Kapitel 14
Besuch vom Heimatplaneten Erde
Wieder in einer anderen und so fernen Zeit, auf dem Mutterschiff der Dogon:
Das Erwachen
»Katja, Katja, aufwachen!«, hallte
es in Katjas Ohr, wie von einem Echo klingend. Katja hob ihren
rechten Arm, doch er fühlte sich schwer wie Blei an, und sie ließ
ihn wieder in seine Ursprungshaltung fallen. Ganz allmählich
zog sie ihre Beine zu ihrem Körper an, doch auch diese wollten
nicht willig sein.
»Ganz ruhig, Katja, es wird dir bald
wieder besser gehen.«, hallte eine ihr bekannte Stimme
entgegen. Katja verzog ihr Gesicht zu einer schmerzhaften Mimik.
Jeder einzelne Knochen im Leibe schien sie zu schmerzen. Ihre Augen
brannten wie Feuer. Das Atmen fiel ihr schwer und sie schien aus
allen erdenklichen Poren zu schwitzen.
»Was ist geschehen?«, stellte Katja die Frage.
»Es wird bald besser, beruhige dich,
Katja.«, hallte wieder eine bekannte Stimme in ihr rechtes
Ohr. Katjas Gedanken kreisten wie in einem Karussell, und es fiel
ihr schwer, ihre Gedanken zu ordnen.
»Lyr, Lyr, bist du es?«, fragte Katja ängstlich nach.
»Ja, Katja, ich bin es. Bleibe noch eine
Weile liegen. Es wird bald besser werden und die Schmerzen werden
nachlassen.«, riet ihr Lyr mitfühlend.
»Lyr, was ist mit Norman, warum kann ich
ihn nicht hören?«, erkundigte sich nun Katja besorgt.
»Mache dir keine Sorgen, Katja. Norman
ist noch nicht zu sich gekommen.«, fügte Lyr unbeschwert hinzu.
»Wieso, ist ihm was passiert, Lyr?«,
bekam nun Katja um ihn Angst.«
»Aber nein, Katja, Norman geht es gut. Du
musst wissen, dass es bei manchen eben etwas länger dauern
kann, bis sie erwachen.«
»Bist du dir da sicher, Lyr?«, hakte nun Katja, etwas heller geworden,
sorgenvoll nach.
»Natürlich bin ich mir sicher, Katja.«
»Na schön, Lyr, hilfst du mir mal
bitte, aus diesem Sarg herauszukommen?«
»Aber gewiss doch, liebe Katja.«,
schmeichelte Lyr und half ihr aus dem Sarkophag heraus.
»Sag mal, Lyr, was ist denn mit dir los?
Gibt es denn einen besonderen Grund, so zu schmeicheln?«,
wollte Katja wissen.
»Aber natürlich nicht, ich lese
gerade von meinem Speicher, dass ihr Menschen das Schmeicheln sehr
gerne zu haben scheint, also tat ich es.«, kommentierte Lyr.
»So, wenn du meinst Lyr.« Während
Katja noch auf dem Podest neben ihrem Sarkophag stand und ihre Beine
ausstreckte da guckte auch schon Norman aus der Öffnung seiner
Schlafstätte.
»He, ihr beiden da, ich höre euch
schon seit längerem zu. Trotz eurer Sorge um mich wäre es
doch sehr nett, wenn sich nun mal einer um mich hier kümmern
würde!«, beschwerte sich Norman vehement. Dann half Lyr
erst einmal Katja die Stufen herunter und ging anschließend zu
Norman.
»Darf ich bitten, lieber Norman?«,
und beide gingen ebenfalls die Stufen hinunter. Schließlich
standen wieder alle drei vereint.
»Lass dich drücken, Schwesterchen.«,
und Norman umarmte seine Schwester so sehr, dass sie fast keine Luft
mehr bekam.
»Halt, Norman, du brichst mir noch die
Rippen?«, forderte Katja ihren Bruder auf.
»Sag mal, alles in Ordnung mit dir,
Katja?«, erkundigte sich Norman und prüfte mit einem
strengen Blick, ob an Katja auch wirklich noch alles dran war.
»Lass nur, Norman, außer dass mir
einige Knochen und Wirbel eingerostet sind, fehlt mir, Gott sei es
gedankt, nichts.«, beruhigte Katja nun Norman.
»Es ist Tatsache, dass menschliche
Knochen nicht rosten können.«, berichtigte Lyr mal
wieder.
»Ach du meine Güte, Lyr! Dass ist
doch nur eine Redensart von uns. Wie oft sollen wir es dir noch
sagen, dass du nicht immer alles so wörtlich nehmen sollst?«,
ärgerte sich nun Katja.
»Ah ja, wieder eine Redensart, aber
woher soll ich denn jedesmal wissen, wann es eine Redensart ist?«,
fragte nun Lyr nach, der sich natürlich wieder etwas beschämt
fühlte.
»Überhaupt nicht, Lyr, überhaupt
nicht. Lass deine ständige Fragerei, und dieses Problem wird
sich von selbst lösen, okay?«, ermutigte nun Norman.
»Na schön, ich werde es versuchen,
aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich unter
solchen Bedingungen die Feinheiten eurer Sprache erlernen soll?«,
hakte Lyr wie immer trotzig nach.
»Ja Lyr, lass gut sein.«, fügte Katja gelangweilt hinzu.
»Lyr? Sag bloß, dass die fünfzehn Jahre in dieser Schlafkammer schon vergangen
sind?«, konnte Katja nicht begreifen.
»Natürlich, wenn ihr euch in diesem
Stadium des todesähnlichen Schlafes befindet, merkt ihr
keinerlei Zeitverlust.«, erklärte Lyr begeistert. Ja,
wenn Lyr etwas gerne tat, ist es, etwas erklären zu dürfen.
Da befand er sich in seinem Androiden-Element.
»Mann, Katja, es kommt mir wie ne Minute
vor, ich kann mich sogar noch an unser letztes Gespräch
erinnern, als du gerade deine Jogaübungen beendet hattest. Ist
schon irgendwie komisch, nicht wahr?«, wunderte sich auch
Norman.
»Stimmt, Norman, das geht ruck, zuck.«,
bestätigte Katja, Normans Feststellung.
»Und was kommt jetzt, Lyr?«,
fragte Katja nach.
»Ja, jetzt könnt ihr in eure
Quartiere gehen und euch etwas frisch machen, wenn ihr mögt. Es
wartet bereits ein ausgiebiges Essen im Speisesaal auf euch, reich an Elektrolyten,
Mineralstoffen, Spurenelementen, essenszellen Fetten usw. In einer Stunde solltet ihr euch dort
einfinden. Ihr müsst diese Nahrungsstoffe unbedingt, und das
sehr bald, zu euch nehmen. Euer Körper braucht dies ganz
dringend.«, drängte nun Lyr die beiden.
»Gut, Lyr, du hast ja Recht, aber sei mir
nicht böse, ich muss erst unter die Dusche.«, erwiderte
Katja, worauf sich Norman gleich anschloss.
»In Ordnung, aber vergesst es
nicht, in einer Stunde!«, erinnerte Lyr nochmals.
»Kannst dich auf uns verlassen, ich habe
einen solchen Bärenhunger, dass ich glatt ein ganzes Kamel
auffuttern könnte.«, fügte Katja mal wieder mit
ihren Redensarten hinzu, die sie eigentlich nicht vor Lyr hätte
sagen dürfen.
»Ich weiß schon, alles nur eine
Redensart.«, konterte Lyr.
»Mann, jetzt bin ich aber baff, du lernst
ja schneller als ich und Norman gedacht hatten. Alle Achtung, Lyr,
wir sind richtig stolz auf dich?« Norman zog einmal kurz
und kräftig an Katjas Ärmel.
»He Katja, lob ihn nicht zu viel, sonst
werden noch am Ende seine Schaltkreise durchbrennen.«,
forderte Norman ganz leise, so dass es Lyr nicht hören konnte.
»Ja, schon gut, dann lass uns mal in
unsere Quartiere gehen und den fünfzehn Jahre alten Staub abduschen, okay
Norman?«, veranlasste Katja beherrschend.
»Gut, lass uns gehen.« Dann
schritten die beiden ihres Weges in Richtung der Quartiere. Und
während sie so liefen, fiel Norman etwas auf.
»Sag mal, Katja, fällt dir denn
überhaupt nichts auf?«, wies Norman darauf hin.
»Was soll mir denn auffallen?«, fragte Katja nach.
»Na, wegen Lyr?«
»Wegen Lyr, Norman?«, wunderte sich nun Katja.
»Ja, siehst du denn nicht, dass er uns
überhaupt nicht nachläuft. Ich meine, das tut er doch
sonst immer, oder etwa nicht, Katja?«
»Jetzt wo du es sagst, sonst hatten wir immer
Probleme ihn los zu werden, nicht wahr?«, hakte Katja nach.
Irgendwie kam es den beiden nicht ganz geheuer vor.
»Komm, lass uns nach ihm rufen, dann werden wir schon sehen, was ihm wichtiger ist
als unsere Wenigkeit.«, beschlossen nun die beiden. Gesagt getan:
»Lyr!«, riefen beide im Einklang nach ihm.
Der sich sofort wieder umdrehte und im Sauseschritt vor ihnen stand.
»Ihr habt nach mir gerufen, was ist euer
beider Begehr.«, verkündete Lyr, jetzt hochnäsig geworden.
»Sag mal Lyr, läuft hier im
Mutterschiff vielleicht eine Party ohne uns?«, fragte Katja.
»Party, nicht dass ich wüsste, wie
kommt ihr beiden denn darauf?«, stocherte Lyr nach.
»Nicht doch, Lyr, wir wollten lediglich
wissen, was du vorhast, während ich und Norman sich frisch
machen gehen?«, überzeugte nun Norman.
»Ach so, nun, ich werde im Frachtraum
gebraucht.«, gab er ironisch von sich.
»Im Frachtraum, was sollst du denn im
Frachtraum tun?«, fragte nun Norman neugierig geworden.
»Ist es nicht so, Lyr, dass du eigens für
uns abgestellt wurdest? Ich hoffe, dass du mir meine Ausdrucksweise
nicht übel nimmst.«, drängte sich Katja dazwischen.
»Halt, nun mal einer nach dem anderen,
meine Lieben. Zum Ersten, ich wurde in den Frachtraum beordert, um
die sechs Neuankömmlinge in Empfang zu nehmen. Und zum
Zweiten, genau deswegen bin ich nicht mehr nur für euch
zuständig. Wie ihr feststellen könnt, haben sich meine
Aufgaben erweitert, was mich äußerst zufriedenstellt,
will ich ganz nebenbei bemerkt haben.«, verkündete Lyr
voller Stolz.
»Was? Die sind schon da, Lyr? Im Frachtraum?
Wieso befinden sich unsere Mitmenschen eigentlich in einem von euren
Frachträumen?«, wurde nun Norman leicht wütend.
»Seid unbekümmert, sie befinden
sich in gutem Zustand.«, hatte sich wohl Lyr etwas zu genau
ausgedrückt.
»Was? In gutem Zustand? Ich glaube, mich
verhört zu haben, Lyr?«, erzürnte nun auch Katja.
»Du redest ja über unsere
Kameraden, als seien sie Gegenstände, oder gar ein Postgut,
das finde ich gar nicht nett von dir, Lyr!«, bekräftigte
Norman.
»Ach, ich Dummerchen, verzeiht mir bitte
meine Ausdrucksweise. Ich meinte natürlich, dass eure
Kameraden, wie ihr beliebt sie zu nennen, sich in bester Gesundheit
befinden.«, korrigierte sich Lyr.
»Das will ich auch meinen, Lyr.«,
antwortete Norman schroff.
»Sag mal, Lyr, wann können wir sie
sehen und wo wollt ihr sie eigentlich unterbringen? Ich meine, welche
Quartiere werden sie beziehen?«, bombardierte Katja nun Lyr.
»Ja, klasse, dann schmeißen wir ne
riesige Party, bis das Raumschiff zu wackeln und zu vibrieren
beginnt.«, warf Norman ein.
