meine
Beziehungen spielen lassen musste. Diese Information war sozusagen
geheim. Sie lag bei einem Jugendamt unter Verschluss. Was das heißt,
brauche ich dir bestimmt nicht zu sagen, oder?«
»Da ist was dran, Günter.«
»Sag mal, Günter, wie heißt dieser Halbbruder?«
Ȁh, einen Moment, muss mal kurz in
meinen Notizen gucken - Ah ja, sein Name ist Norman, Norman
Wiesener.«
»Du, Günter, die Adresse hast du wohl auch noch oder?«
»Aber klar doch, mein Guter. Weißt du,
was, ich faxe sie dir nachher rüber.«
»Aber sicher, Günter. Und was ist
nun mit diesem Peter Lenz?«
»Hui, dieser Lenz ist ein ganz schön heißes Eisen.«
»Was meinst du mit heißem Eisen, Günter?«
»Keine Angst, Stephan, nicht im
schlechten Sinne. Mit heißem Eisen meine ich prominent.«
»Günter, was meinst du mit prominent?«
»Ja, Stephan, der Mann ist auf der ganzen
Welt bekannt. Er forscht über rätselhafte Phänomene,
das ist ein waschechter Wissenschaftler für seltsame
Ereignisse. Du weißt schon, Ufos und so einen Mist. Sag mal, Stephan,
du hast doch mit solchen Leuten nichts am Hut, oder?«
Natürlich konnte Stephan seinem Freund
nichts davon erzählen. Also war mal wieder eine Notlüge fällig.
»Quatsch, Günter. Sarah hat da
einen Aufsatz im Auftrag von Frau Hansen bekommen, zwecks
Geschichtsunterricht.«
»Ach, für Sarah! Grüße
meine kleine Sarah von mir, okay Stephan?«
»Klar, Günter, mach ich. Vorbestraft
und so ist dieser Lenz wohl nicht?«
»Nein, Stephan, seine Akte ist weiß, weiß
wie Schnee.«
»Nun gut, Günter, dann bedanke ich
mich bei dir. Hast wieder was gut bei mir.«
»Gut, Stephan, ich werde dich daran
erinnern, wenn es soweit ist. Dann mach es gut, mein Alter und
halt die Ohren steif.«
»Du auch, Günter, auf bald.«
Und Stephan legte den Hörer wieder auf die Telefongabel.
Für Stephan war es beruhigend zu wissen,
dass dieser Peter Lenz eine saubere Weste hatte, zumindest vor dem
Gesetz, und dass dieser Lenz auch noch eine bekannte Persönlichkeit
sein sollte, konnte ja nicht schaden, zumindest sagte es Stephan,
dass er auch in der Öffentlichkeit beliebt sein musste. Das
war ihm sehr wichtig. Er wollte unbedingt ausschließen, dass
seiner Tochter auf irgendeine Art und Weise weh getan wird, sei es
körperlich oder gar seelisch. Und wieder ging Stephan in seinem
Arbeitszimmer hin und her als hätten sich in seinem Verhalten
irgendwelche Störungen eingenistet.
»Mist noch mal.«, nörgelte
Stephan im Selbstgespräch vor sich hin.
Dann wieder ein kurzer Blick auf seine
Armbanduhr und als nächstes wieder dieser inzwischen gekonnte
Gang hin und her.
Und die Zeit verging langsam, aber sie verging.
»Noch eine halbe Stunde, hoffentlich ist
dann die Hansen aus dem Hause. Fehlte mir gerade noch, dass die ganze
Sache vor ihr auffliegt. Die bringt es fertig und lässt mich
doch glatt in die Klapsmühle einweisen. Na ja, eigentlich ist
sie ja ganz in Ordnung. Und Sarah mag sie ja sehr und das ist für
mich ausschlaggebend. Mann, jetzt führe ich schon Selbstgespräche.
Kein Wunder, wenn man auf seine alten Tage noch
solche sonderbare Ereignisse miterleben muss. Ich hoffe inständig,
dass diese Geschichte ein gutes Happy End für uns hat. Nun gut,
am besten wird es sein, ich schaue mal nach Sarah, wie weit sie schon
mit ihrer Matheprüfung ist. Dürfte eigentlich nicht
mehr lange dauern.«
Dann stieg Stephan langsam auf leisen Sohlen,
um eventuell Sarah nicht bei ihrer Prüfung zu stören, die
Wendeltreppe hinab und blieb vor Sarahs Zimmer stehen. Stephan
wunderte sich, dass er nichts aus ihrem Zimmer hörte und klopfte an.
»Komm doch herein, Papa.« Als
Stephan das Zimmer betrat, fiel ihm sofort auf, dass Sarah ganz
alleine mit ihrem Fernglas an ihrem Fenster saß und nach etwas
Ausschau hielt.
»Hallo Kleines, sag mal, wo ist denn Frau
Hansen?«
»Frau Hansen ist schon vor einer Viertel
Stunde gegangen, sie hat sich den Einkaufszettel geschnappt und ist
auf und davon.«
»Und, Sarah, wie ist die Matheprüfung
ausgegangen?«, drängte ihr Vater ungeduldig.
»Die Matheprüfung Papa?«
»Ja, Sarah, die Matheprüfung.«
»Tja, Papa, das weiß ich nicht, das
Ergebnis bekomme ich erst übermorgen.«
»Ah ja, nun, ich hoffe, es fällt gut
für dich aus. Nicht wahr, Liebes?«
»Mach dir keine Sorgen, Papa, bis jetzt
habe ich noch nie bei einer Prüfung schlecht abgeschnitten, wie
du sicherlich weißt. Ach, beinahe hätte ich es vergessen,
ich soll dich recht schön von Frau Hansen grüßen und
sie wünscht dir einen schönen Tag mit mir.«
»Was, was meint sie damit, mit dir?«
Stephan hatte mit seiner Verwunderung gar
nicht mal so Unrecht. Denn seit wann wünschte Frau Hansen einen
schönen Tag und das auch noch mit seiner Tochter? Er spürte,
dass da etwas im Busch lag. Hatte Sarahs Lehrerin womöglich
doch noch Lunte gerochen?
»Sag mal, Sarah, glaubst du, dass Frau
Hansen etwas von unserer Schwindelei gemerkt hat.«
»Nun, Papa, etwas merkwürdig kam mir
ihr Gruß auch vor und was für ein komisches Lächeln
sie auf ihre Lippen zauberte, kam mir auch nicht ganz geheuer vor.
Na ja, wichtig ist doch, dass wir sie aus dem Haus haben oder was
meinst du, Papa?«
»Ja doch, Kleines, du hast Recht. Noch
zwanzig Minuten, dann müsste dieser Lenz endlich kommen.«
»Na, hoffentlich kommt er auch.«,
fügte Sarah noch hinzu.
»Sag mal, nach was hältst du denn
Ausschau?«, fragte ihr Vater sehr neugierig.
»Weißt du, Papa, ich habe doch noch die
Hoffnung, dass vielleicht Katja Moser wieder an dieser Sitzbank
auftauchen könnte. Währe doch möglich, dass sie da
wieder erscheint von wo sie verschwand, oder?«
Sarahs Vater bemerkte sehr wohl, dass sich
seine Tochter sehr große Sorgen um dieses verschwundene
Mädchen machte und dass sie sich eventuell eine gewisse
Mitschuld gab. Hatte sie doch am Anfang nur an sich, an Ruhm und
Ehre gedacht.
»Ja,
Kleines, könnte schon sein. Doch du solltest aufhören, dir
eine gewisse Mitschuld zu geben, es ist schließlich nicht dein
Wille gewesen, dass die Katja sich auf die Sitzbank neben dem kleinen
Bahnhofshäuschen setzte. Und nicht du hast dieses Mädchen
entführt, sondern eine - wie soll ich es nur in Worte fassen -
fremde Macht oder fremde Wesen, was auch immer es war. Ich glaube,
dass dieses Ereignis auch ohne deine zufällige Beobachtung
geschehen wäre. Also, mein Liebling, mach dich nicht verrückt.«
»Ach Papa, sicherlich hast du Recht.
Doch ich mache mir trotzdem Vorwürfe, dass ich so eigennützig
und egoistisch auf meine Vorteile bedacht war. Stattdessen hätte
ich gleich handeln und die Polizei rufen sollen. Wie habe ich
reagiert? Ich kann es dir sagen. Die einzige Sorge die ich mir in
diesen Moment machte, war, sich ja nicht zu blamieren, sich ja nicht
lächerlich zu machen, berühmt und bekannt zu werden.
Papa, ich fühle mich so schäbig.«
Stephan sah, wie Sarah kleine Tränchenüber
ihre rosa Wangen liefen. Er hatte oft seine Tochter weinen sehen.
Aus tausend verschiedenen Gründen, aber niemals sah er
eine solche Reinheit und zutiefste Seelenöffnung seiner
Tochter, wie in diesem Augenblick. Stephans Herz wurde schwer.
Dann ging er auf seiner Tochter zu, kniete sich zu Füßen
an ihren Rollstuhl und nahm sie ganz behutsam und schützend in
seine Arme. In diesem Moment bedurfte es keinerlei Worte mehr. So
verharrten sie einige Momente lang. Bis sie schließlich jäh
von der Glocke der Haustür in die Realität zurückgeholt
wurden. Fast zeitgleich starrten beide an die Wanduhr in ihrem
Zimmer.
»Papa, das muss dieser Lenz sein.«
»Ich denke du hast Recht, Kleines.«
Dann ging Stephan mit eiligen Schritten zur
Haustüre und sah erst einmal durch den Türspion.
»Ein Fremder, den ich nicht kenne, das muss er
sein!«, dachte sich Stephan und öffnete die Türe. Vor
Stephan stand ein sehr fein gekleideter junger und gut aussehender
Mann.
»Ja, sie wünschen?«, kam zur
Begrüßung als eine Art Test von Stephan zu dem Fremden.
»Ich nehme an, Sie sind Herr Hübner?«
»Ja, da liegen sie richtig.« ,
entgegnete Stephan etwas ironisch.
»Mein Name ist Peter Lenz, wir haben für
heute vierzehn Uhr ein Treffen arrangiert. Verzeihen sie, dass es
etwas später wurde, aber ich saß einige Minuten auf der
Autobahn fest.«
»Ah ja, richtig. Bitte treten sie doch ein Herr Lenz.«
»Danke, sehr nett von Ihnen.« Dann
führte Stephan, diesen Herrn Lenz sofort in Sarahs Zimmer.
»Ah ja, du musst das nette Mädchen Sarah sein.«, bekundete Peter
Lenz mit einer Freude und Elan, dass Sarahs Aufregung vor diesem
Treffen wie weggeblasen schien. Peter und Sarah sahen sich so
entzückt an, dass es Stephan vorkam, als kannten die beiden sich
schon seit Jahren.
»Ja, Herr Lenz. Die bin ich. Es freut
mich, sie endlich persönlich kennenlernen zu dürfen.«
Stephan war von der feinen Redegewandtheit
seiner Tochter sichtlich erstaunt.
»Oh, danke, das gleiche kann ich nur
erwidern, junges Fräulein.«
Nach einem Augenblick des Wartens der Drei:
»Tja, ich würde vorschlagen, dass
wir alle erst einmal ins Wohnzimmer gehen und gemeinsam einen schönen
heißen Tee zu uns nehmen. Na, was haltet ihr davon?«,
schlug Sarahs Vater vor.
Dann begaben sich alle ins Wohnzimmer, wo
Peter Lenz gleich zur eigentlichen Sache kam.
»Nun, Sarah, wie wäre es, wenn du
mir dein Erlebnis von vorne an erzählen würdest?«
Sarah sah Peter Lenz etwas verlegen an. Man
spürte förmlich, dass es ihr schwer fiel, darüber zu
reden. Und somit war es nicht verwunderlich, dass sie bei dem Versuch,
ihr Erlebnis zu berichten, das Stottern anfing.
»Äh, ich glaube, Sarah, es wäre
das Beste, Herrn Lenz erst einmal das Videoband vorzuführen.
Wie findest du meinen Vorschlag, Kleines?«
Sarah war sichtlich froh über ihres
Vaters Vorschlag, immerhin wurde damit diese für Sarah
peinliche Situation entschärft.
Man konnte das Strahlen von Peters Gesicht
ablesen als Sarahs Vater die Videokassette aus ihrem Versteck in
ihrem Zimmer holte. Dann schob Stephan die Kassette in den Videorecorder.
Als nächstes spulte er gleich an die Stelle, wo dieses Wesen
auftauchte und anschließend das arme Mädchen Katja Moser
in die Höhe schwebte und anschließend ins Nichts
verschwand. Während Peter sich dieses Ereignis ansah, wurde er
genauestens von Stephan und Sarah beobachtet. Als Peter das sah,
wurde er kreidebleich.
»Na, Herr Lenz, was sagen sie dazu?«
Peter drehte sich zu Sarah und sah sie
schweigend und mit weit aufgerissenen starren Augen an, als könnte
er nicht einmal bis drei zählen.
»Herr Lenz, geht es Ihnen nicht gut?«,
drängte Sarahs Vater abermals.
»Wie, was? Ach ja, also wenn das keine
Fälschung ist, Herr Hübner, dann ist das das
Einzigartigste was ich je in meiner gesamten beruflichen Laufbahn
gesehen habe. Unglaublich!«
Peter Lenz war so begeistert, dass seine Knie anfingen zu zittern
und er einen kräftigen Schluck Tee aus seiner Tasse nehmen musste.
»Ja, Herr Lenz, Sie
können es ruhig glauben, alles was sie auf dem Video sehen, hat
meine Tochter aus ihrem Fenster mit meiner Kamera gefilmt.
Aber machen sie sich nicht so viele Gedanken, mir hat es genauso die
Sprache verschlagen, als ich mir das erste mal das Video ansah.«
»Ach, Sie waren gar nicht dabei, als ihre
Tochter das Ereignis aufzeichnete?«
»Nein, natürlich nicht, wieso
fragen sie mich das, Herr Lenz?«
Ein kleiner misstrauischer Blick von Peter Lenz machte doch Sarah
und ihren Vater ein bisschen nachdenklich.
»Wieso, sie glauben doch nicht, dass
meine Tochter eine Lügnerin oder gar Hochstaplerin ist. Wie
hätte sie denn das managen können.«, äußerte
sich lautstark Sarahs Vater.
»Aber nicht doch, Herr Hübner, davon
kann doch gar keine Rede sein. Ich meine, es wäre durchaus von
Vorteil gewesen, wenn ein Erwachsener dieses, na ja, sagen wir einmal
Wunder, miterlebt hätte. Sie müssen wissen, dass man Kindern
eine sehr starke Phantasie nachsagt.«
»Aber das Video, ist denn das nicht
genug Beweis?«, hakte Sarah nach.
»Doch doch, für uns ja, aber für
die Öffentlichkeit. Es wird schwieriger sein, die
Öffentlichkeit davon zu überzeugen.«
»Jetzt machen sie mal halb lang, es geht
uns nicht um die Öffentlichkeit. Vielmehr erhofften wir uns,
dass sie uns in dieser prekären Lage helfen würden. Sie
sind doch der Fachmann für außergewöhnliche Fälle
oder täusche ich mich da, Herr Lenz?«,
fauchte gekonnt Stephan seinen Gesprächskontrahenten an.
»Sicherlich, aber wie dachten Sie,
könnte ich Ihnen helfen. Das einzige, was ich tun kann, ist, die
Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass es sich hier um
ein echtes Phänomen handelt.«
Stephan und seine Tochter fühlten sich
sichtlich enttäuscht. Sie hatten sich mehr von diesem Lenz
erhofft, viel mehr.
»Und was wird nun aus der Katja Moser?«
Eine durchaus berechtigte Frage von Sarah, die
Sie Peter Lenz stellte.
»Woher soll ich denn das wissen, ich
bin doch kein Hellseher. Ja, was habt ihr euch denn vorgestellt?
Dachtet ihr, ich komme zu euch, knipse mit dem Finger und, schwups, ist
diese Katja wieder da?«
Nach diesen Worten reichte es Stephan und
Sarah. Sie bereuten es jetzt schon, Peter Lenz davon berichtet zu haben.
»Also, Herr Lenz, es ist besser, wenn Sie
jetzt gehen.« Peter Lenz begriff jetzt gar nichts mehr.
»Was habt ihr denn so plötzlich.«
»Sie sind
unhöflich und ein Flegel. Außerdem, wer hat Ihnen
überhaupt erlaubt, uns zu duzen. Ich bitte Sie das letzte mal,
uns jetzt zu verlassen. Es tut uns leid. Wir haben uns geirrt, Sie
sind doch nicht der Richtige dafür.«
Peter bemerkte, dass er mit seiner
Einschüchterungstaktik, um sich das Videoband für einen
Spottpreis zu angeln, zu weit ging.
Natürlich glaubte er, was er da sah. Dafür
hatte er ein Auge. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass es den
Hübners gar nicht ums Geld und Ansehen ging, sondern wirklich
nur um dieses verschwundene Mädchen Katja Moser. Und jetzt, wo
er diese Familie verärgert hatte, wird wohl heute nichts mehr
daraus und Peter beschloss, zu gehen, so wie es die Hübners
verlangten.
»Natürlich werde ich gehen, wenn
Sie es wünschen. Aber ich möchte ihnen noch eines vorweg
sagen: Ungeachtet dessen was sie jetzt von mir denken. Ohne mich und
einen Cocktail namens Öffentlichkeit und gewisse Verbindungen,
die nur ich habe, werden sie der Katja Moser nicht helfen können.
Trotz alledem möchte ich mich für meine Unhöflichkeit
entschuldigen. Und noch etwas, sollten sie es sich anders überlegen
und mich doch noch brauchen, also ernsthaft meine Hilfe benötigen,
dann rufen sie mich in meiner Agentur an. Hier, ich lasse Ihnen
meine Karte da. Und danke für die Einladung. Es war sehr nett
bei euch und danke für den Tee. Also, dann geh ich mal. Auf
Wiedersehen und einen schönen Tag wünsche ich.«
So sehr auch Peter Lenz nun schleimte, eine
Antwort bekam er von Sarah und ihrem Vater nicht mehr. Dann ging
Peter Lenz Richtung Ausgangstüre und verließ das Haus
der Hübners.
»Verdammt noch mal, das darf doch alles
nicht wahr sein. Ich könnte mich selbst ohrfeigen. Da bin ich
das erste mal einem wirklichen und hundertprozentig nachweisbaren Phänomen
so nah und was mach ich Trottel, ich versaue mir das Geschäft
meines Lebens. Mist noch mal, das wäre Mary nicht passiert!«,
fluchte Peter im Selbstgespräch auf dem
Weg zu seinem Auto. Da saß er nun in seinem Auto und ärgerte
sich noch immer über sich selbst. Peter überlegte, ob er
nicht doch zurückgehen sollte, um die Hübners von seiner
Idee, mit dem Material an die Öffentlichkeit zu gehen,
überzeugen sollte. Aber instinktiv wusste er, dass dieses
Vorhaben von vorne herein zum Scheitern verurteilt war. Jedenfalls
für heute. Dann beschloss Peter, nach München zurückzukehren. Und fuhr los.
Im Hause der Hübners:
»Und, Papa, ist er endlich weg?«
»Ja, Kleines, fürs erste.«
Sarah sah ihren Vater erstaunt an.
»Papa, was meinst du mit 'fürs erste'.«
»Weißt du, Sarah, ich habe so das dumpfe
Gefühl, dass wir den so schnell nicht wieder loswerden.«
»Meinst du wirklich, Papa?«
»Ja, Sarah,
der hat, wie man so schön sagt, Blut geleckt. Ich glaube, diesen
Geldhai um Hilfe zu bitten, war ein Riesenfehler von uns. Weißt du,
das ist ein eiskalter Geschäftsmann, der wird nicht eher Ruhe
geben, bis er den Film hat. Selbst wenn wir das Video jetzt
zerstören würden, würde er es uns niemals glauben.
Also bleibt uns im Endeffekt nichts anderes übrig, als auf das
Video so sehr aufzupassen, als hinge unser Leben davon ab. Hast du
das verstanden, Sarah?«
Sarah bemerkte am Gesichtsausdruck ihres
Vaters, dass es ihm todernst war und dass er sich ernsthafte Sorgen
machte.
»Keine Sorge, Papa, ich werde schon auf
die Kassette aufpassen und vor allem auf mich, in Ordnung?«
»Gut Kleines, dann bin ich ja beruhigt.
Und tue mir noch ein Gefallen, ja? Ab heute, wenn es klingelt und ich
mich im Arbeitzimmer befinde, versuche nicht, die Türe zu
öffnen. Du bleibst in deinem Zimmer und verhältst dich
absolut ruhig. Bis ich unten bin und selbst nachsehe, wer da vor
unserer Haustüre steht. Und gehe dabei nicht so dicht ans
Fenster. Okay, Sarah?«
»Klar, Papa, ist gebongt. Kannst dich
ruhig auf mich verlassen.«
Stephan bemerkte, dass Sarah noch etwas auf dem
Herzen hatte.
»Ist noch was, Sarah?«
Sie runzelte ihre Stirn und kaute dabei an
ihren Fingernägeln, als erwartete sie, dass ihr Vater Gedanken
lesen konnte. Doch schließlich!
»Es mag sich jetzt vielleicht ein
bisschen sonderbar anhören und bestimmt hast du Recht. Dass
dieser Lenz ein Scheißkerl und geldgieriger Geschäftsmann
ist, glaube ich auch. Doch mein Gefühl sagt mir, dass er
vielleicht doch Recht hat. Ich meine, wie sonst sollten wir der
Katja helfen, wenn nicht durch professionelle Hilfe.«
Sarahs Vater sah sie kurz an und ging wortlos
ins Wohnzimmer an die Bar, mixte sich ein Getränk aus Cola und
Weinbrand, sank in den hinter sich stehenden Sessel und schmollte.
Und während er sein Getränk genoss, dachte er an seine
Frau. Ja, sie fehlte ihm sehr. Währenddessen saß Sarah
wieder einmal mit ihrem Fernglas am Fenster. Noch immer hatte sie
die Hoffnung nicht aufgegeben, dass vielleicht diese Katja Moser doch
wieder an dieser kleinen Sitzbank vor dem Bahnhofshäuschen
auftauchen könnte. Dann legte Sarah das Fernglas beiseite und führ
mit ihren Rollstuhl etwa zwei Meter zu ihrem Schreibtisch, öffnete
die Lade und holte ihr Tagebuch heraus. Dann begann sie das Erlebte
niederzuschreiben.
*
Mary Ritley saß längst im Taxi.
Und als sie so im Taxi während der Fahrt in Richtung Agentur
aus dem Fenster schaute, gab sie ein zufriedenes Lächeln zu
ihrem Besten. Sogar dem Taxifahrer, der ab und zu in den Rückspiegel
zu ihr nach hinten sah, lächelte mit, ohne zu wissen warum.
Kein Wunder, denn Mary war zu Hause. Zu Hause in ihrer Lieblingsstadt.
Ja, Mary liebte München. Dies war der Ort, an dem sie sich am
wohlsten fühlte. Und das, obwohl sie gebürtige
Amerikanerin war. Hier in München mochte sie einmal beerdigt
werden. Noch hinzu kam die Gewissheit und Freude, zwei Ereignisse
und einen neuen Kunden an Land gezogen zu haben, den sie auf ihre
Agentur-Sponsorenliste setzen konnte. Ein dazu gehörender
Vertrag mit diesem neuen und spendablen Kunden krönte und
festigte diese neue und außergewöhnliche geschäftliche
Beziehung. Noch dazu kommt, dass sie im Vorfeld einen dicken, ja
einen besonders fetten Scheck von diesem Kunden für die Agentur
in der Tasche hatte. Zum ersten, der neue Kunde, zum zweiten das
Phänomen mit der verbrannten Erde unterhalb eines Kreuzes mit
Zeugenaussage einer Frau, die an dieser Stelle die Jungfrau Maria
erblickte. Und zum dritten dieser kaltblütige Mord in der
Empfangshalle ihres Hotels. Und das exklusiv und in voller
Länge auf der Kamera. Obwohl dieser Aufenthalt für Mary
dieses eine mal sehr gefährlich wurde, war doch der Aufenthalt
auf den Malediven von Erfolg gekrönt. Dann hielt das Taxi vor
der Agentur.
*
Zur gleichen Zeit in der Agentur, Ruferstr. 16:
Susanne war gerade dabei, wieder einmal einen
frischen Kaffee für die ganze Belegschaft aufzubrühen, als
sie so ganz nebenbei durch das Fenster rechts neben ihr zur
Hauptstraßenseite hinaussah. Susanne sah vor ihrer Agentur
ein Taxi stehen und eine ihr bekannte Person aussteigen. Dann
verschlug es ihr den Atem, als sie diese Person eindeutig
identifiziert hatte.
»Wau, das ist ja Mary.«, stellte Susanne mit Freude fest.
Dann rannte Susanne wie ein geölter Blitz in Gregors Büro,
um diese freudige Botschaft zu verkünden, noch bevor Mary in der Agentur war.
»Gregor, Gregor!«, schrie sie in sein
Büro hinein, dass Gregor, der gerade einen Schluck aus seiner
Kaffeetasse machte, sich verschluckte.
»Verdammt, Susanne, musst du mich denn so
erschrecken. Was ist denn geschehen?«
»Entschuldige bitte, aber rate mal, wer
jeden Augenblick zur Türe hereinkommen wird?«
Gregor starrte Susanne axelzuckend an.
»Wer denn?«
Gerade als Susanne Marys Namen aussprechen wollten,
kam schon eine Antwort. Ich, ihr Lieben, strahlte Mary die beiden an.
Alsgleich umarmten sie sich gegenseitig. Die
Freude war natürlich sehr groß.
»Na, ihr beiden, wie ist es euch während meiner Abwesenheit so ergangen?«, erkundigte sich Mary neugierig.
»Oh Mary, frag lieber nicht.«,
erwiderte Gregor, der dabei eine Miene zog, die nichts Schönes
zu hoffen ließ.
»Wieso, was ist denn geschehen?« ,
stocherte Mary drängend nach.
»Ach, du kennst doch Peter. Er ist ein
richtiges Nervenbündel, wenn du nicht hier bist und ihm zur
Hand gehst. Und dann immer die gleiche Geschichte mit Susanne.«,
plauderte Gregor aus.
»Wieso, gab es denn wieder Streit
zwischen den beiden?«, fragte Mary Gregor etwas neugierig und
verzog dabei eine etwas sorgenvolle Miene.
»Na ja, wenn irgendetwas nicht ganz zu
klappen scheint, geht er halt immer gleich auf sie los. Er brüllt
sie ständig an.«
Susanne stand in der Türe und horchte
auf, was Gregor Mary zu petzen schien. Doch sie gab keinen
Kommentar ab. Es war ihre Art zu denken. Wie zum Beispiel: Wenn ich
über einen Menschen nichts Gutes zu sagen vermag, so rede ich
überhaupt nicht über ihn.
»Ja, gab sie Peter vielleicht einen
Anlass, so zu ihr zu sein?«, erkundigte sich Mary bei Gregor.