»Nein, das
geht doch nicht.«, unterbrach Lyr die beiden, die sich jetzt im
Freudenrausch befanden.
»Nein? Wieso nein? Was hast du gegen ne
starke Party, Lyr?«, wollte Katja enttäuscht wissen.
»Sie dürfen nicht geweckt werden.
So der Beschluss des unseren Heiligen Xarmax.« Lyr fiel es
sichtlich schwer, die beiden so enttäuschen zu müssen.
»Was? Wieso beschloss der eure Heilige
Xarmax so einen Mist.«, fragte nun Katja richtig wütend
geworden nach.
»Ja, wie kann er denn so etwas wollen?
Ich meine, er wird doch bestimmt einsehen, dass wir gerne mit ihnen
zusammen sein würden, Lyr?«, warf nun Norman ein.
»Ich kann euch beide ja gut verstehen.
Auch ich finde es schade. Ich könnte mehr konservative
Gespräche führen und somit viel mehr und schneller
eure Sprache und Neigungen erlernen.«, fügte Lyr noch
hinzu.
»Ach es ist ein Jammertal, wie schade.«,
flüsterte Katja ganz leise vor sich hin.
»Sag mal, Lyr, können wir sie
wenigstens sehen?«, fragte Norman nachdringlich.
»Das weiß ich nicht, da muss ich erst
den Hohen Rat fragen. Soll ich es tun?«, vergewisserte sich
Lyr?«
»Ja, ich bitte darum, Lyr. Frage bitte
nach!«, drängte Norman.
»Einen Moment noch, muss mich erst in
den Hauptcomputer einloggen.« In nächsten Moment fingen
Lyrs Augen, wie es Norman und Katja schon so oft an ihm sahen, das
Rollen an und nahmen in seiner azurblauen Leuchtkraft erheblich zu.
»So, das war es.«, verkündete er bescheiden.
»Na, dürfen wir nun, oder dürfen
wir nicht?«, fragten Norman und Katja gleichzeitig.
»Der Hohe Rat beschloss, dass...«
»Bitte Lyr, erspare uns die einzelnen
Floskeln des euren ach so hohen Rates. Verrate uns doch lediglich,
was der hohe Rat denn beschlossen hat?«, forderte nun Norman
hartnäckig.
»Der hohe Rat ist einverstanden. Aber
geht euch erst einmal duschen, danach ist auch noch Zeit.«,
verkündete Lyr stolz und erhobenen Hauptes.
»Na also, Lyr warum denn nicht gleich
so?«
»Es freut mich, dass es euch freut.
Wollen wir uns in einer Stunde vor euren Quartieren treffen?«,
fragte Lyr nach. Und mit einem bejahenden Kopfnicken sahen sich
Norman und Katja an.
»In Ordnung, Lyr, Treffpunkt vor unseren
Quartieren in einer Stunde.«, versicherte sich Norman nochmals.
Dann machten sich Norman und Katja auf den Weg, während Lyr
indessen beschloss, wie schon angedeutet, in den Frachtraum zu
gehen.
Nach wenigen Minuten kamen die beiden in ihren Quartieren an.
»Also, bis gleich, Katja, sprach noch
Norman einen Gruß aus, bevor er in seinem Quartier verschwand.
»Okay, Norman, bis dann also!«, erwiderte Katja und verschwand ebenso
in ihrem Quartier.
Die Stunde ging schnell vorbei, und Norman und Katja warteten schon
eine Weile auf Lyr.
»Sag mal, Katja, ist die Stunde denn nicht
schon um?«, wollte Norman noch wissen. Dann sah Katja
auf ihre Armbanduhr:
»Ne, Norman, wir sind zehn Minuten zu
früh dran.«, gab sie ihm zur Antwort.
»Na, Katja, hätte mich auch
gewundert, wenn Lyr zu spät dran wäre. Er mit seiner
Perfektion!«
»Stimmt, Norman, das wäre sehr ungewöhnlich gewesen.«
Katja bemerkte an Normans Gesichtsausdruck, dass er irgendwie Sorgen hatte.
»Na sag schon, Norman, was ist los mit dir?«
»Wie kommst du denn darauf, Katja?«
»Tu doch nicht so, Norman. Mittlerweile
kenne ich deine Gesichtsausdrücke. Und der, den du jetzt
aufsetzt, gefällt mir gar nicht.«, hatte Katja nicht
einmal so Unrecht.
»Du hast Recht, Katja, weißt du, ich mache
mir um unsere sechs Kameraden Sorgen. Hast du nicht auch das Gefühl,
dass sie da fast schon wie Vieh aufbewahrt werden?«
»Aber nicht doch, Norman, sie sind doch
erst angekommen. Sie werden bestimmt bald in die Schlafkammern
kommen, dort sind sie gut aufgehoben.«
»Genau das ist es doch, was mich
beunruhigt, Katja?«, warf nun Norman ein.
»Norman, kannst du mir sagen, was dich
daran so beunruhigt?«
»Katja, überleg doch mal. Sie
bekommen überhaupt keine Chance, dieses Wunder mitzuerleben.«
»Was für ein Wunder denn, Norman?«
»Na dieses Wunder eben. Katja, sieh dich
doch mal um. Ich meine, wir befinden uns auf einem Raumschiff, das
durch Zeit und Raum reisen kann. Stell dir nur mal vor, wir
befinden uns doch tatsächlich viele Abermillionen von
Lichtjahren von unserem Heimatplaneten entfernt, auf dem Weg zu
einer anderen Welt. Einer Welt von sehr intelligenten Wesen, die
sich anatomisch kaum von der unseren unterscheidet. Außer der
Fähigkeit der Telepathie sind sie uns doch völlig gleich,
oder?«
»Sicherlich, Norman, wenn man es von
diesem Standpunkt aus betrachtet, magst du ja Recht haben,
dennoch beruhigt es mich doch ungemein, dass unsere sechs
Mitmenschen von diesem ganzen Zauber hier nicht viel mitbekommen
werden. Stell dir nur mal diesen Schock vor, wenn wir sie aufwecken
würden. Und was glaubst du, wie würden diese Herrschaften
reagieren, wenn sie sich von einem Moment auf den anderen in eine
ganz andere Zeit katapultiert sähen. Nicht auszudenken, wie ihr
Verstand darauf reagieren würde. Ich glaube, da würden
einige dieser Herrschaften doch glatt den Verstand verlieren. Ich
hoffe, du siehst das ein, Norman. Vertrau mir, es ist bestimmt dass
Beste für sie.«
»Mag ja sein, Katja, dennoch finde ich es schade, dass sie keine Chance
bekommen sollen, dieses Abenteuer miterleben zu dürfen.«
»Wenn dir so viel daran liegt, können
wir ja mal bei Lyr anfragen, was sich da machen lässt.«,
fügte Katja hinzu.
»Glaubst du, dass sich der Rat
hinsichtlich der Neuankömmlinge erweichen lassen wird?«,
wollte noch Norman wissen.
»Tja, der Hohe Rat vielleicht schon,
aber beim Heiligen Xarmax da sehe ich schwarz. Mir scheint, dass
dieser Heilige Mann ganz genau weiß, was er tut.«, stellte
Katja fest.
»Ja Katja, ich glaube, da muss ich dir
Recht geben. Dennoch, einen Versuch sollten wir schon machen. Mehr
als eine Abfuhr können die uns ja nicht geben, oder?«
»Ja, Norman, wenn dir so viel daran
liegt. Trotzdem möchte ich ehrlich zu dir sein. Ich bin noch
immer der Meinung, dass sie nicht aus ihrem Tiefschlaf erweckt
werden sollten. Sie sollten nicht das mitmachen müssen, was
wir beide bereits erdulden mussten. Hast du etwa schon vergessen,
wie viele Todesängste wir beide ausstehen mussten, bis wir
endlich begriffen, um was es hier überhaupt geht?«
»Ja doch, ich kann dich ja verstehen,
Katja. Doch es gibt nicht nur Negatives über unsere bisherige
Reise zu berichten, oder?«
»Sicherlich, Norman, sicherlich. Doch
fürchte ich, dass einer dieser sechs Neuankömmlinge
vielleicht nicht so mitspielen könnte, wie du es dir vielleicht
vorstellst. Und was dann? Die Dogon, und das kannst du mir beruhigt
glauben, wissen genau, was sie da tun. Wir sollten ihnen in ihrem
Unterfangen keinesfalls in den Rücken fallen. Ungeachtet dessen,
dass sie uns entführt haben.«
»Na gut, Katja, du hast mich überzeugt.
War ja nur so ein Gedanke. Vergessen wir es einfach.«
Norman beendete seinen Satz mit einem Seufzer,
der sich so elend anhörte, dass Katjas Herz weich wie Butter
wurde und sie mit Norman Mitleid bekam. Was natürlich Normans
Absicht war.
»Norman, du bist mir vielleicht einer.
Na schön, ich werde noch heute Lyr ein wenig beschwatzen. Wäre
doch gelacht, wenn ich diesen Schrotthaufen an Elektronik nicht
doch für dein Anliegen ein bisschen zurechtstutzen könnte.«
»Danke, Katja, so gefällt mir mein
kleines Schwesterchen.«, belobigte er Katja.
Katja sah wiederum auf ihre Armbanduhr.
»Jetzt müsste doch Lyr bald kommen,
oder?«, fragte er Katja abermals.
»Lyr hat noch ganze zwei Minuten, Norman?«
»Mann, dieser Androide muss auch immer
auf den letzten Drücker kommen.«, murmelte Norman in sich
hinein, während er seine beiden Hände aneinanderrieb, als
würde er frieren.
»Ah, sieh mal einer an, da kommt er ja.«
»Ja, ich kann ihn sehen. Sieh nur, Norman,
wie er dahin schreitet, elegant und wie immer mit erhobenem Haupte.«
»Ja Katja,
ich finde ihn richtig putzig, wenn er das tut. Ein künstlicher
Dogon, der ein Gefühl des Stolzes zeigt, unglaublich.«
»Mich würde mal interessieren, ob
es bei ihm nur ein gespeichertes Verhalten ist oder ob er wirklich
und wahrhaftig so etwas wie Gefühle empfinden kann.«,
fügte Katja noch hinzu.
»Du kannst ihn ja mal bei Gelegenheit fragen, Norman.«
»Worauf du dich verlassen kannst, Katja.«
»Ah, wie ich sehe, wartet ihr schon
ungeduldig auf meine Ankunft. Nun denn, meine Lieben, lasset uns in
den Transportraum schreiten. So folget mir.«, forderte Lyr
die beiden auf und ging in müßiggängerischen Schritten
voraus. Wieder ging es in einen dieser unzähligen Lifte, die auf
dem ganzen Raumschiff, also in sämtlichen Etagen verteilt
waren, wo man nur mit den Händen zu Klatschen brauchte, um nach
oben oder unten zu fahren. Diesmal ging es scheinbar in einen
Bereich, wo Norman und Katja noch niemals waren. Dort angekommen,
die Fahrt dauerte ungefähr drei Minuten, führte Lyr
Norman und Katja durch einen langen und sehr hell erleuchteten Gang.
Katja hatte ein schönes rotes und mit vielen bunten Blumen
verziertes Kleid an, das gerade mal bis zu ihren Knien reichte. Sie
fühlte einen leichten und angenehmen kühlen Windhauch über
ihre nackten Unterschenkel streicheln, der dabei den Saum ihres
Kleides ein wenig umherflattern ließ. Weiter, immer weiter
ging es in dem tunnelähnlichen Gang, der durch die hellen und
gelbweißen Lichter reflektierend schimmerte und glänzte.
Diese Art Flutlichter, die an den linken und rechten Seitenbereichen
der Tunnelwände in Hüfthöhe angebracht waren und
dadurch das optische Gefühl vermittelten, nicht enden zu
wollen, füllten den Hohlraum mit einer angenehmen Wärme.
So gingen sie eine ganze Weile lang, schweigend und doch sehr
angespannt, zumindest was Norman und Katja anging. Plötzlich
blieb Lyr stehen und hielt in seinem Schritt inne. Lyr wandte sich
Katja und Norman zu.
»So, meine Lieben, wir sind gleich da.
Bitte erschreckt nicht, wenn ihr die Neuankömmlinge seht. Sie
befinden sich nämlich in einem eigens dafür gefertigten
Behältnis. Aber seid gewiss, ihnen geht es sehr gut.«
Trotz des Versuchs seitens Lyrs, pochte den
beiden der Puls bis in den Hals. Gespannt und mit weit aufgerissenen
Augen sahen Katja und Norman zu, wie sich allmählich die
pulsierende Wand aus Licht, die ihnen die Sicht ins Innere des
Frachtraumes versperrte, langsam aber stetig vor ihnen aufzulösen
begann, so dass sie freie Sicht in das Innere des Frachtraumes
bekamen. Mit langsamen Schritten und weichen Knien, gefolgt von Lyr
dem Androiden, schritten die beiden in den hinein. Lange Zeit
war es doch her, dass sie Ihresgleichen begegneten. Norman und Katja
sahen sich wortlos in die Augen, nachdem sie die sechs
durchsichtigen Behältnisse auf dem schwarzen und kahlen Boden
am Ende des Frachtraumes nebeneinandergereiht erspähten.
Eine ganze Weile lang starrten sie ohne einen Kommentar
auf diese sechs durchsichtigen Behältnisse, die irgendwie
Särgen glichen. Katja beschloss, näher an die Behältnisse
heranzugehen. Dann ging sie nach links zu dem ersten Behälter
und beugte sich herab, um den darin liegenden Menschen besser sehen
zu können. Dann lief sie einen nach dem anderen Behälter
ab, bis sie plötzlich beim vorletzten abrupt und erschrocken
stehen blieb.
»Katja, was ist denn, was hast du denn?«,
eilte Norman mit dieser Frage zu Katja.
»Ich glaube es einfach nicht, ich kann
es einfach nicht glauben. Wie klein doch unser Planet ist!«,
wiederholte sie immer wieder. Norman beobachtete Katjas Verhalten
aufs Genaueste und kam zu folgender Frage:
»Sag mal, kennst du vielleicht einen
davon?«, erkundigte sich Norman neugierig.
»Ja, Norman, dieses Mädchen da, die kenne ich.«
Da staunte Norman nicht schlecht, als er das von Katja zu hören bekam.
»Was, dieses Mädchen kennst du?«,
fragte Norman erneut.
»Ja, Norman, das Mädchen kenne ich.
Es ist die gelähmte Sarah Hübner.«
»Oh Mann, du hattest Recht, als du vorhin
sagtest, wie klein doch unser Planet sei. Was für ein Zufall,
nicht wahr, Katja?«
»Nun, Norman, ob das Zufall ist, wird
sich noch herausstellen. Sie sollen ja angeblich irgend etwas mit
unserem Schicksal zu tun haben.«, äußerte sich
Katja misstrauisch.
»Was meinst du damit, Katja?«, fragte Norman.
»Ach, das erkläre ich dir ein andermal.«
Dann ging Katja einen Schritt weiter zu dem
letzten und sechsten Behälter und auch hier beugte sie sich
ziemlich nah darüber.
»Dachte ich es mir doch!«, und Katja schüttelte ihren Kopf.
»Was dachtest du dir, Katja?«, wollte nun Norman wissen.
»Dass in dem letzten Behälter ihr
Vater liegen muss, und das tuter auch.« Katja konnte
es nicht glauben, dass die Dogon sogar ein schwer körperlich
behindertes Kind entführten. Wenigstens darauf hätten sie doch
Rücksicht nehmen können.
»Woher wusstest du denn eigentlich, dass
auch ihr Vater dabei sein würde?«, fragte nun Norman
neugierig geworden nach.
»Weißt du, Norman, du kennst doch auch Rednizkleineck, oder?«
»Und ob, Schwesterchen, sehr groß
ist es ja wahrlich nicht.«, entgegnete Norman leicht
spottend.
»Genau, Norman, und wie du auch weißt, ist
in so einem kleinen Dörfchen der Klatsch und Tratsch nicht weit
entfernt. Dort weiß doch jeder über jeden Bescheid. Ich kenne
zwar die Familie Hübner nicht besonders gut, dennoch, so viel
ist mir bekannt, dass ihr Vater die Verantwortung und die Erziehung
für seine Tochter Sarah übernommen hatte. Er hat sogar
Sarah zuliebe seinen Arbeitsplatz nach Hause verlegt, so dass es ihm
möglich wurde, sich rund um die Uhr um sie zu kümmern.«,
berichtete Katja.
»Ein guter Vater, den da Sarah
hat. Doch sag mal, Katja, hat sie denn keine Mutter mehr?«
»Sie hat eine Mutter, doch so viel ich
weiß, ist sie Pilotin und daher viel unterwegs. Ab und zu kommt sie
nach Hause.«, sagte Katja aus.
»Armes Mädchen. Ich kann nicht
verstehen, dass es immer wieder Elternteile gibt, die ihr eigenes
Kind wegen eines Berufes im Stich lassen. So ein Kind braucht doch
beide Elternteile und nicht nur den Vater oder nur die Mutter, was
meinst du, Katja?«
»Sicherlich, Norman, da stimme ich dir
voll und ganz zu. Dennoch solltest du dabei bedenken, dass es für
manche Eltern nicht leicht ist, ihr Kind zu vernachlässigen. Oft
gibt es schwerwiegende Gründe für ihr Handeln und Tun.«,
verteidigte Katja Sarahs Mutter.
»Was für schwerwiegende Gründe
könnten denn das Verlassen seines Kindes
aufwiegen?«, kam leicht erzürnt von Norman.
»Nun, wie du ja jetzt weißt, ist Sarah
gelähmt und muss ihr ganzes Leben im Rollstuhl verbringen. Hast
du überhaupt ne Ahnung, was so ein Pflegefall überhaupt
kostet?«, gab Katja von sich.
»Ach so, du meinst wohl aus finanziellen
Gründen?«, vergewisserte sich Norman.
»Ganz bestimmt sogar, Norman.«
»Ach, es macht mich wütend, immer
wieder dieser schnöde Mammon!«, meckerte Norman brummend
in sich hinein.
»Ach Norman, wie Recht du doch hast.«,
erwiderte Katja.
»Ich bemerke, dass euch beiden etwas
bedrückt?«, beendete Lyr das Gespräch von Norman
und Katja, während er sich ihnen näherte.
»Ja, Lyr, was du nicht sagst. Es ist
sicherlich für dich schwer zu begreifen, dass es uns weh tut,
unsere Mitmenschen in einer solchen Situation sehen zu müssen.
Obgleich wir wissen, dass es ihnen gesundheitlich gut geht.«,
gab Katja mit strenger Stimme von sich.
»Durchaus nicht, meine Liebe. Ich bin im
Geiste immer bei euch.«, erwiderte Lyr leicht ironisch.
» Ach Gottchen, wie tröstend.«, lästerte Norman.
»Darf ich vielleicht erfahren, was euch
so viele negative Gedanken bereitet?«, hakte Lyr nach.
»Lyr? Katja hat in zwei von den sechs
Behältern den Vater und dessen Tochter wiedererkannt, die in
der gleichen Ortschaft beheimatet sind, wo auch sie zu Hause ist!«
»Das ist mir bekannt, Norman.«,
gab Lyr mal wieder stolz und eitel zu seinem Besten und das, ohne an
das berühmte Pro und Kontra zu denken.
»Was, das weißt du schon? Aber wieso
hast du uns denn nichts davon gesagt?« Katja kam jetzt erst
recht in Rage.
»Verzeiht, ich hatte mir nichts dabei
gedacht. Ich dachte nicht, dass es für euch von so großer
Bedeutung ist.«, verteidigte sich Lyr.
»Und was
ist mit der Tatsache, dass das Mädchen, das ihr mit verschleppt
habt, querschnittsgelähmt ist? Wenigstens darauf hättet ihr
doch Rücksicht nehmen können, oder?«, konterte nun
Katja sehr aufgeregt.
»Auch das ist mir bekannt, müsst
ihr wissen.«, gab Lyr nun leicht beschämt zu.
»Also, das ist doch... Ich kann es
einfach nicht glauben. Das hätte ich nicht von euch gedacht.«,
äußerte sich Norman sichtlich enttäuscht.
»So beruhigt euch doch. Es wird sich
alles zum Besten wenden und das in jeder Hinsicht.«, gab Lyr
mit einem sonderbarem Lächeln von sich.«
»Was ist mit dir, Lyr, was gibt es da zu
grinsen?«, eine berechtigte Frage, die da Norman Lyr dem
Androiden stellte.
»Nun, meine Lieben, höret und
staunet was ich, Lyr, euch zu berichten habe. Lyr hat eine
Überraschung für euch.«, verkündete er wieder
einmal mit stolzem erhobenem Haupt.
»Eine Überraschung? So so, dennoch
glaube ich nicht, dass du uns heute noch überraschen kannst.«,
wandte Katja ein. Und auch Norman ließ diese frohe Botschaft
kalt.
»Nun höret, der Hohe Rat hat sich
erlaubt, seit mehreren Tagen eure Gedanken zu lesen und hat eure
Sehnsucht und Bedürfnisse aufs Genaueste und interresiert
studiert und analysiert. Und daher kam der Hohe Rat zu dem
Entschluss, einem eurer Wünsche zu entsprechen.«
»Oh Gott, Lyr, mach es doch nicht immer
so spannend und komme doch gleich zur Sache.«, forderte
Katja nun doch etwas neugierig geworden von Lyr.
»Nun gut, so sei es. Der Hohe Rat hat
beschlossen, dass morgen um Punkt zwölf Uhr mittags, natürlich nach
eurer Zeitrechnung, eure Mitmenschen, also Euresgleichen, wie ihr
sie beliebt zu nennen, dass die Neuankömmlinge aus ihrem todesähnlichen
Tiefschlaf erweckt werden sollen.«
Gespannt, ja fast zappelnd wirkend, wartete Lyr der Androide auf eine
freudige Reaktion von Norman und Katja. Doch weit gefehlt. Norman
und Katja brachten vor Erstaunen keinen einzigen Ton heraus. Noch
nicht.
»Ja seid ihr denn nicht erfreut darüber?«, fragte nun Lyr erstaunt.
Plötzlich, und wie von Sinnen, fingen Norman und Katja in dem
Frachtraum zu tanzen und zu singen an.
Lyr hingegen hatte so etwas vorher noch nie
gesehen und war, wie es nicht anders sein konnte, recht verwirrt.
»Ist das ein Ausdruck von Freude?«,
fragte Lyr nun etwas bedrückt nach.
»Natürlich, was denkst du denn, Lyr.
Glaubst du etwa, dass wir darüber unglücklich wären.
Sag mal, weiß denn der Heilige Xarmax etwas davon?«, wollte nun
Norman wissen.
»Aber
gewiss doch, der Hohe Rat musste zwar seine ganze Kunst der
Überredung anwenden, aber schließlich gelang es dem Hohen
Rat doch noch, den unseren Heiligen Xarmax zu überzeugen, dass
es doch sehr wichtig für euer Seelenheil sei. Und wie ihr
bereits wisst, ist es dem unseren Heiligen Xarmax sehr wichtig, euch
gesund und heil auf unserem Planeten Goderijan zu empfangen. Ihr
beide steht im absoluten Vordergrund dieser ach so wichtigen
Mission. Nun gut, jetzt müsst ihr aber unbedingt etwas Nahrung
und sehr viel Flüssigkeit zu euch nehmen, wenn ihr Wert darauf
legt, gesund zu bleiben.«
»Natürlich, Lyr, ganz wie du es
wünschst. Geh voran und wir folgen dir.«
Dann begaben die beiden sich geführt von
Lyr zum Essensraum. Kaum saßen sie an ihrem gewohnten Platz
zu Tisch, fiel den beiden sofort etwas auf.
Sag mal, Norman, fällt dir heute etwas
auf?«, fragte Katja etwas leicht verwundert nach.