»Nun, einer von so vielen Gründen,
die Peter angeblich hat, ist, dass er fast wahnsinnig wird, wenn sie
Chef statt Peter zu ihm sagt. Weißt du, Mary, Susanne kann es
sich einfach nicht merken. Besonders, wenn sie aufgeregt ist. Ich
meine, wenn es halt bei uns drunter und drüber geht.«
»Ach, das meinst du, macht euch keine
Sorgen, ich werde morgen mit Peter darüber reden. Das wäre
doch gelacht, wenn ich dieses kleine unwichtige Problem nicht
zugunsten von Susanne regeln könnte. Okay, Susanne?«
Als Susanne dies von Mary hörte, sagte
sie wieder nichts dazu. Doch schenkte sie Mary ein kleines Lächeln,
das soviel wie 'ich vertraue dir' heißen sollte.
»Ach, im Übrigen, wo ist denn Peter.
Ist er in seinem Büro?«, wunderte sich Mary.
»Nein, Mary, Peter ist in
Rednizkleineck.«, verkündete Susanne.
»Was? Was hat er denn in diesem Kaff
verloren?«, staunte Mary nicht schlecht.
Er jagt einem neuen Fall, also einem Phänomen, hinterher.
»Was für ein Phänomen denn?«
Und Susanne begann, Mary bis aufs I-Tüpfelchen Bericht zu
erstatten.
»Also das ist ja phänomenal.
Stellt euch nur vor. Ich habe einen neuen Kunden an Land gezogen und
noch dazu einen enorm fetten Barscheck kassiert. Und dazu ein
rätselhaftes Phänomen, einen Mord im Hotel und all das
live auf Band. Und wenn Peter auch noch einen Fall, also ein
unbestechliches Phänomen, mit nach Hause bringt, würde das
bedeuten, dass wir für die nächsten drei Monate gesattelt
sind, oder, wenn euch das besser gefällt, ausgesorgt haben.
»Mann, das ist ja ein Ding. Ist ein
ausgesprochener guter Monat.«
Susanne und Peter bejahten
Marys Feststellung mit einem freudigen und zufriedenen
Gesichtsausdruck.
*
Zur gleichen Zeit auf der Autobahn in Richtung München:
Peter war stocksauer, war doch sein Besuch bei den Hübners
nicht von Erfolg gekrönt.
»Verdammter Mist noch mal! Die ganze
Fahrt umsonst. Hätte ich doch nicht so aufgeschnitten. Aber
nein, lande ich doch glatt an so empfindsamen Menschen. Verdammt,
verdammt!«, ärgerte er sich im Selbstgespräch.
Ja, ja, Peter jammerte, schimpfte, fluchte noch eine ganze Weile vor
sich hin. Dann sah er auf die Uhr an seinem Armaturenbrett des Autos.
Müsste in circa 30 Minuten in der Agentur
sein. Was soll es. Versuche Morgen, einen neuen Termin bei den
Hübners auszuhandeln. Konnte ja schließlich nicht wissen,
dass diese Familie so sentimental ist. Hoffentlich ist es nicht zu
spät. Wäre zu schade, diesen Fall zu verlieren. War mir
noch nie so sicher wie bei diesem Phänomen, dachte er sich.
Ja, wie schon einmal angesprochen, hatte Peter
ein Auge dafür, ob eine Aufnahme gefälscht war oder
nicht. Natürlich musste dieses Band im Labor auf Herz und
Nieren geprüft werden. Aber nach so vielen Jahren, in denen er
mit abertausenden von echten und gefälschten Foto- und
Filmmaterialien, die er in seinem Labor zu Anfangs mit anerkannten
Spezialisten studiert und ausgewertet hatte, konnte Peter mit
99-prozentiger Sicherheit sagen, was echt oder gefälscht war.
Man konnte auch sagen, dass er in solchen Beobachtungen den
richtigen Riecher hatte. Peter war zwar in gesprächlichen
Verhandlungen, seine Agentur betreffend, nicht sehr geschickt, oft
scheiterte es an seinem radikalen Denken und der Offenheit, wie er
sie zur Aussprache brachte. Dennoch, außer sich zu ärgern
oder einen neuen Versuch zu starten, kümmerte es ihn nach einer
gewissen Zeit recht wenig. Denn er hatte immer einen Trumpf in der
Hand. Nämlich Mary. Das war Mary Ritleys Spezialfach, wenn es
um Verhandlungen mit eventuellen Neukunden ging. Wie jetzt zum
Beispiel der Fall Hübner. Mary würde gezielt das
Verhalten der Person, die das erlebte Wunder erzählte,
beobachten. Ob diese Person sich in ihrer eigenen Erzählung
verstricken würde usw. und noch viele Kleinigkeiten, auf die es
ankam, um festzustellen, ob ein Betrug dahinter steckte oder nicht.
Peter fuhr weiterhin sehr gemütlich in
Richtung München, vielleicht zu gemütlich. In einem
Augenblick wurden Peters Gedanken jäh in Stücke gerissen.
Ein Fahrzeug hinter ihm blendete ihn und fuhr viel zu dicht auf.
»So ein Trottel. Ich hoffe du brichst
dir den Hals, du Armleuchter.«, fauchte Peter vor sich hin,
während er zwangsläufig die Fahrbahn wechselte.
Einen Augenblick später bekreuzigte er
sich wie schon des öfteren. Er fühlte sich nicht wohl, in
dem Gedanken zu verweilen, einem Menschen den Tod zu wünschen.
Was er ja soeben tat. Noch ein Gedanke und er beschloss kurzerhand
seine Agentur anzurufen um seine baldige Ankunft anzukündigen.
»Mann, Susanne, geh schon endlich ans
Telefon!«, jammerte Peter vor sich hin. Dann endlich.
»Agentur Peter Lenz, rätselhafte
Phänomene. Was kann ich für sie tun?«, meldete
sich Susanne mit einer selbstsicheren und geschmeidigen Stimme am
anderen Ende der Leitung.
»Ich bin es, Susanne, Peter.«
»Oh, Peter, du, hattest du Erfolg im Fall
Hübner?«, fragte Susanne aushorchend und zugleich
neugierig nach.
»Tja, frag mich lieber nicht danach,
Susanne. Nach dieser so argwöhnischen und zögernden
Antwort hatte Susanne das dumpfe Gefühl, dass Peter den Fall
Hübner mit höchster Wahrscheinlichkeit verloren hatte.
»Du, Susanne, ich treffe in circa 25 Minuten
in der Agentur ein. Ach, und noch etwas, sei so nett, und brühe
mir doch bis dahin einen recht starken Kaffee auf. Okay?«
»Geht klar, Peter, wird erledigt.«
Peter bemerkte, dass Susanne ihn ausnahmsweise mal nicht mit 'Chef'
anredete, was ihm sehr gut gefiel.
»Bist ein gutes Mädchen. So,
Susanne, bis gleich und...«
»Warte mal, Peter, noch einen Augenblick.«
»Was ist denn noch, Susanne?«, wurde Peters Stimmlage lauter.
Wie wir bereits wissen, war Mary längst
von ihrer geschäftlichen Reise auf den Malediven zurück,
wovon Peter natürlich keinerlei Ahnung hatte, denn er rechnete
erst am nächsten Tag mit ihrer Ankunft. Mary stand schon längst
neben Susanne, um sich persönlich bei Peter anzukündigen.
»Wie gut
doch Susanne dieses Lob tat, hat sie doch bisher alle Opfer für
die Agentur aufgebracht. Sie lebte ja förmlich in der Agentur.
Sie war die erste, die morgens kam um aufzuschließen und um die
alltäglichen Vorbereitungen zu tätigen, damit bei Beginn
der Arbeit jeder wusste, was er gezielt an diesem Tag zu tun hatte.
Jeden Tag kurz vor Feierabend legte Peter, und das ohne ein Wort
darüber zu verlieren, ein Blatt Papier auf Susannes
Schreibtisch. Dort vermerkte er die für den nächsten Tag
zu beginnende Aufgaben, die quasi für jeden einzelnen seiner Crew
zugeschnitten wurden. Und Susanne notierte diese Aufgaben, die Peter
forderte, in eines jeden seiner persönlichen Arbeitmappe. Jede
dieser Mappen hatte eine andere Farbe. Gregors Mappe hatte die Farbe
Grün. Grün deshalb, weil er sich gesund ernährte und
ständig an irgendeinem Grünzeug knabberte. Marys Mappe
hatte die Farbe Gelb, und Gelb deswegen, weil sie sich so gerne in der
Sonne badete. Dann kam noch Susanne. Susannes Arbeitsmappe hatte die
Farbe Lila, weil sie ständig Kleider trug, die diese Farbe
beinhalteten und weil es nach ihrer Meinung die Farbe der Hoffnung
ist. Auf was sie stehts hoffte, hat sie bisher niemandem
verraten, doch der Rest der Crew ahnte es längst, dass sie
stehts auf die große Liebe ihres Lebens wartete. Wie
ein einzelnes rotbraunes in der Abendsonne schimmerndes Blatt im
herbstlichen Winteranfang auf einer Mauer liegend, das wartete, vom
Winde entführt zu werden. So lauerte sie des Öfteren
nachdenklich in ihrem Büro an ihrem Fenster stehend, zur
Hauptstraßenseite blickend, als würde sie auf etwas
warten, vielleicht auf den sehnlichst ersehnten Prinzen, der sie
entführt, entführt in das Reich der Liebe. Selbst der
Boss, ja der absolute Macher in dieser Hütte, mit dem Namen
Peter Lenz, hatte, man höre und staune und mancher konnte es gar
nicht glauben, auch eine eigene Mappe. Diese Chefmappe hatte, na
könnt ihr es erraten? Natürlich die Farbe Rot, und Rot
deswegen, weil er, wenn etwas nicht gleich so funktionierte wie er
es sich vorstellte, sich alsbald in einen Choleriker verwandelte und
gleich Rot sah. Diese Arbeitsmappen wurden an jenem Tage eingeführt,
als es zu einem ausschweifenden und fast nicht mehr zu zügelnden
Streit kam, als einige Mappen, die natürlich alle die gleiche
Farbe hatten, aus Versehen vertauscht wurden. Und somit falsch
bearbeitet wurden, so dass ein ganz wichtiger Auftrag verloren ging.
Und so dachte sich Peter dieses kuriose Meisterstück mit den
Farben der Mappen aus. So kam es, dass so etwas nie wieder vorkommen
konnte. Jeder hatte fortan seine eigene Mappe mit seiner
individuellen Farbe, die er gewissenhaft und mit ganzem Eifer zum
Wohl aller und zum Wohl der Agentur zu bearbeiten hatte. Punktum.
Doch nun weiter. Bis jetzt ist uns bekannt, dass Susanne Peter bat,
das Gespräch noch nicht zu beenden, wobei Peter nicht gerade
entzückt war und er Susanne fragte, was es denn noch beim
Telefonieren zu regeln gäbe.
»Peter, da möchte dich jetzt ganz
dringen jemand sprechen.«
»Was will wer?«
»Tut mir leid Chef, aber dieser Jemand
besteht darauf, ich fürchte, das solltest du, wenn du diesen
Jemanden nicht verärgern willst.«, gab Susanne geschickt
von sich.
»Oh Gott, Susanne, muss denn das
unbedingt sein, kann denn das nicht warten, bis ich in der Agentur
bin? Ich bin doch bald da.«, äußerte sich Peter
entnervt und gleichermaßen erschöpft.
»Tut mit leid, Chef, aber ich fürchte,
dieses Gespräch lässt sich keinesfalls aufschieben.«
Währenddessen übergab Susanne Mary den Hörer des
Telefons und diese lauschte sogleich.
»Na gut, Susanne, aber gnade dir Gott,
sollte ich festellen, dass es nicht außerordendlich wichtig
ist, kannst du was erleben.« ,schrie Peter in sein Handy
hinein.
Dann gab statt Susanne Mary Antwort: »Oh, ich glaube schon, dass es von
immenser Wichtigkeit ist, Peter.« Peter verschlug es den Atem,
als er eine ihm vertraute Stimme vernahm.
»Mary, Mary, bist du es?«, kam
eine begeisterte Reaktion von Peter.
»Klar, mit Leib und Seele, mein
Schnuckelchen. Wie geht es dir, Peter?«
»Jetzt wo du wieder unser München
unsicher machst, viel besser. Aber sag mal, wie kommst es, dass du
heute doch noch angekommen bist. So viel ich mich erinnern konnte
sagtest du, dass es dir nicht möglich sei und du erst Morgen
zurückkommen kannst.«
»Ja, schon, aber ich konnte den letzten
Fall doch noch eher abschließen als angenommen.«
Verwundert horchte Peter auf.
»Was meinst du mit 'den Letzten Fall',
Mary? Hast du außer deinem eigentlichen Auftrag wohl noch
einen Kunden oder gar ein brandneues Phänomen an Land gezogen?«
So liebte und kannte Mary ihren Boss. Gierig
und geradezu Besessen nach neuen Phänomenen.
»Nun, offen gestanden sind es insgesamt
drei verschiedene Ereignisse, die ich mit Erfolg in meiner Tasche und in
deiner Agentur sicher bei mir habe, die ich nicht aus dem Koffer auspacken und aus der Hand legen
werde, bis du zu Türe hereinkommst.« Nach dieser für Peter phänomenalen
Berichterstattung von Mary konnte er nicht mehr ruhig auf seinem
Fahrersitz Haltung bewahren. Er zappelte wie ein hyperaktives
Kleinkind auf seinem Sitz auf und nieder.
»Mary, spann mich doch nicht so auf die
Folter!« Und während Peter vor Neugier förmlich zu
Platzen drohte, begann Mary ganz gemächlich und mit ruhiger
Stimme Bericht zu erstatten.
»Also, höre und genieße, mein
Schnuckelchen: Zum Ersten: Ich habe den Kunden, wie du es zu nennen
beliebst, förmlich festgenagelt und dazu noch einen
fetten Scheck in meiner Tasche. In diesem Fall kannst du den neuen
Kunden in unsere monatliche Spendenliste eintragen. Und zum
Zweiten sind wir im Besitz eines rätselhaften Phänomens.
Zum Dritten, und das unmittelbar vor Ort und live, bin ich Zeugin
eines Mordes in einer Hotelhalle geworden. Das Beste aber kommt
erst noch, halte dich fest Peter: Dies geschah nicht in irgendeiner
Hotelhalle, sondern diese Hotelhalle gehörte zu dem Hotel in
dem ich abgestiegen bin. Na, was sagst du dazu, Peter. Ist das nicht
irre?«
»Doch, natürlich ist das irre, Mary,
aber was mich jetzt und in diesem Augenblick interessiert, ist...«
»Beruhige dich doch, Peter.«,
unterbrach ihn Mary, bevor er nach ihrer Meinung noch an einem
Herzanfall draufgeht.
»Ich glaube
zu wissen, Peter, was du am liebsten hören würdest. Wenn es
dich ruhiger macht, ich habe alles auf meiner Minikamera
aufgenommen. Und die Kassette befindet sich sicher bei mir und in
deiner Agentur.«, kam leicht überschwänglich von
Mary rüber.
Aber das bekam Peter in dieser Situation, die
von purer Freude und emotionaler Begeisterung überschattet
wurde, gar nicht mehr so mit. Und jetzt konnte Peter nichts mehr
auf seinem Fahrersitz halten. Peter fuhr wie von einem Gespenst
gejagt auf den Seitenstreifen der Autobahn. Im Nu öffnete er
seine Fahrertüre und stieg aus. Danach warf er sein Handy auf
den Sitz, ohne es auszuschalten, wobei sein Handy vom Sitz absprang,
auf den Beifahrersitz fiel und von da hinunter auf die Fußmatte
unterhalb des Sitzes purzelte. Selbst Mary hatte er in diesem
Augenblick vergessen und hatte sich folglich nicht einmal von ihr
verabschiedet. Nun fing er an, auf dem Seitenstreifen wie ein
Hampelmann umherzuhüpfen. Dabei zappelte er, ruderte mit
seinen Armen wie ein wahnsinnig gewordener umher, so dass manche
vorbeifahrenden Insassen ihrer Fahrzeuge auf ihn aufmerksam wurden
und ihre Gesichter kopfschüttelnd aus dem Fenster ragten. Doch
das war Peter in diesem Moment schnurzpiepegal. Er, der
Glückliche, wusste nur zu gut, was dieser Erfolg von den Mary seitens
ihrer Bemühungen für die Agentur und sein Team
bedeutete. Nämlich, dass sie für eine längere Zeit
ausgesorgt hatten und die wichtigsten Kunden zufriedenstellen konnten.
Während Peter sich ausgiebig auf dem Seitenstreifen austobte, um
seine Emotionen auszuleben, versuchte Mary verzweifelt, Peters Stimme
einzuordnen.
Susanne bemerkte, dass Marys Gesichtszüge sich schlagartig verändert hatten.
»Mary, was hast du denn plötzlich?«, fragte Susanne sorgenvoll nach.
»Ich weiß nicht so recht, Susanne, er
ist plötzlich nicht mehr am Handy? Er gibt keine Antwort mehr,
obwohl es noch auf Empfang ist.« Mary beschlich kein gutes Gefühl.
Beide sahen sich an und es hatte den Anschein als hatten sie die
gleichen beängstigenden Gedanken.
»Er wird doch vor Aufregung nicht mit
seinem Wagen verunglückt sein?«, äußerte sich
Mary beklemmend.
In diesem Moment stand auch schon, wie auf ein
Zeichen wartend, Gregor in der Türe.
»Unfall? Welcher Unfall denn?«,
erkundigte sich Gregor neugierig.
»Na weißt du, Mary hatte gerade den Chef
an der Strippe. Und als sie Peter von ihren Erfolg auf den Malediven
erzählte, riss plötzlich das Gespräch ab, obwohl
das Handy noch auf Empfang ist.«, gab Susanne erregt von
sich.
Schweigend und ängstlich sahen Mary und Susanne Gregor mit
großen Augen an.
»He, Moment mal, ihr glaubt doch nicht
im... Seid ihr wahnsinnig, Peter hat doch nicht gleich einen
Unfall nur weil er keine Lust mehr hatte mit euch zu telefonieren,
oder?«, zürnte Gregor ein bisschen.
»Aber dann
hätte er doch ganz bestimmt sein Handy ausgeschaltet. Das ist
doch gewöhnlich eine ganz normale Reaktion, so wie wenn man
sich die Hände gewaschen hat um sie danach mit einem Handtuch
abzutrocknen, oder etwa nicht, Gregor?« Da hatte Mary
eigentlich gar nicht mal so Unrecht.
Gregor hatte schon einen Verdacht, was mit
Peter geschehen ist. Er war sich zwar seiner Vermutung nicht hundert
Prozent sicher, aber so ein Theater zu veranstalten fiel ihm nicht
mal im Traum ein. Zumal doch überhaupt keine Beweise vorlagen.
Aber dennoch musste er die beiden irgendwie beruhigen. Und er
brauchte dabei nicht einmal zu schwindeln. Denn was er gleich den
beiden erzählen wird, ist ein guter Vergleich, da seine
Wenigkeit selbst dabei war.
»Jetzt hört mal gut zu, ihr beiden.
Ich wollte es euch eigentlich nie erzählen, aber da ich nicht
länger mit ansehen kann, wie ihr euch so sehr um Peter Sorgen
macht, wird mir wohl oder übel nichts anderes übrig
bleiben. Und kommt mir ja nicht auf die Idee, Peter davon zu
erzählen, das habt ihr nicht von mir, verstanden? Ist das
klar?«
Nach der klaren Bejahung seitens Mary und Susanne begann Gregor zu
berichten.
» Eines vorweg, zerbrecht euch nicht
unnötig eure hübschen Köpfchen. Ich weiß mit
Sicherheit, dass Peter bestimmt irgendwo zwischen Rednizkleineck und
München, also in der Pampa, auf dem Seitenstreifen der Autobahn
seine Freudentänzchen veranstaltet.«
Beide fanden es geschmacklos, wie plötzlich Gregor über
Peter herzuziehen schien.
»Was willst du uns da verklickern,
Gregor?«, verteidigte Susanne ihren Chef. Und das, obwohl
er sie immerzu anschrie.
»Ihr glaubt mir nicht, stimmt's?«
Na gut. Könnt ihr euch noch an den Fall mit der Rose erinnern?«
»Der Fall Rose?«, murmelte Susanne
überlegend vor sich hin.
»Na klar, da gab es doch eine Rose, die
weinte, als ihre Besitzerin an Krebs verstarb.«, kam
erleuchtend von Mary rüber.
»Genau diesen Fall meinte ich, damals
jagte Peter dem Fall hinterher. Er hatte enorme Schwierigkeiten mit
den zuständigen Ärzten, die ihm die Drehgenehmigung im
Krankenzimmer strickt verweigerten. Mary, damals hattest du Peters
Fall übernommen und glatt einen Erfolg verbuchen können.
Genau in dieser Zeit wiederum befanden sich Peter und meine
Wenigkeit auf der Heimfahrt in die Agentur, von wo du uns auch auf
Peters Handy anriefst und ihm deinen Erfolg hinsichtlich des Falles
Rose Bericht erstattet hattest.« Mary dachte eine kurze Weile
nach.
»Ja, genau, jetzt fällt es mir
wieder ein. Wie konnte ich diesen Fall nur vergessen.«
»Ach Mary mach dir da ja keinen Kopf. Du
hast in den zehn Jahren, die du jetzt bei uns bist, so viele Fälle
und außergewöhnliche Phänomene nach Hause geliefert,
dass selbst ich, die diese Fälle in die Akten eintrage, erst
selber nachlesen muss, welcher und wann dieses und jenes sich ereignete.«
Da hatte Susanne gar nicht einmal so Unrecht.
»Stimmt, Mary, Susanne hat da "den Punkt
auf den Nagel getroffen". Dennoch solltet ihr mich erst mal weiter
erzählen lassen? Als Peter nach dem Gespräch mit dir sein
Handy wieder ausschaltete, bemerkte ich, als ich ihm kurz in die
Augen sah, um seine Reaktion zu prüfen, so ein
merkwürdiges Glitzern in seinen Augen, noch dazu gab er ein
komisches Lächeln zu seinem Besten, was ich an ihm gar nicht gewohnt war.
Dann, wie aus heiterem Himmel, verlangte er von mir, ich
solle doch sofort rechts auf dem Seitenstreifen der Autobahn
anhalten. Und das, obwohl es doch, außer bei einem Notfall,
absolut Verboten ist. Stellt euch das einmal vor. Natürlich
fand ich es ein bisschen merkwürdig, aber dennoch tat ich es.
Ich dachte noch, dass er vielleicht dringend austreten musste. Aber
statt seine menschlichen Dinge zu verrichten, begann Peter hin und
her zu zappeln. Ihr müsst euch das einmal auf der Zunge
zergehen lassen. Peter tanzte und zappelte wie ein Hampelmann, ruderte
mit seinen Armen wie ein kleines Vögelchen als wolle er fliegen
können, auf dem Seitenstreifen umher. Dabei schrie er wie ein
wahnsinnig gewordener durch die Autobahnschneise. Er gab dabei
Laute von sich, die eigentlich nur ein Irrer von sich geben könnte.
Unzählige Fahrzeuge fuhren an uns vorbei, mit aus dem Fenster
herausragenden und schüttelnden Köpfen, so dass ich
glaubte, jeden Moment vor Scham in den Erdboden versinken zu müssen.
Ich war ganz konfus. Ich dachte noch, jetzt ist es soweit, der arme
Kerl hat den Verstand verloren. Darum kann ich mich nur wiederholen:
Seid nicht besorgt um Peter. Dies ist nun mal seine Art und Weise,
seinem ganzen geschäftlichen und angestauten Leidwesen seinen
freien Lauf zu lassen. Sein Ventil zu öffnen. Jetzt stellt euch
nur mal vor: Plötzlich wurde es bedrückend still,
was Peter betraf. Außer die Autos und Lastwagen
auf der Autobahn war von ihm nichts mehr zu hören. Wie aus
dem Nichts stand er plötzlich neben mir auf der Fahrerseite
und gaffte mich mit einem Blick an, der mir alles sagte. Dann ging er
an der Vorderfront um meinen Wagen herum, öffnete die Beifahrertür,
stieg ein und warf mir noch einmal einen Blick zu, der mir
sagte: Wenn du jemals irgendeinem auf dieser Welt von meinem
Verhalten eben erzählst, drehe ich dir eigenhändig den
Hals um. Nun, Mädels, sobald Peter hier hereinstolziert,
keinen Laut darüber. Und das niemals. Okay?«, kam
bittend und fordernd zugleich von Gregor, der es jetzt schon bereute,
sein schwafelndes Mundwerk nicht gehalten zu haben.
»Nun Gregor, ich hoffe inständig
dass du Recht behältst. Und keine Sorge, ich und Susanne
schweigen wie ein Grab.«
Dann ging jeder wieder seinem gewohnten
Arbeitablauf nach. Doch man spürte förmlich die vorhandene
Anspannung der Crew, die sie unbewusst ausstrahlten. Jeder von ihnen,
selbst Gregor, der sich noch vor wenigen Augenblicken so selbstsicher
vor Susanne und Mary gab, begann, ständig auf die Uhr zu sehen,
die auf seinem giftgelben Schreibtisch stand. Mary sah auf ihren
noch gepackten Reisekoffer, in dem sie auch ihre
Mini-Kameraausrüstung mit dem wertvollen Material, also den
Videofilmen, zu verstauen pflegte. Sie dachte in diesem Augenblick
intensiv nach. Wie oft konnte sie es in den letzten Tagen fast nicht
mehr aushalten, Peter ihre Erfolge auf dem Bildschirm vorzuführen.
Und nun kamen in ihrem Innersten Zweifel auf. So ganz ohne Peter.
Auf einmal, so schien es, waren diese ergatterten Fälle wertlos.
»Mist, was reime ich mir denn da mal
wieder in meinem verrückten Kopf alles zusammen. Peter wird heil und
gesund wiederkommen und damit basta!«
Auch Susanne wurde immer ungeduldiger. Flüsternd sprach sie zu...
»Meine Güte, wo bleibt er denn nur!
Er sagte doch 25 Minuten, Mary?«
»Ist mir bekannt, Susanne. Mach mich
bitte nicht wahnsinnig. Es wird schon nichts passiert sein.«,
giftete Mary zurück.
»Aber es sind schon 35 Minuten
vergangen, das sind schon zehn Minuten drüber.«
»Susanne, glaubst du denn im Ernst, dass
ich die Uhr nicht ablesen könnte. Also beruhige dich doch
endlich. Okay, Schatz.« Mary konnte natürlich Susanne gut
verstehen.
Aber dennoch half ihr Jammern natürlich auch nichts. Es würde
die jetzige Situation auch nicht verbessern.
»Du, Mary, soll ich es mit seiner Nummer
noch einmal versuchen?«, gab Susanne von sich.
»Okay, wenn es dich beruhigt, kannst du
es mal versuchen.« Gesagt und getan. Und Susanne wählte
Peters Handynummer erneut und wartete auf ein Lebenszeichen von
ihm.
Mary sah zu Susanne hinüber die sich in
ihrem Büro vor dem Fenster zur Hauptstraße hin positionierte, doch Susanne musste zu ihrem Bedauern
verneinen.
»Du, Mary, hattest Recht. Er geht nicht
ran. Doch das Handy ist noch immer auf Empfang es tutet nämlich
das Besetztzeichen. Mensch, was ist da bloß los.«
Unglaublich, selbst Gregor, der eigentlich nur an seiner Karriere
interesSiert war, wurde zusehends unruhiger.