»Ja, ich glaube zu wissen, was du meinst,
Katja. Es ist heute etwas still hier, oder?«, erwiderte Norman.
»Still, sagst du, ich würde eher
sagen totenstill. Dann sahen sich die beiden in dem sonst von Dogon
überfüllten Essensraum um, doch niemand war zu sehen.
Menschenleer war diese riesige Kantine.
»Sag mal, Lyr, haben die Dogon heute
keinen Appetit? Oder ist etwas vorgefallen, was wir unbedingt wissen
sollten?«, erkundigte sich Katja.
»Macht euch deswegen keine Sorgen. Sie
sind im großen Konferenzraum. Ab heute Abend werden sie wieder
mit euch dinieren.«, gab Lyr zur Antwort.
Nun sahen sich Norman und Katja wieder einmal
ganz tief in die Augen und dachten vermutlich das Gleiche.
»Was wird denn da besprochen? Etwa
etwas, was wir nicht erfahren sollen?«, erkundigte sich
Norman aufhorchend.
»Ach, ihr Menschen, wie misstrauisch ihr
doch immer wieder seid. Wenn ihr glaubt, es findet ein Komplott gegen
euch statt, dann muss ich euch leider enttäuschen... eine Weile
sah Lyr die beiden ganz ernst an, bis er schließlich zu lachen
anfing.
»Was findest du so komisch an meiner
Frage, Lyr?«, warf nun Norman wütend geworden ein.
»Entschuldigt bitte mein
Fehlverhalten. Nun, Spaß beiseite. Es ist natürlich
meine Schuld. Ich hätte es euch schon früher sagen müssen,
dass wir Dogon nicht nur auf Nahrung und Wasser angewiesen sind, wie ihr Menschen,
sondern...«
»So, auf was sind denn die Dogon noch
angewiesen?«, unterbrach Katja nun Lyr neugierig.
Dann überlegte Lyr, wie er es den beiden
am allerbesten erklären konnte, was sich als gar nicht so
einfach erwies.
»Das ist gar nicht so einfach zu
erklären. Nun gut, ich will es versuchen. Erinnert euch an euer
Leben auf eurem Planeten. Von Kindesbeinen an musstet ihr lernen.
Lernen um euch auf eurem Planeten und in den von euch geschaffenen
Gesellschaften zurecht zu finden. Ich hoffe, ich liege da nicht
falsch und meine Informationen sind richtig...«
»Ja, deine Informationen sind gar nicht
mal so falsch, Lyr.«, unterbrach Katja Lyr erneut.
» So weit, so gut. Doch könnt ihr mir vielleicht sagen, was mit einem
Menschen passiert, dem nichts aber auch rein gar nichts von klein
auf beigebracht wurde?«, eine sehr merkwürdige Frage,
fanden Norman und Katja, die da Lyr ihnen stellte.
»Nun, ich denke, außer dass dieser
Mensch sich nicht in unserer Gesellschaft zurecht finden würde,
höchstwahrscheinlich gar nichts.«, warf Katja als erstes
ein.
»Und was denkst du, Norman, was würde
nach deiner Meinung mit diesem Menschen geschehen?«
»Nun, da gibt es für mich nur eine
Antwort.«, entgegnete Norman.
»Und die Antwort lautet?«, drängte nun Lyr.
»Dieser Mensch bleibt eben dumm?«
»Genau, jede eurer Antworten trifft
für euch Menschen zu. Doch für uns Dogon wäre es tödlich.«
»Tödlich?«, vergewisserte sich Katja kreidebleich.
»Ja, tödlich. Wir Dogon können
es uns nicht leisten, dass wir uns geistig, seelisch und psychisch
verkümmern lassen. Da wir nur in einem kollektiven Zusammensein
existieren können. Fehlt oder wird ein einziges Glied krank,
oder sagen wir mal, funktioniert nur eine Einheit nicht richtig, kann
das restliche Kollektiv nicht richtig funktionieren und läuft
somit Gefahr, dem Untergang geweiht zu sein. Wir sind eine
geistige und seelische Einheit. Und deshalb findet in regelmäßigen
Abständen diese so lebenswichtige seelische und geistige
Verschmelzung des Kollektiven statt. Noch Fragen, Norman, oder du,
Katja?«, vergewisserte sich Lyr.
»Es tut uns natürlich leid, Lyr,
verzeih unser Misstrauen.«, sprach Katja für sich und für
Norman.
»Aber nicht doch, ihr braucht euch nicht
zu entschuldigen. Ich sagte ja bereits, dass es meine Schuld war. Ich
hätte euch schon vorher darüber aufklären sollen. Wenn
ihr sonst noch Fragen habt, ich stehe euch jederzeit zur
Verfügung.« Ja ja, Lyr war nun in seinem Element.
Ȁh... Lyr, was steht eigentlich
heute noch auf dem Programm, ich meine was sollen wir heute noch tun?«
Eine berechtigte Frage, die da Norman stellte.
»Ich habe heute keinerlei Order vom
hohen Rat erhalten, was euch betrifft. Also ich würde
euch vorschlagen, dass ihr den heutigen freien Tag genießt und
einfach ein bisschen faulenzt. Oder geht doch in die Kammer der
Spiele? Ab morgen Mittag haben wir drei einiges zu tun.«, gab
Lyr freudig von sich. Ja, Lyr freute sich wie ein kleines Kind auf
den morgigen Tag, wenn dann die sechs Neuankömmlinge aus ihrem
todesähnlichen Tiefschlaf erweckt werden. Denn damit erweiterten
sich seine Aufgaben.
»Na prima, dann werden wir heute
faulenzen und den schönen Lenz heraushängen lassen.«,
entgegnete Katja und fuhr mit dem Mittagsessen fort.
»Also dann,
meine Lieben, muss ich euch für den Rest des heutigen Tages
leider euch selbst überlassen. Ich hoffe, dass ihr zurechtkommen
werdet?« Lyrs Eitelkeit kannte auch heute keine
Grenzen. Norman und Katja mussten sich das Grinsen verkneifen, um
Lyr nicht zu beleidigen.
»Oh, Lyr, es wird zwar schwer für
uns werden, aber ich glaube, wir werden es schon schaffen.«
»Gut, sehr gut. Sollte jedoch etwas
dringendes anfallen, so könnt ihr mich jederzeit rufen.«,
gab Lyr eitel und sich wichtig nehmend von sich.
»Gut, Lyr, dass beruhigt uns ungemein.«
»Also, bis morgen Mittag so zehn Minuten
vor elf Uhr vor unseren Quartieren?«, forderte Katja von Lyr.
»In Ordnung, und viel Spaß ihr
beiden.« Und Lyr ging seiner Wege.
»Mann Katja, dieser Androide kann einem
manches Mal ganz schön auf die Nerven gehen.«
»Klar Norman, aber ich finde ihn trotzdem irgendwie süß.«
»Im Ernst, du findest ihn süß, Katja?«
»Na ja, nicht immer, aber wenn er sich so
verhält wie gerade eben ist er schon putzig.«
»Nun gut, Katja, was machen wir nach dem
Essen? Hast du vielleicht eine Idee?«
»Ja, Norman, wir könnten in deinem
Quartier Karten spielen, wenn du Lust dazu hast?«
»Klar, Katja, ist ne prima Idee.«
Als Norman und Katja das Mittagessen beendet
hatten, gingen die beiden wie vorher besprochen in Normans Quartier
und spielten gerade eine Partie Skat.
»Skat, ich habe gewonnen.«,
bekundete Katja freudig ihren Sieg über Norman.
»Na da kann man nichts machen.«,
musste Norman eingestehen.
»Sag mal, Norman, ich habe ganz den
Eindruck, dass du nicht ganz bei der Sache bist. Was ist los mit
dir?«, forderte Katja etwas besorgt um Norman.
»Na ja, weißt du, ich muss an morgen
denken, wenn unsere Neuankömmlinge wiedererweckt werden.
Ehrlich gesagt mache ich mir da ein wenig Sorgen.« Diesen
sorgenvollen Blick kannte Katja bereits. Und sie wusste, dass es ihm
ernst war.
»Norman, was genau für Sorgen machst
du dir denn?«, hakte nun Katja nach.
»Na ja, weißt du, Katja, wie werden sie
reagieren, wenn sie sich plötzlich in einer anderen Zeit wiederfinden?
Ich meine, ich kann mich noch gut an mich selbst erinnern.
Welche panische Angst ich da hatte. Ich glaubte in diesem Augenblick,
ich müsste den Verstand verlieren. Hoffentlich geht alles gut,
Katja?« Ja, Norman machte sich echt große Sorgen um die
Neuankömmlinge.
»Ganz bestimmt, Norman. Du wirst sehen,
dass sich alles zum Besten wenden wird. Außerdem haben unsere
Kameraden im Frachtraum einen Vorteil, den wir zuerst nicht hatten.«
»Und was für ein Vorteil wäre das, Schwesterchen?«
»Nun, nachdem sie wiedererweckt wurden, sind
sie nicht alleine, so wie es uns passiert ist. Wir werden auf jeden
Fall dabei sein, wenn sie ihre Augen öffnen. Wir können
sie dann gleich beruhigen und sie über ihre neue Situation
aufklären.«
»Da hast du Recht, Katja.«
»Ich weiß, dass ich Recht habe, Norman.«
Trotz allem guten Zureden seitens Katjas
hatte Norman kein gutes Gefühl dabei. Sicherlich freute er sich
auf die sechs Neuankömmlinge. Mal wieder andere Gesichter
seinesgleichen zu sehen und natürlich neues von ihrem
Heimatplaneten in Erfahrung zu bringen. Doch irgendwie schlugen in
ihm die Alarmglocken und seine Gefühle der Vorahnungen drückten
ihn ganz mächtig in seiner Magengegend. Insgeheim hoffte Norman
jedoch, dass Katja Recht behielte und er sich dieses eine Mal irrte.
Die beiden spielten noch ein paar Partien Skat, bis es Zeit zum
Abendbrot wurde und sie sich in den Essensraum begaben.
Die Reise mit dem Mutterschiff ging weiter,
immer tiefer tauchte dieses mächtige Raumschiff in den
Andromedanebel ein, in den Weiten des unendlichen Universums, nach
jenem Ort, wo die Dogon sich hinsehnten, wo sich ihr Planet namens
Goderijan befand.
Am nächsten Morgen so gegen 6 Uhr 30 im Quartier von Katja:
Katja schlief noch tief und fest.
Eingekuschelt in ihrer rosaroten Bettdecke, so dass nur noch ihr
linker Fuß am Ende des Bettes herausguckte, als plötzlich
ihr Schönheitsschlaf, sozusagen ihr Schlaf der Gerechten, abrupt
unterbrochen wurde.
»Guten Morgen, gut erwacht, habe selten
so gelacht.« Kein Zweifel, dass dies nur Lyr der Androide sein
konnte. Der mit einer grauenhaften und piepsigen Stimme sein Bestes
im morgendlichen Gesängen versuchte, um anscheinend Katja
in Fröhlichkeit einzustimmen. Katja glaubte, sich noch in einem
Traum zu befinden, doch als sie einigermaßen zu sich kam und
dieser süßen und lieblichen Stimme lauschte, bekam sie
fast einen Anfall.
»Lyr, um Himmelswillen, bist du
wahnsinnig geworden? Hör auf damit, ich steh ja schon auf.
Bitte nicht mehr singen.« Dann richtete sich Katja in ihrem
Bett mit ihrem Oberkörper auf, um auf dem Bett in die
Schneidersitz-Position zu kommen. Es folgte ein Blick zu Lyr, der
diesem alles sagte.
»Okay Katja, habe schon verstanden, ich
wollte ja nur an das Frühstück erinnern. Gut, wir sehen
uns beim Frühstück. So, und nun gehe ich zu Norman, er wird
bestimmt meine gesangliche Genialität zu schätzen wissen.«
Ob sich da Lyr nicht ein wenig täuschte?
»Na dann, viel Glück, du Blechhaufen.«
Auch Norman befand sich noch tief in seinem menschlichen Element,
nämlich dem Tiefschlaf.