»Hoffentlich habe ich den Mund nicht zu voll
genommen. Ach was, wird schon schief gehen.«, dachte er sich.
Plötzlich wurde mit einem heftigen und dumpfen Schlag die
Eingangstüre aufgestoßen und Peter stand strahlend mit
einem suchenden Blick in der Vorhalle.
»Hallo Leute, ich bin wieder da.«
Im Nu und wie herbeigezaubert stand seine
komplette Crew im Vorraum und starrte ihn an, als wäre er eine
außergewöhnliche Erscheinung. Als wäre er der
leibhaftige Teufel.
Peter staunte nicht schlecht, als er in die
erstarrten und wortlosen Gesichter seiner Crew sah, die wie in einem
Wachsfigurenkabinett erstarrt und leblos sich ihm darbot.
»Sagt mal, freut ihr euch denn nicht,
dass ich wieder hier bin? Wa... was ist denn mit euch los, ist denn
etwas Geschehen wovon ich etwas wissen müsste?«,
erkundigte er sich.
Natürlich schritt Mary mit flinken Worten ein, um Peter eine
glaubwürdige Ausrede aufzutischen.
»Na, eigentlich nicht, Peter, wir wundern
uns nur, dass du so sagenhaft gute Laune hast. Haben wir wohl im
Lotto gewonnen?«
»Hört euch unsere Mary an, wie
bescheiden sie doch ist. Aber macht nichts. Das wichtigste ist doch,
dass unsere Crew wieder vollständig ist. Und ich nehme doch an,
dass ich für alle hier sprechen kann. Mary, wir sind froh, dass
du wieder zu Hause bist. Willkommen, willkommen!«
Dann folgte eine herzliche Umarmung zwischen
Mary und Peter und alles war wieder beim Alten. Mit einer Ausnahme,
dass Peter an diesem Nachmittag anscheinend seine Spendierhosen
anhatte.
»Alles mal herhören. Mit sofortiger
Wirkung ist jetzt Feierabend. Susanne, rufe sofort im Maritim an und
bestell so bald wie möglich einen Tisch für vier Personen,
denn heute hauen wir auf den Putz. Heute wird gefeiert.«
»Wird gemacht, Chef, oh Entschuldigung,
ich meinte Peter.« Und während Susanne die Bestellung
organisierte, bemerkte Peter, dass Mary etwas verlegen dreinschaute.
»Mary, was ist mit dir?«
»Peter, das wäre doch nicht nötig
gewesen, du machst mich ganz verlegen. Und noch etwas: Weißt du denn
nicht, wie sündhaft teuer dieser Schuppen ist?«,
versuchte Mary ihn davon abzubringen.
»Aber Mary, klar weiß ich das, ich bin
doch da Stammgast und quasi Mitglied.«, protzte Peter vor Mary.
»Mitglied, Mitglied wovon?« Und
Peter setzte ein hämisches Lächeln auf.
»Na ja, Mitglied wäre natürlich
untertrieben. Sagen wir mal lieber, dass mir 20% dieser Hütte
gehören.« Da staunte seine Crew nicht schlecht.
»Wusste gar nicht, dass du dich für
die Gastronomie interessierst.«, gab Gregor neugierig von
sich.
»Na ja, eigentlich nicht, aber als mein
längjähriger Freund Karsten mit diesem Schuppen in
finanziellen Schwierigkeiten steckte, gab ich ihm einen größeren
Kredit und beteiligte mich mit, wie schon gesagt, eben diesen 20% an
seinen Laden. Also macht euch keine Sorgen, ich werde mich schon
nicht in Unkosten stürzen. Ich bekomme ja sowieso alles
umsonst. Und noch dazu den besten Tisch.«
*
Einen Tag später:
Norman und Katja waren, wie uns bekannt ist,
von Lyr, ihrem treuen Androiden, einen Tag vorher in die
Schlafkammern geführt worden, wo die beiden in einen todesähnlichen
Schlaf versetzt wurden. Wie sehr fürchteten sie
diesen Augenblick, doch als es so weit war, entschliefen sie mit
einem unbeschreiblichen Glücksgefühl. Doch längst
wurden die beiden von einigen Dogon in die Welt der Realität
zurückgeführt. Anschließend brachte man sie in ihre
Quartiere, wo sie sich von ihrem Todesschlaf erholen
konnten. Sie sind sozusagen bis in die kleinsten Zellen umgewandelt
worden und auf dem Weg der Besserung. Langsam und
leicht zögernd öffnete Norman in seinem Zimmer seine noch schweren
Augenlider. Leicht erschrocken versuchte er, in seiner
Umgebung einen Blick zu erhaschen. Aber vergebens. Ein
Schleier lag noch auf Normans Augen. So dass er, egal in welcher
Richtung er sich auch umsah, alles nur schemenhaft, ja fast
unkenntlich wahrnehmen oder gar erkennen konnte.
Trotz alledem wurde er das Gefühl nicht
los, dass sich irgendwer oder was, in seiner unmittelbaren Nähe
befand. Damit hatte er natürlich gar nicht mal so Unrecht. Es
war nämlich Lyr, der regungslos vor seinem Bett stand.
So kam die Frage, die kommen musste: »Ist da Jemand?«
»Katja, bist du es? Bitte sag doch was.
Kann mir denn keiner helfen?«
Wie wir bereits wissen, befand sich Lyr im
selben Raum. Dennoch verharrte Lyr zwangsweise in einem Zustand, in
dem er außerstande war, eine Antwort zu geben. Nun, das sollte
sich rasch ändern. Was selbst Lyr, der Androide, nicht wusste,
ist, dass er zu jenem Zeitpunkt, als Norman und Katja in diesen todesähnlichen
Schlaf versetzt wurden, er zur fast gleichen Zeit
deaktiviert wurde. Das hatte natürlich seinen Grund. Lyr wurde
nämlich eigens und nur für einen bestimmten Zweck
erschaffen, also konstruiert. Lyr wurde als Kopie eines Prototyps von der
Originalversion mit dem fast gleichen Speicher und Erinnerung und
Kapazität geschaffen und nur für Norman und Katja
aktiviert. Der originale Prototyp befand sich auf dem Planeten
Goderijan. Das bedeutete für Lyr, dass er, wenn Norman und
Katja nicht auf irgend eine Weise tätig waren, also sich nicht
im wachen Zustand befanden, einfach deaktiviert wurde.
Natürlich nur, wenn für ihn sonst keine anderen Aufgaben
warteten. Lyr hatte, wenn er aktiviert war, viele Aufgaben zu
bewältigen, was Norman und Katja betrifft. Tja, die beiden
machten es ihm nicht gerade leicht. Und trotz alledem war Lyr ein
Meisterwerk der Elektronik. Da er nur für Norman und Katja
zuständig war, wurden ihm sehr viele menschliche Eigenschaften
eingespeichert. Natürlich nur in dem Rahmen was die Dogon in ihren
Archiven aufbewahrt hatten. Das war zwar nicht zu verachten, aber
trotzdem noch lange nicht genug. Das menschliche Gehirn, wie es die
Dogon eingestehen mussten, war doch sehr komplexer als zunächst
angenommen.
Deshalb hatten sie Lyr auch auf eine verdeckte
Lernfähigkeit eingestellt. Das heißt im Klartext, dass
Lyr automatisch Normans und Katjas Art und Weise in allem was sie
sagten oder taten und ihre Reaktionen auf verschiedenste Weise speicherte und
wenn möglich für sich selbst anwandte. Zudem kam noch
hinzu, dass alles, was er Norman und Katja über seine Erschaffer und
den Planeten Goderijan erzählte, direkt vom
Hauptspeicher bekam, der sich in der Hauptzentrale unter ständiger
Überwachung der Dogon befand. Von dort aus konnten sie alles was mit
dem Raumschiff und seinen Mitreisenden zu tun hatte,
genauestens kontrollieren und falls nötig beeinflussen.
Noch immer versuchte Norman, auf sich aufmerksam zu
machen. Er konnte nun etwas mehr erkennen. Obwohl seine Augen wie
Feuer brannten, konnte er diesmal vor sich an seinem Bett eine
Gestallt wahrnehmen. Zwar noch etwas schemenhaft, aber dennoch gut genug,
um einige Umrisse zu erkennen. Was ihn absolut wütend machte,
war die Tatsache, dass sich dieser Jemand nicht zu erkennen gab.
»He, du, warum sagst du nichts zu mir?«
Doch wiederum gab Lyr keine Antwort.
Aber das sollte sich bald ändern. Lyr
würde bestimmt Antworten, wenn er nur könnte.
Natürlich wussten die beiden von nichts,
außer dass sie eine gewisse Zeit in diesem Zustand verharren
sollten. Die Dogon befürchteten, dass Katja und Norman ablehnen
würden, eine so lange Zeit durch das Weltall mitzureisen.
Denn sie verstanden noch nicht ganz, wie die Dogon die Zeit verändern
konnten. Wie schon einmal erklärt, werden Katja und Norman
keinerlei Zeitverlust bemerken, wenn sie wieder nach Hause kommen.
Sie gehen beide ihre Wege, von wo sie quasi entführt wurden,
als wären sie nie weggewesen. Als hätten sie dieses
phantastische Abenteuer niemals erlebt. All das den beiden
begreiflich zu machen, kostete den Dogon viel zu viel Zeit, die
ihnen im Endeffekt nicht zur Verfügung stand.«
Lyr war also deaktiviert, das wissen wir
bereits. Dennoch ließen die Dogon so viel Energie in ihn
fließen, dass seine Sensoren nach gewisser Zeit Normans und
Katjas Stimmen erkennen konnten. Norman lag noch eine ganze Weile so
da. Dann war es soweit. Lyr wurde aktiviert. Mit einem Mal
richtete Lyr seinen gebeugten künstlichen Körper auf.
Seine giftblauen Augen begannen zu leuchten und zu pulsieren.
»Na, wie geht es denn heute unseren
Patienten?«, gab Lyr ironisch von sich.
»Lyr, bist du es?« Norman war heilfroh, endlich Gehör gefunden zu
haben.
»Fürchte dich nicht, Norman, ich bin
es, Lyr, dein Freund.«
Als Norman Lyrs Stimm-Membranen hörte, war
er sichtlich erleichtert. Nie hätte er gedacht, dass er sich
jemals so über die Stimme eines Androiden freuen würde.
Und dennoch war er ein bisschen ärgerlich über Lyrs
Schweigen, als er nach dem Erwachen Trost suchte.
»Lyr, warum hast du vorhin nicht
geantwortet und was ist mit meinen Augen, sie schmerzen und ich kann
dich nicht richtig sehen. Alles ist so verschwommen.« Norman
hoffte mit seiner Beschwerde von Lyr eine klare Antwort zu bekommen.
»Du brauchst dir wirklich keine Gedanken
zu machen, Norman, es ist alles gut verlaufen.«
»Und warum fühle ich mich dann so
mies, kannst du mir das einmal sagen? Hast du vielleicht dafürf
eine anständige Erklärung? Na, was ist?« Norman hatte
keine Lust mehr auf Ausreden von seiten Lyrs.
»Ich verstehe deinen Zweifel und
Argwohn. Doch du musst dir keine Sorgen machen. Niemand will dir
schaden, mein Freund.«
Norman war nun einmal von Natur aus
misstrauisch, selbst des öfteren seinen eigenen Gefühlen
gegenüber, das half ihm zuweilen objektiv zu denken und zu
bleiben und zudem noch Vergleiche zwischen der Wirklichkeit und
seinen Vorahnungen zu ziehen.
»Du hättest mich wenigstens
vorwarnen können, dass das Wiedererwecken so schmerzhaft ist.
So wären diese Zweifel und Ängste nicht so groß
gewesen.«
Und Lyr guckte mit seinen pflaumengroßen,
blau schimmernden und pulsierenden Augen Norman an, als sei Norman
der Außerirdische und nicht er. Wobei, wenn man es genau
betrachtete, es nicht einmal so Abwegig schien.
»Mein Schweigen war nicht Recht. Trotz
alledem hoffe ich als euer Begleiter und Berater, dass wir Freunde
bleiben werden. Es wäre für beide Seiten von Vorteil.«
Norman schwieg sich aus. Nur allzu gut
begriff er Lyrs Worte. Was hätte es ihm und Katja von Nutzen
sein können, mit noch mehr Angst in die Schlafkammer zu gehen.
Und Norman war sich sicher, dass er sich für dieses Volk
entschieden hatte, mit oder ohne Bewusstsein von Ängsten und
Schmerzen jeglicher Art, zum Wohle des Volkes, das sich in einem
so bitteren Leid befand. Und deshalb schwieg er sich aus. Und statt
sich zu ärgern, schenkte er Lyr ein Freundschaftliches Lächeln.
Lyr war kein dummer Blechhaufen, der nur aus
Drähten und Schaltkreisen zusammengesetzt wurde. Im Gegenteil,
die Wissenschaftler auf der Erde würden sich darum reißen,
ein solches Wunderwerk der Technik und der Elektronik studieren zu
dürfen. Zu mehr wären sie natürlich nicht in der
Lage. Die Dogon waren ihnen bereits tausende von Jahren in fast
allen Lebenslagen weit, weit voraus.
»Sag mal, Lyr, wie geht es denn Katja?«,
sorgte sich Norman um sie.
»Oh, Katja? Ja, deine Schwester ist wohlauf,
dennoch wird sie noch ein bisschen länger im Schlaf
bleiben.«
Norman sah Lyr verdutzt an.
»Wieso das denn, Lyr? Ich hoffe doch,
dass es ihr gut geht. Ich meine, ihr ist doch nichts geschehen,
oder?«
Lyr war sichtlich von Normans Frage amüsiert.
Und man konnte in Lyrs Gesicht ein leichtes aber dennoch
verstohlenes und sichtbares Lächeln erkennen, was Norman
überhaupt nicht Verstehen konnte.
»Aber nein, Norman, du brauchst dir
keinerlei Sorgen zu machen.«
»Und warum ist Katja noch nicht erwacht,
so wie ich?«, eine durchaus berechtigte Frage, die er an Lyr
den Androiden stellte.
»Ach du meine Güte, ihr Menschen
seid mehr als nur neugierig. Nun gut, ich will es dir so gut ich es
vermag, erklären. Jedes einzelne Individuum trägt seine
eigene biologische Uhr in sich, so wie jedes Wesen seinen eigenen
Rhythmus hat. Einer nimmt mehr Nahrung zu sich, der andere etwas
weniger. Jener welcher braucht mehr Schlaf als der andere. Und so
ergeht es nun deiner Schwester Katja, ihr Körper ist zwar
reanimiert worden, dennoch ist er noch nicht bereit, all seine
Funktionen zu hundert Prozent einzusetzen. Ich hoffe, mein Bester,
dass deine Frage somit beantwortet ist.«
Norman glaubte, sich verhört zu haben.
»Ich glaube, ich höre nicht recht.
Du sprichst von Katja, als wäre sie eine Maschine, ein
Schrotthaufen so wie du, Lyr.« Lyr gab auf diese
unbeabsichtigte Beleidigung seitens Normans keine Antwort.
Nur durch das leichte Senken seines Kopfes
fiel Norman auf, dass Lyr durchaus fähig war, in seinem Gemüt
verletzt zu werden.
»Verzeih mir Lyr, ich hatte es nicht so gemeint. Weißt du, die Menschen sagen
manches Mal etwas, was sie gar nicht so meinen. Es tut ihnen
hinterher immer ein bisschen Leid. Auch wenn es ab und zu zu spät
ist.« Lyr hob seinen gesenkten Kopf und sah zu Norman auf.
»Wieso zu spät, Norman?«
Wie wir hören konnten, wurde Lyr offensichtlich etwas neugierig.
»Tja Lyr, wie soll ich dir das nur
erklären. Nun, bei uns auf der Erde nehmen es die unseren sehr
persönlich, sollte jemand sie in ihrem Stolz verletzen. Das
heißt im Klartext, dass Worte zwischen zwei Menschen fallen
können, die entweder der eine oder gar alle beide einander
nicht vergeben.«
Lyr wurde sehr hellhörig. Er sog förmlich jede Neuigkeit in sich auf,
die er registrierte.
»Ich verstehe, Norman, es ist traurig,
wegen einer solchen Kleinigkeit einen Freund verlieren zu müssen.«
Norman war sehr über Lyrs Auffassungsgabe überrascht. Dass Lyr so schnell die Zusammenhänge und Bedeutungen der Sätze begriff.
»Norman, mich verlierst du nicht, ich verzeihe dir.«
Als Norman das hörte, konnte er sich
nicht mehr halten vor Lachen. Ja er lachte so laut, dass es ihm die
Tränen aus den Augen drückte.
Wiederum guckte Lyr Norman mit seinen
unbestechlichen und azurblauen Augen an. Als wäre er nun der
jenige welche, der nicht einmal bis drei zählen kann.
»Was hast du, Norman, habe ich mich etwa
falsch ausgedrückt?« Und als sich Norman einigermaßen
beruhigte:
»Vergiss es, Lyr, ist doch nicht so
wichtig. Und weißt du was. Lachen ist gesund. Ich an deiner Stelle
würde es auch mal ab und zu versuchen. Und falls du auf die
Idee kommen solltest, mich zu fragen warum, sage ich dir, dass Lachen
ein Zeichen der Freude und Zufriedenheit beim Menschengeschlecht
ist.«
Na, da konnte Lyr offensichtlich nichts einwänden.
»Lyr, würde es etwas ausmachen,
wenn ich in Katjas Wohnquartier gehe und nach dem Rechten sehe. Ich
würde gerne bei ihr sein, wenn sie zu sich kommt.«
»Nicht im Geringsten, mein bester
Norman. Du bist hier kein Gefangener und kannst tun, wonach dir ist.
Doch sei gewarnt, du darfst nichts dergleichen tun, was sie
vorzeitig erwachen lässt. Es ist sehr gefährlich, diese für
sie wichtige Phase zu unterbrechen. Es würde ungeheuerlich auf
ihre Psyche einwirken und sie in ihrem jetzigem Stadium in eine Art
Koma versetzen.«
Norman wurde kreidebleich, als er von den
Nachwirkungen eines solchen Unfalls hörte.
»Wirklich, und wie soll ich mich denn
verhalten, wenn ich bei ihr bin?«, vergewisserte sich Norman.
»Für unsere Nachzügler
benutzen wir eine Art Lichtquelle. Diese Lichtquelle hält
jedes Geräusch, jeden Ton und jede Erschütterung von ihnen
innerhalb eines bestimmten Radius fern. Aber dennoch kann jede Person in
dieses Lichtelement eindringen. Also das Beste wird sein, du
wahrst einen bestimmten Abstand. Noch Fragen, Norman?« Normans
Antwort war klar und eindeutig.
»Lyr, ich werde mich hüten, gegen deinen Rat zu verstoßen, ich will
doch nicht, dass Katja etwas geschieht.«
»Ich darf bescheiden hinzufügen,
auch ich wünsche eine vollendete Genesung für Katja.«
Norman freute sich über Lyrs liebevolle Anmerkung über
Katja.
»Lyr, dann werde ich mich mal zu Katja
auf die Socken machen.« Und Lyr horchte mal wieder auf.
»Auf die Socken machen?«
»Lyr, das ist ein Spruch von uns
Menschen.«, entgegnete Norman sichtlich genervt.
»Ach ja, ein Spruch also?«
Natürlich beinhaltete Lyrs
Speichermedium diese Art von Redewendungen nicht, aber Lyr machte
sich so langsam. Dann ging Norman los, er hatte es ja nicht weit,
denn Katjas Quartier lag wie wir wissen gleich neben seinem. Dort
angekommen öffnete Norman ganz leise die Türe und ging
hinein und das auf so leisen Sohlen, dass selbst er sich nicht hören
konnte. So zwei Meter vor der schützenden Lichtquelle,
die Katja umgab, blieb Norman stehen. Da lag sie nun. wunderschön
und von einem Lichterglanz umgeben, als wäre sie ein Engel, dem
der Schein und Antlitz Gottes zuteil geworden ist. Wie schön
Sie doch war, seine Schwester.
Und wieder einmal verfiel Norman ins Selbstgespräch.
»Meine Güte, Katja, ich glaube, dass
uns dieses Abenteuer so langsam über den Kopf wächst, ich
wünschte, wir hätten schon alles hinter uns und wären
wieder zu Hause. Zu Hause, was für ein Wort. Hätte nie
gedacht, dass ich dieses Wort jemals so schätzen lernen würde.
Ist schon komisch, Kleines. Weißt du, all das, was man vorher als
normal empfand, ist heute für mich und ganz bestimmt auch für
dich, wenn man davon getrennt wird, von unschätzbarem Wert
geworden. Ja, man merkt erst, was man vermisst, wenn es nicht mehr da
ist.« Aber es half jetzt nichts. Nur zu träumen und sich
somit der Wahrheit zu verschließen, hatte letztendlich doch
keinen Sinn. Ich glaube, wenn ich mich hier umsehe und mit dem
Erlebten vergleiche, sind wir Menschen doch sicherlich aus Träumen
gemacht worden. Und umgekehrt sind es letztendlich doch wir, die
diese Träume machen. Wo und wie sollen wir beide denn dann die
Wahrheit finden. Aber wer, außer unser Herrgott könnte
schon sagen, dass er im Besitz der Wahrheit ist.«
Ja, Norman machte sich tiefe Sorgen um Katja,
denn er fühlte instinktiv, dass es für sie langsam aber
sicher zu viel des Guten wird, auch wenn Katja des öfteren und
das sehr geschickt versuchte, es zu verbergen. Norman beschloss, auf
Katjas Erwachen zu warten, egal wie lange es noch dauern sollte.
Denn er hatte sie richtig liebgewonnen.
Nun gut, Norman war sich dessen sicher, dass
es nicht oft vorkam, dass ganz normalen Sterblichen Homo sapiens aus
der Gattung Mensch die Ehre zu Teil wurde, in ein solches
phantastisches Abenteuer verstrickt zu werden. Norman wollte bei seinem
Schwesterchen sein, wenn sie aus ihrem todesähnlichen Schlaf
erwachte. Er wollte, dass sie sich in diesem Augenblick nicht so
alleine fühlte, und außerdem, Vorsicht ist die Mutter der
Porzellankiste. Die Erfahrung mit dem Begriff 'Vorsicht' musste er
schon des öfteren machen. So war es nicht verwunderlich, dass er
stets auf der Hut war. Das lag natürlich nicht nur an
der Spezies der Dogon, also der Gattung der Goderijaner, nein,
vielmehr lag es an den nicht ganz gewollten Vorahnungen, die Norman
seit seinem zehnten Lebensjahr erfahren musste.
Da saß er nun wartend und seine Knie an
seinem Körper herangezogen auf dem kahlen Boden in etwa drei
bis vier Metern Entfernung von seinem Schwesterchen, umgeben von
einem Lichter-Schauspiel, das zu Träumen anregte.
»Wird langsam Zeit, dass mein Schwesterchen aufwacht.«
Norman wollte gerade aufstehen, um sich im
Zimmer etwas die Beine zu vertreten, da fiel ihm auf, dass sich der
Lichtschleier, der sich sanft um Katjas Bett wie ein Vorhang legte,
begann, seine Intensität zu wechseln und schließlich ganz zu
verlieren. Norman beobachtete das Verschwinden dieses Schauspiels der
pulsierenden Lichter so intensiv, dass er doch glatt Katja vergaß,
die ja inmitten dieses Geschehens verharren musste.
»Norman, Norman?«, hörte er plötzlich Katja.
Blitzschnell und seinen Kopf in
Katjas Richtung drehend, sah er, wie seine Schwester einen ihrer Arme nach
oben streckte, so als wolle sie nach den Sternen greifen. In
Windeseile, ja fast in einem Satz springend kam Norman vor dem Bett
zum Stehen. Über sie gebeugt und mit klopfendem Herzen sah er
sich Katja an. Mit zitternder Hand und doch sehr sanft, streichelte
er über seines Schwesterchens Gesicht.
»Schwesterchen, ich bin es, Norman, kannst
du mich hören, Kleines.«
Ganz langsam öffnete Katja ihre unter
Schmerzen stehenden Augenlieder.
»Norman, bist du es?«
»Ja, Kleines, ich bin es, dein Bruder.«
Norman war heilfroh, die Stimme seiner Schwester zu hören. Wie
von Geisterhand wich von ihm das Gefühl der Einsamkeit, das er
während Katjas todesähnlichem Schlaf stets in sich spürte.
»Norman?«
»Ja Katja, wie fühlst du dich?«
Norman bemerkte, dass Katja das Reden schwer fiel und Schmerzen
hatte. Norman konnte Katja nachempfinden, war er doch in der gleichen
Situation gewesen, so dass sich Norman in diesem Bezug keine Sorgen zu
machen brauchte. Lag es doch an den Nebenwirkungen des todesähnlichen
Schlafs, was nach seiner Erfahrung und seitens der
Bestätigung durch Lyr keinerlei gesundheitliche Schäden
nach sich zog.
»Meine Augen, was ist mit meinen Augen,
ich kann nichts mehr sehen. Norman, sie brennen wie Feuer?«
Dennoch tat es ihm leid, dass Katja in
Schmerzen lag. In diesem Moment wünschte sich Norman, mit Katja
tauschen zu können. Wenn es möglich wäre, hätte
Norman keinen Augenblick gezögert.
»Beruhige dich doch Katja, es wird alles
wieder gut. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
»Aber Norman, da stimmt doch was nicht,
ich kann nichts sehen. Sag schon, mach mir doch nichts vor, ich bin
blind oder?«
Es war klar, dass Katja in panische Ängste
verfiel und sich somit das Schlimmste zusammenreimte. Norman
versuchte es mit einer kleinen redegewandten Aufheiterung.
»Sag mal, Schwesterchen, schläfst du
eigentlich immer so lange?« Doch der Versuch schlug fehl.
»Lass die Witze, Norman. Sag schon, was
ist mit mir los. Ist irgendetwas schiefgegangen?«, brüllte sie Norman an.
»Aber Katja, deine Blindheit geht bald
vorüber und was die Schmerzen und die Lähmungserscheinungen
betrifft, die natürlich auch. Alles was du jetzt fühlst kommt
von den Nachwirkungen her. Da musst du jetzt durch. Weißt du, bei
mir war's auch nicht anders. Das gibt sich wieder. Das
kannst du mir ruhig glauben. In weniger als einer Stunde hüpfst
und springst du wie ein kleines Wiesel umher als wäre überhaupt
gar nichts gewesen.«
Katja und Norman holten tief Luft und schwiegen sich für einen
Moment lang aus.
»Norman?«
»Ja, Schwesterchen?«
»Danke!« Norman sah Katja
verwundert an, er konnte sich nämlich nicht vorstellen, wofür
sie sich bei ihm bedankte.
»Danke? Wofür denn?« Katja
schwieg, sie begriff, dass es dafür keiner Worte
mehr bedurfte.
»Äh... keine Ursache, Schwesterchen.«
Norman und Katja unterhielten sich noch eine
ganze Weile, bis von Norman das Gespräch mitten im Satz
abrupt beendet wurde.
»Norman, ist was?«
»Ja. Sei ganz leise, Katja!«, sagte Norman mit flüsternder Stimme.