»Morgenstund hat Gold im Mund!«,
versuchte er bei Norman ein bisschen Lob zu seinem genialen Gesang
zu bekommen. Wie man sich doch irren kann.
»Norman traute seinen Ohren nicht. Wenn
er etwas nicht ausstehen konnte, ist es, dass man ihn auf so
grausame und gemeine Art aus seinem Schönheitsschlaf riss.
Natürlich erkannte er sofort die Stimme, von wem dieser Gesang
ausging.
»Sag mal,
Lyr, sind denn jetzt alle deine Schaltkreise durchgebrannt? Mach ja,
dass du Land gewinnst, bevor ich dich in deine Einzelteile zerlege
und aus diesen Teilen einen neuen Toaster mache.«
Und Norman warf Lyr sein Kopfkissen entgegen, das aber Lyr mit Bravur auffing.
»Es ist mir aus eurer Geschichte
bekannt, dass ihr Menschen euch nun mal schwer tut, zwischen Geheul
und Genialität unterscheiden zu können. Außerdem
beabsichtigte ich nur, dich an das Frühstück zu
erinnern.«, da schritt Lyr dahin, trotz erhobenen Hauptes
offenbar in seinem künstlichen künstlerischen Stolz verletzt.
»Ach du meine Güte, hat dieser
Blecheimer nen Dachschaden.«, murmelte Norman noch in sich
hinein, während er sich auf seinem Bett räkelte und streckte.
Werde erst einmal unter die Dusche gehen und
danach sehe ich mal nach, ob mein Schwesterchen schon wach ist. Kann
mir aber gut vorstellen, dass Lyr auch schon bei ihr war und sie
genervt hat.«, dachte sich Norman.
Während sich Norman und Katja für
das Frühstück vorbereiteten, lief Lyr der Androide auf
dem Gang vor den Quartieren auf und ab, um die beiden zum Essenssaal
zu begleiten. Zudem hatte Lyr die Order vom Hohen Rat bekommen,
Norman und Katja auf ihr Verhalten hinsichtlich der Neuankömmlinge hinzuweisen,
die ja wie wir wissen um zwölf Uhr aus ihrem todesähnlichen
Tiefschlaf erweckt werden sollten und mit Rat und Tat an
jedermanns Seite zu stehen. Dann war es soweit. Als erstes kam
Norman, frisch gebohnert, geschniegelt und gestriegelt aus seinem
Quartier.
»Guten Morgen, Lyr.« Doch Lyr
schien etwas beleidigt zu sein, jedenfalls gab er Norman keinerlei
Antwort.
Ach, komm schon, Lyr, sei doch nicht beleidigt.
Es war doch nicht so gemeint. Manche Menschen sind nun mal im
Halbschlaf, wenn sie mit einem solch schönen Gesang geweckt
werden, etwas rüpelhaft.«
»Gut, Norman, ich verzeihe dir, aber es
war nicht gerade nett von dir.« Dann hob Lyr mal wieder voller
Stolz sein edles und künstliches Haupt. Und Norman musste sich
wiederum das Lachen verbeißen.
»Ich geh mal schnell zu Katja rüber
und sehe nach, ob sie schon fertig ist. Dann können wir ja
gemeinsam zum Frühstück gehen. Okay, Lyr?« Doch kaum
hatte Norman seinen Satz beendet, da schritt schon Katja aus ihrem
Quartier. Sie trug ein wunderschönes Kleid aus blauen Samt und
silbern schimmernder Seide, bestückt mit süßen
kleinen Rüschen, die wie kleine Juwelen in allen nur
erdenklichen Farben leuchteten wenn sie sich bewegte.
»Wau, Katja, du siehst ja bezaubernd aus.
Echt super.«, bravurte Norman seine Schwester.
Lyr hingegen sah nicht einmal hin und drehte
seinen Kopf einfach weg.
»Psst, er ist beleidigt. Hat er dich
heute früh auch mit einem Gesang geweckt?«, flüsterte
Norman Katja ins Ohr.
»Und ob, ich dachte, ich müsste ihm
seinen übergroßen Kopf abreißen.«, äußerte
sich Katja.
»Tu mir einen Gefallen, Katja, sei doch
ein bisschen nett zu ihm, okay? Er hat es ja nicht böse
gemeint.«, forderte Norman sein Schwesterchen lieb auf.
»Na gut, wenn es unbedingt sein muss,
aber eines sage ich dir, das wird keinesfalls zur Gewohnheit
werden, sonst bildet sich dieser Blechhaufen noch ein, er könnte
mit uns umspringen wie es ihm beliebt, klar?«
»Natürlich, Schwesterchen.«
Dann ging Katja auf Lyr zu.
»Lyr, sei wieder mein bester und
treuster Freund, sei doch wieder lieb, ja?« Und auch Katja
musste sich wiederum das Lachen verkneifen. Zu komisch gab sich
doch Lyr in seiner Eitelkeit.
»Dir sei vergeben, liebe Katja. Nun,
dann lasset uns zum Frühstück schreiten. Lyr drehte sich
mit einer eleganten und leichten Drehung einmal um die eigene Achse,
so dass er in Richtung des Essensraumes perfekt zum Stehen kam und
schritt mit sanftem und großzügigem, an nichts fehlendem Elan
voraus.
»Unglaublich,«, flüsterte Norman in
Katjas Ohr, »ein Androide, der alle Vor- und Nachzüge eines
Menschen besitzt.«
»Wenn ich wieder zu Hause bin, Norman, und
das alles hier erzählen sollte, glaubt mir das kein normal
denkender Mensch.«
»Glaubst du mir, Katja?«
Lyr begleitete, wie schon einmal erwähnt,
Norman und Katja zu Essenssaal. Bei dieser Gelegenheit wies Lyr die
beiden in die Order des Hohen Rates ein. Lyr sollte Norman und
Katja mitteilen, wie sie sich beim Erwecken der Neuankömmlinge
aus ihrem Tiefschlaf verhalten sollten. Doch Norman und Katja
kannten die Rasse Mensch natürlich besser als der Hohe Rat. Um
den Hohen Rat nicht zu brüskieren, hörten sie sich
geduldig während des gesamten Frühstücks Lyrs
Vortrag an, den er vom Hohen Rat bekommen hatte. Als sie dann das
Frühstück beendet hatten, war es bereits 8 Uhr 45. Norman
und Katja hatten dann folglich noch 3 Stunden, fünfzehn Minuten
Zeit, bis es zwölf Uhr war um dann auf die sogenannte Wiederauferstehung
aus dem todesähnlichen Tiefschlaf ihrer
Mitmenschen live mitzuerleben. Sie wollten unbedingt bei ihnen
sein, um sie zu begrüßen und gegebenenfalls zu trösten
und zu beruhigen, falls es nötig sei. Außerdem gab es
einiges zu besprechen und auch in Erfahrung zu bringen.
Norman, Katja und Lyr verbrachten die letzten
Stunden bis zu dem Countdown natürlich zusammen. Sie
vertrödelten die Zeit die ihnen noch blieb im Computerraum.
Dann endlich war es soweit.
»So, meine Lieben, es wird Zeit. Wir
haben noch zirka 15 Minuten.«
Lyr ging wie meistens voraus und Norman und
Katja folgten ihm natürlich. Dann fiel, während sie Lyr
folgten, beiden etwas auf.
»He, Lyr? Wo willst du den hin?«, rief Norman zu Lyr.
»Ja, das
möchte ich auch gerne mal wissen, zum Frachtraum geht es doch
eigentlich hier nach links entlang und dann mit dem Lift bis zum
vorletzten unteren Stockwerk, oder etwa nicht, Lyr?«, griff
nun auch Katja wörtlich ein.
»Sicher geht es in dieser Richtung zum
Frachtraum, doch ich frage mich ernsthaft, was ihr da wollt?«
Norman und Katja schauten sich sprachlos an,
es hatte den Anschein als glaubten die beiden, dass bei Lyr
irgendeine Sicherung durchgebrannt wäre.
»Was wir da wollen, na was werden wir
dort schon wollen. Wir wollen zu unseren Neuankömmlingen.«
»Aber nicht doch, ihr Dummerchen. Eure
Kameraden befinden sich doch längst nicht mehr im Frachtraum.«,
legte Lyr entschlossen fest.
»Und, bitteschön, wo sind sie denn
nun dann?«, eine berechtigte Frage, die da Katja stellte.
»Ich kann es gar nicht glauben, wo im
Allgemeinen wird man denn auf dem Mutterschiff vom Tiefschlaf
erweckt?«, stellte Lyr nun beide auf die Probe.
Wiederum sahen sich die beiden an, als könnten
Sie nicht bis drei zählen. Bis es Norman 'wie von den Schuppen fiel'.
»Natürlich, Menschenskind, Katja,
wir sind wirklich Dummerchen. Überlege doch mal, da waren wir
auch schon!«, fast gleichzeitig kam es aus ihrem Munde.
»Die Schlafkammern. Ja, Lyr, sie befinden
sich in den Schlaf- und Aufwachkammern, stimmt es?«
»Genau, es ist doch klar, ihr beiden,
dass sie in diesen Behältnissen niemals die Gesundheit und ihr
Leben wieder völlig und ohne Komplikationen wiedererlangen
könnten. Dazu sind diese Behältnisse nicht geschaffen und
konstruiert worden. Sie dienten lediglich als Übergangszeit bis
im Schlaf- und Aufwachraum alles für sie vorbereitet wurde.
Wir können und werden niemals ein Risiko auf Kosten eines
Lebens eingehen. Egal um welches Leben es sich dabei handelt. Können
wir jetzt weitergehen? Wir haben nur noch zehn Minuten Zeit.«,
drängte nun Lyr.
»In Ordnung, dann lass uns gehen, wir
folgen dir, Lyr. Und so gingen sie in Richtung der Schlaf- und
Aufwachkammern bis zu jener Kammer, in der ihre Mitmenschen schon
bereit lagen, bereit, um einem Abenteuer entgegenzusteuern, das ihre
Vorstellungskraft bei weiten überschreiten wird.
Norman und Katja durften nicht sofort diese
Kammer betreten, als sie vor dem Eingang standen, da sie sonst einigen
Strahlen ausgesetzt wären, die sie nur im Zustand des
Tiefschlafes hätten überleben können. Hinzu kommt
noch, dass Norman und Katja diese Prozedur schon hinter sich hatten
und den molekular- und genverändernden Energiestrahlen schon
ausgesetzt waren. Sie warteten, bis sie die Freigabe bekamen, um
in die Kammer eintreten zu dürfen. Norman lief aufgeregt auf
und ab, während Katja in Hockestellung an der kahlen und kalten
Wand mit ihrem Rücken angelehnt auf ihren Fingernägeln
kaute. Natürlich bemerkte Lyr ihre Nervosität und
versuchte es mit beruhigenden Worten:
»Geduld, meine Freunde, Geduld. Ihr kennt
doch diesen Spruch. Geduld ist die Tugend des Gütigen. Stammt
von euch Menschen.« Doch Lyr wurde klar, dass er in diesem Fall
nichts ausrichten konnte um Normans und Katjas Gemüter zu
beruhigen. Dann endlich war es soweit. Das gleißende und
grelle Energie-Tor begann sich langsam aufzulösen, so dass
man schon leicht hineinsehen konnte. Schließlich
verflüchtigte sich das Energie-Tor komplett und Norman und
Katja konnten in die Kammer hineinsehen.
»So, ihr beide könnt jetzt unbehelligt und ohne Gefahr eintreten.«, gab Lyr zu verstehen.
Norman und Katja gaben sich die Hand und
gingen mit langsamen und leicht zögerlichen Schritten in die
Kammer hinein. Nach nur wenigen Metern blieben sie stehen und warfen
ihre Blicke hoch, wo sich die sechs nach Marmor aussehenden Altäre
befanden. Da standen sie nun in zwei bis drei Metern Abstand
nebeneinandergereiht, ja wie festgemauert wirkend, auf dem
schwarzen und leicht glänzenden kahlen Boden. Katja und Norman
drehten sich kurz zur Seite, um nach Lyr zu sehen, als wollten sie ihn
um Hilfe bitten.