Denn er bemerkte, dass irgend jemand sich an ihn heranzuschleichen
schien. Reaktionsschnell wie eine Schlange die zum Biss ansetzte,
drehte er sich um, mit geballten Fäusten zur Verteidigung bereit.
»Meine Güte, Lyr, du, musst du dich
denn wie ein Geist an mich heranschleichen?«
Tja, Lyr hatte bestimmt nicht vor, die beiden bis ins Mark zu
erschüttern. Was er auch sogleich wörtlich bekräftigte.
»Ich bitte
um Verzeihung und entschuldige mich für etwaige
Unannehmlichkeiten, die durch mein Erscheinen hervorgerufen wurden.«
Norman beruhigte sich so langsam wieder und Katjas Gesichtsfarbe
wechselte wieder von kreidebleich auf rosarot.
»Sag mal, Lyr, was wolltest du eigentlich
von uns.«, eine berechtigte Frage, die da Norman stellte.
»Von dir, lieber Norman, eigentlich
nichts. Ich wollte nach Katja sehen. Nun, wie ich feststelle, ist sie
auf dem Weg der Besserung, was mich äußerst entzückt
und zufriedenstellt. Wie ich vermute, hast du Katja bereits von den
Nachwirkungen erzählt, nicht wahr, Norman?«, kam etwas
eifersüchtig klingend von Lyr rüber, was Norman fast nicht glauben konnte. Ein waschechter und
eifersüchtiger Androide. Unglaublich, aber wahr, dachte sich Norman.
»Ja, Lyr, das habe ich. Aber sieh doch
selbst, einen Trost scheint es ihr nicht zu geben. Na ja, die
Hauptsache ist doch, dass es ihr bald wieder besser geht.«
»Ganz bestimmt sogar. Ihr könnt
euch auf mein Wort verlassen.«
Irgendwie klang Lyr heute etwas durcheinander,
es hörte sich bei seinen Antworten alles irgendwie ironisch an.
Norman und Lyr blieben noch so lange bei Katja, bis es ihr besser
ging, sie wieder sehen und aufstehen konnte.
»Na, Schwesterchen, wie ich dir gesagt
hatte, es kommt alles wieder in Ordnung.«, gab Norman
erleichtert zu seinem Besten. Katja sah Norman die Erleichterung an
und sie dachte noch eben, wie sehr sie ihn doch lieb gewonnen hatte
und wie heilfroh sie doch darüber war, dass sie nicht alleine
auf dieser Reise unterwegs sein musste. Natürlich meinte sie
ihresgleichen, also dass ein Mensch sie bei diesem Abenteuer
begleitete. Noch hinzu kommt, wie wir längst wissen, dass dieser
Mensch ihr Bruder war. Lyr hingegen stand regungslos neben den
beiden und horchte der Dinge, indem er aufmerksam und beobachtend zu
lauschen schien. Gerade wollte Katja Lyr dem Androiden eine Frage
stellen, da hallte plötzlich ein in den Ohren quälender und
bis ins Mark erschütternder Ton durch die abstrakten und
flurähnlichen Gänge. Norman und Katja sahen sich und dann
hilfesuchend und zu Tode erschrocken Lyr an. Doch mit
Entsetzen mussten sie erkennen, dass in diesem Augenblick anscheinend mit Lyr
nicht zu rechnen war. Denn nun verhielt er sich ganz
anders, als sie ihn kannten. Ja, als sie ihn bisher gewohnt waren.
»Norman, schau doch mal Lyr an. Was hat
er denn plötzlich. Ob es mit diesem Geheul zu tun hat?«
Norman befand sich da mit Katjas Meinung im Einklang. Beide sahen
sich Lyr stumm und verdutzt an.
»Norman, schau, was ist denn mit Lyrs
Augen? Sie leuchten ganz anders als sonst!«, stellte Katja
sehr aufgewühlt fest.
Und als auch Norman Lyrs Augen sah, zog er
reflexartig Katja beiseite. Norman sah, wie Katja am ganzen Leib
zitterte und versuchte sie zu beruhigen, indem er sie wieder einmal ganz fest in
die Arme nahm. Er blieb jedoch hochkonzentriert
und ließ Lyr nicht aus seinen Blickwinkeln. Das konnte nur
von Vorteil sein, falls dieser Androide aus irgend einem Grund außer
Kontrolle geraten sollte. Vielleicht, so dachte sich Norman, war
dieser Quälende Ton eine Art Alarm, eine Art Warnung für
alle, die sich an Bord dieses Raumschiffes befanden. Dennoch konnte
sich Norman keinen Reim aus Lyrs Verhalten machen. Ein normales
Verhalten seitens Lyr wäre doch gewesen, wenn er zumindest die
beiden aufgeklärt hätte, oder sich zumindest schützend
vor sie zu stellen. Natürlich, so verrückt es auch klang,
machte sich Norman dennoch um Lyr Sorgen. Und da waren sich
Norman und Katja beiderseitig einig, dass nämlich, wenn Lyr
einen ernsthaften Schaden durch diesen quälenden Ton davongetragen
hatte, er unschuldig an dieser und seiner Situation
war. Aber wie jeder weiß, sind Vermutungen nicht mehr als fehlende
Informationen, die man als Beweise nicht geltend machen konnte. So blieb
den beiden nichts anderes übrig, als dem Geschehen beizuwohnen
und mit Lyr irgendwie in Kontakt zu treten. Was Norman sofort begann,
in die Tat umzusetzen.
»Lyr, was ist denn mit dir los?«,
schrie Norman aus ganzer Kehle. Doch Lyr gab keine Antwort.
»So kommen wir nicht weiter, Katja, ich
muss etwas unternehmen.« Als Katja das hörte, bekam sie
mächtig große Augen.
»Wa... was willst du? Du wirst mich doch
jetzt nicht alleine lassen, oder?«
Katja fand Normans Plan,auf eigene Faust
etwas zu unternehmen,gar nicht gut. Noch in diesem Moment packte sie
Norman am Ärmel. Sie wollte unbedingt
verhindern, dass Norman sich in Gefahr begab. Im Nu schnellte Lyr wie
von Sinnen, ja, wie von einem Blitz getroffen, in Richtung der
beiden. Dann blieb er kurzerhand vor den beiden stehen. Als Norman
plötzlich Lyrs Aktion sah, gab er dem Ziehen von Katja an
seinem Ärmel freiwillig nach und ging wieder in die
ursprüngliche Ausgangsposition. Norman hatte bei Lyrs Vorstoß-Aktion
den Eindruck, als wolle er ihn daran hindern, sich aus dem Zimmer zu
begeben. Norman glaubte zu sehen, dass Lyr eine Gefahr zu wittern
schien, sofern er überhaupt dazu fähig war. Wenn dies
zuträfe, dann ging die Gefahr nicht von Lyr aus, sondern von
etwas ganz anderem. Auch auszuschließen war dann die von Norman
angenommene Beschädigung des Androiden, also dass Lyr eine
Fehlfunktion hatte und somit eine Potentielle Gefahr für Katja
und sich selbst darstellte. Nein, es musste eine weit größere
Gefahr sein, eine Gefahr, die vielleicht die gesamte Besatzung
betraf. Zwei Gedanken beschäftigten Norman in diesem Chaos. Zum
einen, wieso schlugen seine Ahnungen nicht Alarm. Die Vorahnungen, die
ihm stets zur Seite standen und ihn nie im Stich zu lassen
pflegten. Und zum anderen, wie sollte er sich mit Katja in diesem
Extremfall ohne seine übersinnlichen Wahrnehmungen angesichts
der Gefahr, die ja alle betraf, verhalten. Und wie es nicht anders
sein sollte, stellte ausgerechnet Katja jene entscheidende Frage.
»Was sollen wir denn jetzt tun, Norman?«,
durchaus eine logische Fragestellung seitens Katja.
»Abwarten.«, antwortete Norman
mit einem Hauch von Ironie.
»Abwarten? Was meinst du mit abwarten?«,
klang Katja wütend.
»Na eben, abwarten.«, eine
durchaus einsichtige Schlussfolgerung von Norman,
die aber Katja nicht im Geringsten mit Norman
teilen konnte.
»Norman, was ist mit dir los, hast du
vergessen, die Datenflut in deinem Gehirn zu koordinieren? Ich mache
mir fast ins Höschen und du willst hier noch lustig sein. Ich
jedenfalls finde es gar nicht komisch. Nein, überhaupt nicht
komisch. Wenn das so weitergeht verliere ich noch die paar
Gehirnzellen, die mir die Dogon gelassen haben.«
In Normans Gesicht zeichnete sich eine Miene
des Erstaunens ab, so dass es nicht verwunderlich war, dass er in
diesem Augenblick kein Wort mehr herausbrachte. Mit allem hätte
er bei seiner Schwester Katja gerechnet, aber dass sie so flink im
Gebrauch der schnellen Sprache sein würde, nein, niemals.
»Entschuldige bitte, ich wollte dich ja
nur ein bisschen aufheitern.«
Jetzt begriff sie nichts mehr.
»Wir sind offensichtlich in höchster
Gefahr und was machst du, du machst auch noch Witze. Kannst du mir
mal sagen, was an dieser Situation lustig sein soll?«
Norman hatte einen ganz bestimmten Grund, eine
Eigenschaft, die ihm sagte, dass er und Katja sich nicht zu fürchten
brauchten, denn in einem kurzen Augenblick hatte Norman wieder eine
Ahnung. Er hatte eine Vision, die ihm leise in seinem Innersten
zuflüsterte, dass Katja und seine Wenigkeit sich nicht in Gefahr
befanden. Norman war, was seine Vorahnungen und Visionen betrafen,
immer sehr misstrauisch. So kam es, dass er seine eigene Art der
Betrachtung aller seiner Ahnungen und Visionen auf eine Weise zu
lösen versuchte, die fortwährend nach einer logischen
Erklärung suchte. Und diese unbestechlichen Visionen verrieten
ihm in einem tiefen Gefühl, dass sogar diese Gefahr nicht
innerhalb des Raumschiffes sich einher zu schleichen schien,
sondern von außerhalb. Von weit, ja weit, weit aus den Tiefen
des unendlichen Universums. Es war für Norman eine klare Antwort
auf seine Fragen. Er genoss dieses Gefühl, dass sich Katja und
seine Wenigkeit, zumindest vorübergehend in Sicherheit
befanden. Doch, wenn er sich seine Schwester genauer ansah, die
bibbernd neben ihm zusammengekauert saß, konnte er keinerlei
Erleichterung erkennen. Jedoch nach einer Weile war es ihm gelungen
sie zu beruhigen, obgleich seine Schwester den Eindruck erweckte,
dass sie den Verstand verloren habe. Doch dann, von einer auf die
andere Sekunde, verhallte dieser quälende, ätzende, in den
Ohren schmerzende, bis ins Knochenmark eindringende Ton. Einsamme
Stille herrschte nun, und sie verließen den Wohnraum von Katja.
Es war so still geworden, dass Norman und Katja gleichermaßen
ihr Atmen hören konnten. Diese Stille war trotz alledem
bedrückend.
Auf einmal wie aus dem Nichts schallend:
»Fürchtet euch nicht, meine
Freunde. Es ist alles in Ordnung.«
Norman und Katja dachten, sich verhört zu haben.
Besonders Katja machte nicht gerade einen fröhlichen
Gesichtsausdruck.
» Ich glaub, mich streift ein Bus!«,
stammelte Katja in burschikosem Verhalten daher.
»Sag mal, was bildest du dir überhaupt
ein. Was ist über dich gekommen? Warum lässt du uns im
Stich, wenn wir dich brauchen?«
Doch Lyr gab keine Antwort.
» Ich dachte, du seist für uns
verantwortlich und das in jeder Lage. Und Norman ist da mit
Sicherheit ganz meiner Meinung. Immer wenn es ein bisschen
gefährlich wird, bist du, unser Freund und angeblicher Berater,
urplötzlich nicht aktiviert oder gar außer Reichweite.
Wie finde ich denn das?«
Katja befand sich mal wieder außer Rand
und Band, sozusagen außer Stande sich zu beherrschen. Sie
geriet in solch eine Rage, dass Norman befürchten musste, seine
Schwester würde im nächsten Augenblick Lyr wie eine
Raubkatze anfallen.
»Katja, beruhige dich doch endlich. Du
wirst noch einen Nervenzusammenbruch bekommen, wenn du dich
weiterhin so aufregst.« Doch Katja dachte gar nicht daran,
sich zu beruhigen.
»Was, ich soll mich beruhigen? Norman,
ich würde dir raten, diesen Androiden in eine Schrottpresse zu
schmeißen und seine noch verwertbaren Einzelteile für
neue elektronische Staubsauger zu verwenden. Mann, dieser elende
Schrotthaufen ist doch das Letzte.«
»Katja, ich kann durchaus deine
Erregung verstehen. Aber auf deine Bemerkung zurückzukommen,
dass ich euch im Stich ließ, muss ich Einwände
erheben.«
Tja, Lyr hatte wohl seine Gründe, sich in dieser anscheinend
gefährlich wirkenden Situation so zu verhalten.
»Lyr hat Recht, Katja.«, gab
Norman vernünftigerweise zu.
»Ach, jetzt stellst du dich auch noch
gegen mich?«, entgegnete Katja erzürnt.
»Jetzt mach mal halblang. Keineswegs
stelle ich mich gegen dich. Was ich meine: Es ist doch besser, Lyr
erst einmal zuzuhören, als ihn fälschlicherweise im
voraus zu verurteilen. Also, was sagst du dazu, Katja?«
Norman sah seiner Schwester ganz tief und lieb
in die Augen, so dass sie beschämend und mit rot gewordenen
Wangen ihren Kopf sinken ließ und noch einmal tief Luft holte.