»Geht nur eine dieser Stufen hoch, eure
Freunde werden jeden Moment erwachen.«, gab Lyr den beiden
noch einmal Mut.
»Lyr, wir würden lieber hier unten
warten, wir können doch nicht bei allen sechs gleichzeitig
sein, oder?« Da spricht einiges dafür.
»Aber natürlich, ganz wie ihr es
wünscht.«, äußerte sich Lyr in Verständnis.
Norman und Katja beobachteten jeden einzelnen
Sarkophag aufs Genaueste, während Lyr wiederum einen Meter vor
dem Tor wartete und Norman und Katja genau in Augenschein nahm. Dann
folgte ein minutenlanges Warten. Gespannt und mit hellwachem Blick
starrten und lauschten beide auf ein Zeichen des Erwachens der
Neuankömmlinge. Dann, mit einem Male, vernahmen Norman und Katja
ein Stöhnen, ein Husten, ein Jammern und sogar ein Fluchen.
Plötzlich kam einer der Neuankömmlinge endlich zum
Vorschein. Es war Mary, Mary Ritley. Langsam, und zitternd am ganzen
Leib, erhob sie sich, bis sie im Sarkophag aufrecht stand. Entsetzen
spiegelte sich auf ihrem Gesicht wieder. Gebannt und mit weit
aufgerissenen Augen starrte sie schweigend nach unten in Richtung
Norman und Katja. Norman und Katja pressten sich ein Lächeln in
ihre Mundwinkel um es dem Neuankömmling ein wenig leichter zu
machen.
»Bitte, Sie
brauchen sich nicht zu fürchten. Es ist alles in bester
Ordnung.«, gab Katja mit zitternder Stimme von sich. In diesem
Augenblick konnte sich Katja nicht mehr beherrschen. Sie rannte, ja
sie stolperte fast die Stufen des Altars hoch zu Mary Ritley. Im Nu
standen sich die beiden gegenüber. Schweigend, Gesicht an
Gesicht, blickten sie sich ganz tief in die Augen. Von diesem Moment
an wussten beide, dass hier eine neue und ewige Freundschaft geboren
wurde. Zögernd und mit zittriger Stimme gab Katja ihr einen
Kuss.
»Willkommen!«
»Was ist passiert? Wo bin ich denn
hier?«, wollte Mary Ritley wissen.
»Komm, lass uns erst mal nach unten
gehen und auf die anderen warten.«, forderte Katja die
Wiedererweckte mit freundlicher und beruhigender Stimme auf.
»Was für andere denn?«, fragte Mary irritiert.
Dann half Katja ihr aus dem Sarkophag heraus
und nahm ihren linken Arm ganz fest an sich. Sachte und sehr
vorsichtig stiegen die beiden langsam und dennoch stetig die
Marmorstufen des Altars hinunter, wo schon Norman die beiden empfing
und ganz fest in seine Arme nahm. Norman und Katja konnten ihre
Tränen nicht mehr unter Kontrolle halten, zu tief überwogen
ihre Gefühle der Freude.
»Mein Name ist Mary, Mary Ritley.«,
stellte sie sich noch etwas unsicher vor.
»Ich bin Katja und das ist Norman. Wir
erklären dir alles etwas später. Wir müssen erst noch
auf die anderen warten.«
Einer nach dem anderen erhob sich aus den
Sarkophagen und wurde von Norman und Katja die Marmorstufen nach
unten begleitet, wo sich alle versammelten. Alle stellten sich
namentlich vor. Langsam beruhigten sich die Gemüter. Dann fiel
Stephan etwas auf.
»Wo ist Sarah, wo ist meine Tochter?«,
schrie er wie wild geworden umher. In seiner schier grenzenlosen
Aufregung rannte er von Altar zu Altar, sämtliche Stufen empor
und blickte starr vor Angst und Entsetzen in jeden Sarkophag hinein,
bis er schließlich seine Tochter Sarah in einem der Sarkophage
erspähte.
»Gott sei es gedankt.«,
erleichtert beugte sich Stephan über den Sarkophag und
streichelte Sarah übers Haar. Doch plötzlich verzerrte
sich sein Gesicht in einem Trauerspiel. Stephan schaute mit weit
aufgerissenen Augen zu Katja hinunter.
»Katja, was ist mit ihr? Warum wacht sie
nicht auf?«, schrie Stephan verzweifelt Katja zu.
»Beruhige dich doch, Stephan, es ist
alles in Ordnung. Bei manchen dauert das Erwachen eben etwas
länger.«, redete Katja in Stephan ein.
»Stimmt aufs Genaueste.«, meldete sich Lyr der Androide, der
sich plötzlich auf zirka einen Meter hinter den
Neuankömmlingen heranschlich, natürlich wie immer
erhobenen Hauptes. Wie auf Kommando und fast zur gleichen Zeit,
drehten sich die Neuankömmlinge um und starrten mit starren
Blicken auf dieses unbekannte Wesen, auf Lyr, den Androiden. Auch
Stephan, der noch oben bei seiner Tochter Sarah auf deren Altar
neben ihrem Sarkophag stand, blieb förmlich die Spucke weg.
»Ihr braucht euch nicht zu fürchten,
Lyr wird euch nichts tun. Darf ich euch vorstellen, Lyr der
Androide. Er ist eigens für uns erschaffen worden. Er wird sich
die nächste Zeit um uns alle kümmern. Wenn ihr also Fragen
jeglicher Art auch immer habt, könnt ihr euch getrost an ihn
wenden. Es gibt nichts, was er euch nicht beantworten könnte. Na
ja, fast nichts.«, erklärte Katja.
Lyrs Schaltkreise schienen Regelrecht vor
Stolz und Eitelkeit zu schmelzen, als er diese für ihn so
wunderbaren Worte von Katja vernahm. Seine azurblauen Augen begannen
hell zu erleuchten, so sehr hatten ihn diese Worte angetan.
»Was ist jetzt mit meiner Tochter, kann
ihr denn niemand von euch helfen. Seht doch wenigsten mal nach, ob es
ihr gut geht. Vielleicht ist ja etwas schief gegangen?«,
schrie Stephan verzweifelt nach unten.
Dann schritt Lyr hervor und schwebte, ja glitt
fast, die Marmorstufen des Altares hoch, wo sich Stephan und seine
Tochter befanden. Stephan war es anscheinend nicht ganz geheuer, als
er Lyr fast auf Tuchfühlung gegenüber stand und wich ein
wenig ängstlich zur Seite.
»Fürchte dich nicht, Stephan, ich
bin auch dein Freund. Die restlichen Sieben standen weiterhin
schweigend unten und beobachteten das Geschehen. Dann blickte nun
auch Lyr in den Sarkophag und setzte ein freundliches lächeln
auf.
»Mach dir keine Sorgen, mein menschlicher
Freund, deiner Tochter geht es sehr gut. Auch sie wird in Kürze
erwachen.«, bestätigte Lyr diese für ihn eindeutige
Tatsache.
»Aber wenn sie wach ist, wird es ein
Problem geben...«, deutete Stephan aufgeregt.
»Mein lieber, mein Name ist Lyr.«,
forderte Lyr berechtigterweise.
»Lyr? Gut, Herr Lyr. Sie sollten dennoch
erfahren, dass meine Tochter seit Kindesbeinen an
querschnittsgelähmt ist. Wir bräuchten daher dringend
einen Rollstuhl für Sarah.«, berichtete Stephan nun sehr
aufgeregt.
»Das, mein lieber Stephan, ist uns
bekannt und wird nicht nötig sein. Sie sollten sich daher
keinerlei Sorgen machen, es ist alles zugunsten ihrer Tochter Sarah
getan worden. Darin liegt auch der Grund, warum ihre Tochter
etwas länger mit der Zeit des Erwachen benötigt als der
Rest von euch.«, verkündete Lyr stolz.
»Was habt ihr denn zugunsten meiner
Tochter getan?«, wollte nun Stephan mit einer kindlichen
Neugier wissen.
»Nun, Stephan, wir haben ihre
Fortbewegungsglieder wieder regeneriert.«, berichtete Lyr.
»Was habt ihr? Also, jetzt verstehe ich
überhaupt nichts mehr.«
Ja, Lyr beliebt des Öfteren eine gehobene
Aussprache zu führen.
»Nun, da du
mir anscheinend nicht wörtlich folgen konntest, versucht eben
meine Wenigkeit, sich ein bisschen verständlicher auszudrücken.
Wir haben diese Krankheit die ihr Menschen Querschnittslähmung,
eigentlich Kinderlähmung, nennt, bei deiner Tochter beseitigt,
oder, um es noch deutlicher auszudrücken, deine Tochter Sarah
ist wieder vollkommen gesund.« Lyr konnte sich kaum in seiner
Lieblingsbeschäftigung, nämlich dem Reden, im Zaum halten.
»Herr Lyr, sie meinen, dass meine Tochter
wieder gehen kann?« Stephan traute seinen Ohren nicht.
»Aber gewiss doch. Fräulein Sarah
kann gehen wie jeder von euch Neuankömmlingen. Doch wird sie
einige Zeit brauchen um ihre Beinglieder wieder richtig einsetzen zu
können. Sie muss erst lernen, ihren Füßen zu
vertrauen und ihr Gehirn darauf einzustellen. Nach einer gewissen
Zeit wird sie wieder ganz normal gehen können.«,
»Nach einer Gewissen Zeit, soviel ich
weiß, dauert so was Monate bis sich der Körper und das Gehirn
daran gewöhnt haben. Ihre Beine sind doch solch eine plötzliche
Belastung gar nicht gewöhnt. Ihre Beine und Rückenmuskeln
sind kaum vorhanden und müssen durch ständige Gymnastik
und hartes Training gestärkt und aufgebaut werden.«
Stephan versuchte Lyr zu erklären, dass so etwas in so einer
kurzen Zeit überhaupt nicht möglich sei. Was aber Stephan
natürlich nicht wissen konnte ist die Tatsache, dass die Dogon
in Sachen Krankheiten zu heilen um Jahrtausende dem Menschen voraus
waren.
»Ich sehe, mit dir, Stephan, werde ich es
für den Rest unserer gemeinsamen Reise nicht gerade leicht
haben. Aber nun gut, ich werde versuchen es dir zu erklären.
Und während Lyr so gut es ging Stephan der Dogon mächtigen
Fortschritt und medizinische Überlegenheit zu offenbaren
versuchte, begann Sarah zu erwachen. Dann unterbrach Lyr seine
Aufklärung in Sachen Medizin abrupt.
»Sieh hin, deine Tochter ist erwacht.«
Stephan beugte sich abermals über den
Sarkophag seiner Tochter und streichelte sie sanft über ihre
etwas kühlen und weichen Wangen.
»Liebes, hab keine Angst. Ich bin es,
dein Papa.« Stephan liefen vor Glück und Freude die
Tränen über die Wangen.
»Papa, Gott sei Dank. Ich hatte einen
furchtbaren Traum.« Sarah dachte, sich noch im Halbschlaf zu
befinden und ihren Vater hörend, dass sie zu Hause in ihrem
Bett läge und nur schlecht geträumt hätte. Doch die
Ernüchterung folgte sogleich.