»Na gut, einverstanden, da bin ich aber
mal gespannt, was dieser Blechhaufen zu sagen hat.«
Auch Norman begann von menschlicher Seite
her an Lyrs ehrlichem Verhalten ein wenig zu zweifeln, dennoch
spürte er, dass Lyr genau wusste was er tat.
»Meine Liebe, mit dem Wort Blechhaufen
muss ich dich enttäuschen, da ich zu keinem Prozent aus Blech
bestehe.«
Katja und auch Norman war es nicht entgangen,
dass Lyr immer öfter menschliche Züge und Verhaltensweisen
annahm. Plötzlich hielt Lyr in seinem Gespräch kurz inne.
»Ich erkläre euch gleich, was es mit
dem Alarm... Einen Moment bitte, ich bekomme gerade eine Botschaft
von unserem Heiligen Xarmax herein.«
»Eine Botschaft vom heiligen Xarmax?«,
warf Norman leicht erstaunt ein und guckte Katja verblüfft
an.
Die dem aber nichts hinzufügte, was zu
ihrem Charakter gar nicht so recht zu passen schien.
»Ja, eine Botschaft vom heiligen Xarmax.
Er wird gleich durch mich zu euch sprechen.
Dann leuchteten Lyrs Augen heller als vorher.
»Ich, Xarmax vom Planeten Goderijan, grüße
euch. So höret:
»Die Intelligenz von euch Menschen ist wirklich
bemerkenswert. Dennoch nutzt ihr nur einen Bruchteil eures
Potentials. Der Erdenmensch besitzt so viel Kraft und dennoch so
wenig Verständnis, was man damit anfangen kann. Ihr versucht die
Verborgensten Winkel in allen Ursachen des Seins zu erforschen. Aber
wie uns eure bisherigen Geschichtsepochen zeigen und beweisen,
entzieht sich das unser aller Logik. Ihr Menschen verhaltet euch
sehr merkwürdig und in den meisten Fällen auch äußerst
feindselig gegenüber dem Neuen und nicht Erklärbaren. So
sei es. Wir haben und werden uns niemals das Recht herausnehmen,
eure Lebensart und Lebensweise zu beeinflussen. Außer
natürlich mit geringfügigen Ausnahmen, die aber
niemanden von eurer Spezies Schaden zufügen werden.
Dennoch, vielleicht zeichnet euch genau dieses Verhalten und
diese Eigenart aus, dass ihr so fabelhafte Überlebenskünstler
seid. In allem seht ihr Erdlinge feindliche Gesinnung, Verrat und
Untreue eures Nächsten gegenüber. Auf der einen Seite
vertretet und verkündet ihr in so vielen Sprachformen Liebe
und Freundschaft. Und auf der anderen Seite tretet ihr sie wiederum
mit euren Füßen. Doch trotz alledem leuchtet da ein Licht
in jedem einzelnen von euch, ob er gut ist oder gar böse. Wir
wissen, schwer ist euer Lebenslos, viele von euch sind einsam, ja
einsam und alleine, immer im Drang zu überleben. Nur für
einen Augenblick seid ihr vereint, vereint als Ganzes während
eurer Vermehrung. Doch ist es nicht zu spät, die Grenzen der
Macht des Hasses zu zerbrechen und zu vergraben für alle Zeiten
und die Ewigkeit. Nach der absoluten Macht des Kollektiven müsst
ihr trachten. Ergreifen und halten sollt ihr die neu gewonnene
Einigkeit zwischen allen Völkern eures Planeten, um die Macht
der Liebe in allem was euch umgibt zu vereinen. Vergesst nie, ihr
seid auf der euren Welt und das genau wie wir und so vielen, vielen
anderen Spezies im unendlichen Kosmos, nur Gäste auf diesem
Planeten, den ihr Erde nennt. Der auf dem Weg der Evolution bis hin
zu seiner Vollkommenheit ist, im Zusammenspiel mit der Schöpfung.
Es liegt ganz alleine in eurem Herzen versteckt und es ist jedem
einzelnen selbst bestimmt und überlassen, davon Gebrauch zu
machen. Den vollkommenen und einzig wahren Weg zu gehen. Seid euch
meinem Mitgefühl zur Unreife der daraus entstehenden Fehlern
eures Zeitgeschehen gewiss.
Als Xarmax, der Heilige von Goderijan, seine
Botschaft beendet hatte, füllte wieder Stille den Raum. Norman
und Katja waren über diese Botschaft zutiefst betrübt, da
sie erkennen mussten, wie wahr doch dieser heilige Xarmax sprach.
Viel zu viele Kriege geschahen auf dem Planeten Erde und wird es
noch geben. Sie werden sich wie Schatten des Bösen auf den
Menschen legen. Wie viel Elend und Hungersnöte hätten
verhindert werden können. Anstatt nach dem zu greifen, was der
heilige Xarmax lehrte. Stattdessen greifen die Menschen lieber nach
Macht, dem schnöden Mammon, und fast ohnmächtig nach
Ansehen, Ruhm, Anerkennung und nach sinnlosem Schmöker. All
das ohne Rücksicht auf Verluste. Genau so wie er es
beschrieb, so waren die meisten Menschen. Eine Schande, wenn man
bedenkt, dass es der Mensch selbst in der Hand hat, alles zu
verändern und zwar im guten Sinne. Für sich selbst und als
Gast des Planeten Erde.
»So, meine Lieben, jetzt will ich euch
erklären, was es mit dem Alarm auf sich hatte. Dieser
erschütternde Ton, den ihr da gehört habt, ist sozusagen unser
Vorwarnsystem.«
»Was für ein Vorwarnsystem denn,
und wofür?«, seufzte Katja bei dieser Frage.
Und selbst Norman, den fast nichts aus seiner Ruhe brachte, horchte
neugierig auf.
»Geduld,
Katja, Geduld! Es begann damals vor ungefähr 22 Quantons, das
ist in eurer Zeitrechnung ungefähr 1600 und, um genauer zu sein,
1601 Jahren. Schon in jener Zeit waren wir Goderijaner, oh... ich
Dummerchen, verzeiht doch bitte meinen Ausrutscher, was ich meinte,
ist, dass wir Dogon, schon um einiges an technischem Wissen, den uns
bekannten Völkern im Universum weit voraus. In der
Erkundung des Weltalls durchquerten wir mächtig ausdehnente
und nie enden wollende Quadranten, ja riesige Zonen in denen
Milliarden von neuen Welten hätten Platz gefunden. Und es ging
weiter und nach den Quadranten folgten enorme Quaduzanden-Zonen.
Doch dies zu erklären würde jetzt zu lange Zeit in
Anspruch nehmen. Nun, wir stießen dabei in bisher
uns ungeahnte Gefilde tief in den Raum anderer Galaxien
ein. Damals verdankten wir unsere Erfolge den von uns erfundenen
Materieproxionen, mit denen wir noch nie dagewesene
Geschwindigkeiten erzielen konnten, die jeglicher Vorstellungskraft
trotzten. Wir stellten in exakt regelmäßigen Abständen
Expeditionen auf, die wir in sämtliche bekannten und
unbekannten Winkel des gigantischen Kosmos aussandten. Schon nach
ein paar Jahren, und das wiederum in eurer Zeitrechnung gemessen,
bekamen wir die ersten Entdeckungsberichte aus jedem
erdenklichen Bereich des so unendlich großen Universums zugesandt. Alles
schien in bester Ordnung zu sein. Bis uns auffiel, dass ein Bericht
einer unserer Expeditionen fehlte. Daraufhin sandten wir einen
Ruf-Kontakt zu dieser Expedition, doch auch dies verlief ohne Erfolg.
Sodann, als letzte Maßnahme sandten wir eine
Rettungsexpedition in den Quadranten, wo sich die Vermissten zuletzt
aufhielten. Zu unserem Unglück kehrte auch diese
Rettungseinheit nicht mehr zurück. Keiner konnte sich dieses
Unglück vorstellen. Selbst unser kollektives
Zusammengehörigkeitgefühl, das uns stehts fühlen
ließ, wenn irgendeiner von uns sich in Not befand, ließ
uns in dieser Sache im Stich. Jegliche Möglichkeit, die wir zur
Rettung unserer Expedition beitrugen, war von vornherein zum
Scheitern verurteilt. Bis es uns gelang, eine Art Sonde in diesen
fraglichen Quadranten zu schicken. Die uns, bis auch sie in den Tiefen
verschwand, wenigstens einige Aufzeichnungen und Daten senden
konnte. Als wir diese Aufzeichnungen und Daten ansahen und
ausarbeiteten, blieb uns, wie ihr Menschen immer beliebt zu sagen,
einfach die Spucke weg. Darin sahen wir ein riesig großes, ja
ein überdimensionales Feld, das aus einer, trotz vorhandener
Daten, uns unbekannten Energie bestand, die nur in diesem
kosmischen Gebiet vorkam. Die enorme Größe,
dieses Energiespektrums oder sagen wir einmal, Energiefeldes, das
sich fast über den ganzen vorhandenen Bereich erstreckte, verhinderte
bislang jedwede Passage durch dieses ausdehnungsräumliche
Gefilde. Und jetzt kommt der eigentliche Grund unseres
Vorwarnsystems. Da wir sehr nahe an diesem Quadranten, in dem sich
dieses uns gegenüber feindlich verhaltende Energiespektrum befindet,
mit unseren Raumschiff herankommen und müssen, besteht die
Gefahr, dass wir in die Gravitation dieses Feldes geraten, von ihr
angezogen und somit vollständig zerstört würden.«
»Aber, wieso wählt ihr denn nicht
einen anderen, also einen ungefährlicheren Weg nach Hause? Ich
meine, das Weltall ist doch enorm riesig, ja unendlich, oder?«
Eine kluge und auch eine berechtigte Frage, die da von Norman herüberkam.
»Gar kein schlechter Gedanke, Norman,
dennoch für uns zwecklos. Wir müssen an dieser Gefahr
vorbei, da sich in unmittelbarer Nähe unsere Passage und die
dazu gehörende Zeitschleife befindet. Es ist so eine Art
Weltraumfahrstuhl. Und das, meine Lieben, kann ich euch beim besten
Willen nicht erklären. Selbst ich bin auf dieses Wissen nicht
programmiert worden. Es ist, so wie ihr es zu sagen pflegt, top secret.
Und nun komme ich ins Geschehen. Sollte unser
Schiff gefahr laufen in dieses Gravitationsfeld einzutrudeln,
sozusagen einzutauchen oder ihm zu nahe zu kommen, schaltet sich
unser automatisches Vorwarnsystem ein und übermittelt diese
Gefahr direkt an sämtliche speicherfähigen, na sagen wir
mal, elektronischen Gerätschaften also auch an mich, wobei ich
mich automatisch ins System einbeziehe und das Raumschiff durch
meine eingebaute Steuerung aus dieser Gefahrenzone heraussteuere.
Gleichzeitig werde ich praktisch auf Sparflamme geschaltet,
deshalb bekamt ihr keinerlei Reaktion von mir, als ihr es euch so
sehr erhofftet. Ich hoffe, ihr tragt es mir nicht nach.«
Lyr wartete schließlich auf eine
Antwort von den beiden. Besonders von Katja, die ja Lyr über
alle Maßen als elektronisches Ersatzteillager für
Staubsauger degradierte. Nicht nur Lyr, nein, auch Norman sah ganz
scharf in Katjas errötendes Gesicht, das sich zunehmend zu
einem Schauspiel der puren Traurigkeit mimte.
»Lyr, es tut mir Leid, ich...«
»Es ist schon gut, Katja. Alles vergeben
und vergessen. Ich hoffe, dass wir weiterhin gute Freunde bleiben.«
Lyrs Reaktion auf Katjas Entschuldigung verblüffte sie doch sehr.
»Aber natürlich Lyr, bleiben wir stehts Freunde.«
»Na also, warum denn nicht gleich so.«,
warf Norman freudig ein.
»So, ich glaube, dass es nun Essenszeit
für euch beide ist. Ich begleite euch noch in den Speisesaal.
Ich hoffe, dass ihr einen Mordshunger mitbringt, denn ihr werdet
heute mit Freude erwartet.«
»Von wem denn?«, wollte Katja
wissen.
»Na, von fast allen Dogon!«,verkündete
Lyr mit einem stolzen Gesichtsausdruck.
»Oh Mann, ich bin ja nicht einmal passend
Angezogen!«
Katja war es schließlich so gewohnt,
sich bei einem Essen schick und fachgerecht anzukleiden. Und das
gleiche galt auch für Norman.
»Aber nicht doch, bei uns hier spielt
das doch keine Rolle.«, erwiderte Lyr.
»Vielleicht spielt es für euch
keine Rolle, für mich aber schon. Du und Norman, ihr könnt
meinetwegen wie die Gammler herumlaufen, ich jedenfalls nicht, ich
werde jetzt auf mein Quartier gehen und mich frisch machen.
Anschließend werde ich mich ganz schick ankleiden. So, und
damit basta. Irgendwelche Einwände?«
Norman und Lyr sahen sich achselzuckend und
hocherfreut darüber an, dass Katja endlich wieder die Alte war.
»Nein? Gut, und Tschüss!«
Norman holte tief Luft.
»Tja, Lyr, ich glaube, jetzt haben wir
unsere sprunghafte und agile Katja wieder. Oder was meinst du?«
»Ja, Norman. Das ist sehr wichtig für
ihr Wohl. Norman, müssen wir sehr lange auf Katja warten?»,
erkundigte sich Lyr ungeduldig.
»Och, weißt du, Lyr, die Frauen brauchen
immer etwas länger als wir Männer. Aber ich schlage vor,
dass wir trotzdem auf Katja warten.«
Und als Katja fertig umgezogen war, gingen die drei zum
Mittagsessen.
Kapitel 8, Das Radioteleskop-Signal
Anfang und Kapitelübersicht
© 2012 by Peter Althammer
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