»Bitte
erschrick nicht, du hast nicht schlecht geträumt. Wir befinden
uns woanders, wo genau, kann ich dir noch nicht sagen. Aber Angst
brauchst du keine zu haben, die anderen Leute sind sehr nett und
befinden sich in der gleichen Situation wie wir beide. Wir müssen
nun das Beste daraus machen. Und noch etwas, Kleines. Ich weiß, dass
alles ein bisschen zu viel über dich hereinstürzen mag,
dennoch ist es meine Pflicht, dich darauf vorzubereiten. Du bist
nicht mehr gelähmt.« Stephan tat es sehr Leid, seine
zarte Tochter mit so vielen einschneidenden Neuigkeiten und
Veränderungen regelrecht zu bombardieren, dennoch blieb ihm ja
keine Wahl und auch keine Zeit, um seine Tochter geistig und
seelisch darauf vorzubereiten. Sarah hörte ihres Vaters Worte
ganz genau. Noch fürchtete sie sich, ihre schweren Augenlider
zu öffnen. Insgeheim wünschte und trug sie in sich die
Hoffnung, dass sie gleich in ihrem Zimmer, in ihrem Bett aufwachen
würde, um dann festzustellen, dass tatsächlich alles nur
ein schlimmer Traum war. Doch je länger sie die Augen
geschlossen hielt, umso mehr spürte sie die Realität. Sie
spürte das erste Mal, und das nach so vielen Jahren, ihre
Beine und ihre Hüften wieder. Sie spürte das gleiche
angenehme Gefühl, dass sie empfand, wenn sie sich zu Hause wusch
und sie den warmen Wasserstrahl über ihre Hände fließen
ließ, ja genauso spürte sie, dass ihr Blut, ihr warmes
Blut, in ihren Füßen durch sämtliche Adern und Venen
floss. Doch trotz alledem breitete sich schier pure Angst in ihr
aus. Großen Mut musste Sarah nun in sich mobilisieren und
gegen jegliche Zweifel und Ängste ankämpfen. Mit dem
restlichen Mut der Verzweiflung öffnete sie ihre noch immer
schweren Augenlider. Sarah erblickte sofort ihren Vater, der ihr
ein sehr zärtliches Lächeln schenkte. In diesem Augenblick
fühlte und spürte sie, dass ihr Papa und sie selbst sich
nicht in Gefahr befanden. Behutsam und sehr vorsichtig griff sich
Stephan die rechte Hand seiner Tochter, um ihr beim Aufsetzten
behilflich zu sein. Stephan spürte das Zittern von Sarah in
seiner Hand.
»Ruhig, Kleines, du brauchst dich nicht
zu fürchten.«, versuchte er sie zu beruhigen.
Im Nu befand sich Sarah in der Sitzposition.
Als nächstes griff Stephan nach Sarahs zweiter Hand und hob sie
mit einem leichten Ruck in die Stehposition. Er umklammerte mit
seinen beiden kräftigen und muskulösen Armen Sarahs
ganzen Oberkörper, um damit zu verhindern, dass sie
Gefahr läuft, vom Altar zu stürzen. Im nächsten
Augenblick hob er Sarah aus dem Sarkophag und ließ sie sanft
auf ihre Füße herab. Noch stand Sarah zitternd und wackelig auf
ihren Füßen, dann fest auf ihren eigenen Beinen.
Tränen flossen beiden über ihre Gesichter. Dann blickte
Sarah zu den anderen, die auch wie gebannt zu ihr hochsahen und im
nächsten Moment zu applaudieren begannen. Stephan wollte
gerade eben Sarah die Stufen hinuntertragen, da winkte sie ab. Ganz
fest umklammerte das einst gelähmte Mädchen die linke
Hand ihres geliebten Vaters und setzte mit dem linken Fuß zur
ersten Marmorstufe an. Wackelig und unter größter
Anstrengung gelang der erste selbstständige Schritt seit ihrer
Kindheit im Alter von zwei Jahren. Sarah schloss die Augen beim
Bewältigen dieser so harten Stufen aus Marmor. Denn sie wollte
jedes Gefühl der wiedererlangten Lebendigkeit ihrer Füße
und Hüften in vollen Zügen fühlen und auskosten. Und
sie dachte an jene Zeit, als sie des öfteren aus ihrem Fenster
die Nachbarskinder beobachtet hatte, die über Stock und Stein
flink wie kleine Wiesel fröhlich umhersprangen. Und sie dachte
an jenen und einzigen Wunsch, einmal so wie diese Nachbarskinder
umherzutollen und zu springen, zu tanzen und auf einen Fußball mit
aller Kraft, mit einem ihrer Füße zu treten, so dass
dieser Fußball weit, weit in den Himmel empor schoss und jener
Ball die Wolkendecke aufriss und es dadurch zu regnen begann. Stufe
für Stufe ging es aus eigener Kraft nach unten, dem Fußboden
entgegen. Noch zwei Stufen, noch eine Stufe und Sarah berührte
den ersehnten festen und in einer glatten Ebene gefestigten
Fußboden. Zwar noch immer etwas gestützt von ihrem Vater,
aber dennoch auf ihren eigenen Füßen,
wollte sie es noch bis zu ihren neugewonnen Freunden schaffen und
ging mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht auf die anderen zu, um
sie höchstpersönlich und aus eigener Kraft zu begrüßen.
Eigentlich wollten alle ihr entgegengehen und sie ganz fest umarmen
und Sarah zu ihrer Tapferkeit gratulieren, doch ihr Vater
verneinte dies auf den Stufen mit einem eindeutigen Kopfschütteln.
Und auf einmal war es geschafft. Sarah umarmte als erste Katja, denn
sie kannten sich bereits. Dieses junge Mädchen, um das sie nach ihrer Entführung so
sehr Angst hatte. Und alle schlossen den
Kreis der Freundschaft, indem sie sich wie Brüder gleichzeitig
ihre Arme reichten. Dann folgte ein menschliches Ritual. Katja
begann, das Vater Unser zu beten:
»Vater unser, der du bist im Himmel...«,
und alle beteten mit. Mit Ausnahme von Lyr, der verwundert dieses
Treiben begutachtete. Nachdem das Gebet beendet war, trat Lyr in
den Kreis der kleinen Runde und verkündete, welche Order er vom
Hohen Rat bekommen hatte.
»So meine lieben Neuankömmlinge,
der Hohe Rat äußerte den Wunsch, dass es für euch
von Vorteil wäre, euch sogleich im großen Saal
einzufinden. Dort wird euch eure jetzige Lage, in der ihr euch nun
befindet und die Notwendigkeit eurer Entführung näher
erläutert.« Ja, Norman und Katja hatten diese Unterredung
des Hohen Rates schon vor längerer Zeit erläutert bekommen
und interessierten sich folglich nicht dafür. Trotzdem
beschlossen die beiden kurzerhand, sich an dieser Rede des Hohen
Rates als Zuhörer zu beteiligen. Außerdem sahen
Norman und Katja den Neuankömmlingen an, dass es doch besser
wäre und sie sich um einiges sicherer fühlen würden,
wenn die beiden bei der Rede des Hohen Rates dabei wären. Die
Neuankömmlinge wussten bereits, dass Norman und Katja sich an
diesem Ort gut auskannten und schon längere Zeit hier verweilen
mussten. Was aber die Sache noch schwieriger machte, ist die
bestehende Tatsache, dass die Neulinge noch keinerlei Ahnung hatten,
wo sie sich überhaupt befanden und wie weit entfernt sie doch
in Wirklichkeit von ihrem Heimatplaneten waren. Norman und Katja
befürchteten eine aufkommende Panik, oder gar einige
Nervenzusammenbrüche, vielleicht sogar einen schockartigen
Zustand mancher Neuankömmlinge. Und genau da wollten die
beiden zur Stelle sein um etwas dagegen zu unternehmen und wenn,
wenigstens Erste Hilfe leisten zu können.
»So, darf
ich euch nun bitten, mir in den großen Saal zu folgen?«
Und Lyr ging voraus in Richtung des Liftes. Als alle sich darin befanden, klatschte Lyr in
seine Hände und der Lift fuhr eine Etage höher in das vierte
Stockwerk. »So, wir sind gleich da.« Alle verließen den
Lift und folgten Lyr dem Androiden. Schon nach wenigen Metern gerade
aus, blieb Lyr vor dem Mächtigen Tor aus gleißendem Licht
stehen. Etwas ängstlich, verwundert und dennoch erstaunt,
betrachteten die Neuankömmlinge dieses helle Lichter-Spektakel,
als handele es sich um eine Kunstvorstellung eines namhaften
Künstlers. Im Nu begann dieser Wirrwarr an Lichter-Spektrum
rapide an Leuchtkraft zu verlieren, bis schließlich dieses
energiegebündelte Licht die Sicht und den Weg ins Innere
dieses großen Saales freigab.
»Tretet nur ein, fürchtet euch
nicht.« Doch die Neuankömmlinge zögerten noch. Lyr
fiel auf, dass alle am Eingang stehen blieben, statt ihm zu folgen und
sich erst einmal den großen Raum in Ruhe ansahen.
»Grund gütiger, sie verhalten sich
ja genau wie ihr am Anfang. Genau das gleiche Misstrauen gegen uns.
Die gleiche Neugier auf alles Unbekannte.« Lyr wurde sichtlich
nervös, denn er wusste, was mit diesen sechs Neuankömmlingen
auf ihn zukommen wird. Hatte er schon mit Norman und Katja einige
Schwierigkeiten zu meistern. Aber gleich ganze sechs Menschen auf
einmal zu betreuen kam ihm doch etwas schwierig vor. Na, eigentlich
sind es ja mit Norman und Katja im Ganzen gezählt acht Menschen.
Doch Lyr ließ es sich fast nicht anmerken. Und Lyr wiederholte
sich.
»Grund gütiger, Grund gütiger.
Nun, da hat der Hohe Rat viel Vertrauen in mich gesetzt, so denke
ich.«, zeichnete sich Lyr in hohem Lob selbst aus, um sich Mut
zuzusprechen.
»Aber sicher doch, Lyr, du wirst das
Kind schon schaukeln.«
»Was werde ich? Ach so, wieder nur so
ein Spruch von euch Menschen, stimmt doch, oder?«
»Du lernst schnell, mein künstlicher Freund.«
Norman versuchte, Lyr ein wenig zu ärgern, aber dieser Versuch
schlug fehl. Na ja, man kann nicht immer der Gewinner sein, dachte
sich Norman.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Lyr?«,
erkundigte sich Katja bei ihm.
»Aber sicher doch, macht euch um mich
keinerlei Gedanken. Ich weiß nur eines, euch zu beschützen und
zu behüten, das ist meine oberste Direktive und wenn es mich
mein eigenes künstlich erschaffenes Leben kosten sollte. Ich
bringe euch alle acht heil auf Goderijan und wieder heil zurück
nach Hause auf euren Planeten, den ihr Erde nennt.«
So hatten Norman und Katja Lyr den Androiden
noch nie erlebt. Von dieser ernsten Seite noch niemals. Es klang für
die beiden fast so, als mache sich dieser Androide ernsthafte Sorgen
um die Menschen an Bord des Mutterschiffes. Aber warum, wenn doch
alles in bester Ordnung sein sollte? So wie es Lyr jeden Tag
bestätigte, wenn man danach fragte. Was könnte Lyr so in
Zweifel bringen. Verbarg er oder gar die Dogon am Ende doch noch
etwas vor Norman und Katja und jetzt zu guter Letzt auch noch vor
den Neuankömmlingen? Doch was könnte dies sein? Ist das
freundschaftliche und nette Verhalten am Ende doch nur von den
Dogon vorgespielt oder gar eine Fassade? Ein abgekartetes Spiel?
Nein, das konnte sich Norman nicht vorstellen. Schon längst
hätten seine Sinne und seine Vorahnungen ein Alarmzeichen von
sich gegeben. Katja sah nun Lyr etwas merkwürdig an, wie Norman
feststellen musste. Dann sahen sich Norman und Katja wieder einmal
tief in die Augen. Norman wusste, was Katja mit ihren Blicken sagen
wollte und Katja begriff schnell das gleiche.
Na, egal, was es mit Lyrs Verhalten auf sich
hatte, kommt Zeit, kommt Rat. Ich und Katja werden dieser Sache,
wenn die richtige Zeit dafür da ist, auf den Grund gehen,
dachte sich Norman.
Und ob Zufall oder nicht, den gleichen
Gedanken hatte gerade Katja. Als die beiden sich in die Augen
spitzten, mussten sie lächeln. Hatten sie doch tatsächlich
den gleichen Gedanken.
»Würdet ihr bitte nun eintreten und
auf den vordersten Rängen Platz nehmen?«, drängte
nun Lyr erneut. Doch keiner der Neuankömmlinge rührte sich
vom Fleck. Kurz darauf ging Norman von Katja gefolgt auf die
Neuankömmlinge zu und blieb unmittelbar vor ihnen stehen.
»Was ist mit euch los, warum fürchtet
ihr euch so sehr?«, fragte Norman.
»Wer garantiert uns, dass dies nicht
irgendeine Falle ist? Dass man uns nicht zu Forschungszwecken
benutzen will? Oder dass diese Wesen nicht doch noch Schlimmeres mit
uns vorhaben?«, durchaus eine berechtigte Frage, die da Peter
Lenz stellte.
»Sind denn ich und Katja nicht Beweis
genug? Wir sind schon viele Jahre in der Obhut der Dogon, und seht
uns doch genauer an. Nicht ein Leid wurde uns angetan, nicht ein
Kratzer zugefügt.« Norman begann zu zweifeln ob die
Neuen ihm Glauben schenken würden. Doch anmerken lassen durfte
er es sich nicht.
»So, ich weiß nicht viel von dir, Norman,
außer dass du Streckengänger für die Bundesbahn bist
und jeden Morgen vom kleinen Bahnhäuschen von Rednizkleineck
aus deine Arbeit beginnst. Das weiß ich, weil ich dich des öfteren
vor längerer Zeit auf den Schienen gesehen habe. Doch über
Katja weiß ich etwas mehr. Zum ersten, sie kann gar nicht wie du
vorhin behauptet hast, seit längerer Zeit hier an diesem Ort
sein. Weil ich sie erst noch kurz vor ihrer eigenen Entführung
an der kleinen Sitzbank neben dem Bahnhofshäuschen mit eigenen
Augen gesehen habe. Das hatte ich sogar auf einem Videoband. Ich
weiß zwar nicht, wie lange wir in diesen komischen Särgen
geschlafen haben, aber eines weiß ich bestimmt: Länger als ein,
zwei Tage bestimmt nicht. Also, wie kannst du mir das nun
erklären?«, forderte Sarah von Norman. Und Norman war von
Sarahs Redegewandtheit tief beeindruckt.
»Sarah, genau um dies alles aufzuklären,
ist bestimmt der eigentliche Grund, warum ihr hier in den großen Saal
eingeladen wurdet.«
»So, wenn diese Wesen so mir nichts dir
nichts einfach unbescholtene Bürger entführen können
und diese auch noch in Angst und Schrecken versetzen, ohne jegliche
Reue zu zeigen, dann frage ich mich, wozu sie noch im Stande
sind!«, gab Stephan von sich.
»Natürlich
seid ihr etwas misstrauisch. Ich kann es euch nicht verübeln,
ja, Katja und ich können euch sehr gut verstehen. Dennoch,
glaubt ihr denn nicht wenigstens uns, wir sind Menschen genau wie
ihr.«
»Und wenn diese Wesen euch einer
Gehirnwäsche unterzogen haben? Das kann doch sein oder etwa
nicht?«, stellte nun Mary Ritley fest.
»Soll ich dir sagen, was ich denke,
Mary?«, meldete sich nun wieder Katja.
»Ja, das würde mich schon
interessieren?«, wollte nun Mary wissen.
»Ich glaube, dass du zu viele
Science-Fiction-Filme geguckt hast.«, ärgerte sich nun
Katja.
Urplötzlich begann Lyr der Androide zu
Lachen, dies hörte sich quasi so saukomisch an, dass nun auch
Katja lachen musste und dann folgte Norman und wie man so schön
behauptet, steckt Lachen bekanntlich an. Und wie wahr dieser Spruch
doch ist! Plötzlich fingen all die anderen auch das Lachen an.
Dieses Lachen artete in einen absoluten Lachkrampf aus. Sie
lachten wie sie noch nie in ihrem Leben je lachen mussten. Sie
hielten sich die Bäuche vor lachen. Nach einiger Zeit
beruhigten sich die Gemüter und es wurde wieder Totenstille im
Bereich des Einganges. Bis plötzlich Sarah, zwar noch sehr
geschwächt und noch immer sehr wackelig auf ihren Beinen,
hervortrat.
»Was soll es, mehr als sterben kann man
hier auch nicht. Außerdem hätten sie uns längst
etwas antun können, als sie uns entführt und gewissermaßen
eingeschläfert hatten, ich jedenfalls gehe nun zu den vorderen
Rängen und setze mich auf meinen Allerwertesten. Was ihr tut,
ist mir im Augenblick egal. Mir jedenfalls tun höllisch die
Beine weh.
Als der Rest der noch fünf verbliebenen
Neuankömmlinge dieses tapfere Verhalten der noch sehr
geschwächten Sarah Hübner sahen, liefen sie ihr
einfach nach und nahmen auf der rechten Seite auf dem ersten Rang
Platz und harrten der Dinge. Wortlos folgten Lyr, Katja und Norman
und setzten sich eine Reihe hinter den Neuankömmlingen. Minuten
des Wartens folgten. Keiner sprach auch nur ein Wort. Es herrschte
Totenstille. Es war so ruhig in dem riesigen Saal, dass man des
Nachbars Atem hören konnte. Langsam aber sicher konnte man von
weitem Schritte hören. Erst ganz leise, dann immer lauter, bis
schließlich erkenntlich wurde, dass jeden Moment diese Wesen
den Saal betreten würden. Mit starrer Haltung und nervösen
Blicken horchten die Neuankömmlinge gespannt auf. Norman und
Katja beobachteten die Neuankömmlinge aufs Genaueste.
Die beiden verschwiegen absichtlich das
Aussehen der Dogon. So kam es natürlich, dass sich die
Neuankömmlinge alles Mögliche vorstellten, was nun in dem
Saal zum Vorschein kommen könnte. Sicherlich stellten sich einige
Monster mit langen Tentakelarmen vor. Oder behaarte tierähnliche
Gestalten, die sich ihrer Sprache bemächtigten um mit ihnen
kommunizieren zu können, usw. Doch als dann der Hohe Rat in den
Saal kam, staunten die Neuankömmlinge nicht schlecht. Auf
einmal beugte sich Sarah zu Norman nach hinten und schaute ihn an.
»Ja, aber, die sehen ja genau wie wir aus, Norman?«, sagte sie aufgeregt.
»Na klar doch, was dachtest du denn, Sarah?«
»Ich dachte eher an... Ach ist doch
egal.«, mehr mochte sie in dem ganzen Geschehen nicht
erklären.
»Meine Lieben Neuankömmlinge, ich
freue mich heute, sie hier bei uns auf unserem Mutterschiff, auf
unserer gemeinsamen und langen Reise recht herzlich begrüßen
zu dürfen.«
Aufregung machte sich in diesem Augenblick in der Runde der
Neuankömmlinge breit.
»Dann beugte sich Stephan zu Norman und
Katja nach hinten. Entsetzen stand in seinem Gesicht.
»He, Norman und Katja, was schwafelt der
denn da? Was meinte der mit 'Mutterschiff' und 'lange Reise'?« Ja,
jetzt war der Groschen offensichtlich gefallen.
»Höre doch einfach zu, Stephan, und
du wirst alles erfahren. Und das gilt für euch alle. Ihr könnt
derzeit nichts daran ändern, also akzeptiert endlich eure
Lage.«, fauchte Norman mit lautem Ton die Neuankömmlinge
an.
Ȁh... Norman, gibt es vielleicht
ein Problem unter euch? Sprach nun der Redner, ein Mitglied des
Hohen Rates zu Norman vom erhöhten Podest aus.
»Nein, Hoher Rat, es ist alles in
Ordnung, sie können Fortfahren.«
Der Hohe Rat bestand aus 28 Mitgliedern und
einem, sagen wir mal, Führer, ein Oberhaupt, das mehr Macht
besaß, als die restlichen 28 Mitglieder. Dennoch konnte das
Oberhaupt des gesamten Hohen Rates ohne die 28 Mitglieder nichts
alleine entscheiden. Sozusagen eine Koalitionspartnerschaft. Dieser
Hohe Rat gehörte nicht zum Kollektiv und agierte unabhängig.
Das perfekte Zusammenspiel und die Unabhängigkeit von dem
Kollektiv, also dem Volke in sich selbst, ermöglichte es dem
Hohen Rat, auch in Krisenzeiten gerechte, notwendige und ungezwungene
Entscheidungen zum Wohle aller, also zum Wohle des gesamten
Kollektives zu fällen. Nur einem untersteht der Hohe Rat und
das bei jeder Entscheidung. Nämlich dem Heiligen Xarmax. Wenn
er eine Entscheidung der insgesamt 29 Mitglieder des Hohen Rates
ablehnte, hatte dies Hand und Fuß und konnte auch nicht
angefochten werden, außer der Heilige Xarmax lenkt ein, also
ist mit dieser oder jener Entscheidung des Hohen Rates
einverstanden.
So führte der Oberste des Hohen Rates
sein Plädoyer an die Neuankömmlinge fort. Von A bis Z
sprach er und gab auf jede von den Neuankömmlingen gestellte
Frage auch gewissenhaft Antwort. Aus dieser Ansprache entwickelte
sich eine heiße, jedoch ernsthafte Diskussionsrunde. Sogar
Lyr, Norman und Katja beteiligten sich daran. Über mehrere
Stunden dauerte diese Diskussion an. Über alle Zweifel und
Ängste wurde offen und fair gesprochen und sogar teilweise
verhandelt. Bis der Hohe Rat sein Schlussplädoyer ankündigte:
»Nun wollen
wir diese tiefsinnigen Worte in unseren Herzen aufnehmen und sie
nicht wieder vergessen. Meine lieben Neuankömmlinge, ich und
alle hier auf diesen Raumschiff, dessen bin ich mir sicher, werden
von nun an und auch in der nächsten Zeit in Freundschaft und
Harmonie für- und miteinander zusammen alle aufkommenden
Probleme meistern. Es wird euch an nichts fehlen, was ihr an
materiellen und essentiellen Dingen benötigt und teilweise auch
euch wünscht. Auch an Nahrungsmitteln haben wir für euch,
und das vorzüglich, gesorgt. Sollte einer von euch noch Fragen
haben, so könnt ihr euch an unseren treuen Androiden Lyr wenden, der euch rund um die Uhr zur Verfügung stehen wird.
In diesem Sinne beende ich nun die
heutige Diskussion und bedanke mich im Namen unseres Heiligen
Xarmax, der euch auf dem Raumschiff aufs herzlichste willkommen
heißt und euch Grüße von unserem Planeten Goderijan sendet.
Dann standen allesamt auf, um dem Hohen Rat die Ehre und den
nötigen Respekt zu erweisen, was dem Hohen Rat sehr gefiel. Mit
einer kurzen Verbeugung, vermutlich um den Respekt zu erwidern,
verließen alle 29 Mitglieder den großen Saal.
Sichtlich etwas erleichtert und zufrieden sahen
Norman und Katja die Neuankömmlinge, dennoch war etwas Betroffenheit auf ihren Gesichtern. Es
war den beiden völlig klar, dass es nun zu anfangs sehr schwer
für sie sein wird. Es lag mit Sicherheit daran, dass sie nicht
einmal mehr die Zeit hatten, sich von ihren Liebsten und Freunden zu
verabschieden. Ihre Heimat, in der sich jenes Zuhause befand, wird
ihnen die nächste Zeit sehr fehlen. Und nichts kann dies je
ändern. Nicht einmal der feudalste Luxus auf diesem gigantischen
Raumschiff. Doch die Zeiten, so sagt man, werden die Wunden im Herzen
heilen oder zumindest lindern. Dann gingen sie geschlossen in
Richtung Lift, natürlich geführt, wie sollte es auch
anders sein, von Lyr, dem Androiden. Lyr beschloss, als erstes die
sechs Neuankömmlinge, und das noch vor dem Abendmahl, in
ihren Wohnungen einzuquartieren. In der dritten Etage angekommen,
begann Lyr eine kurze Aufklärung zu starten.
»So, meine Lieben, nun kommen wir zur
Aufteilung eurer Quartiere. Wie ihr bereits erkennen könnt,
befinden sich an jeder Tür der Wohnstätte bereits Namen.
Ich bin mir dessen sicher, dass jeder von euch lesen kann. Lest die
Namen sämtlicher Türen und entziffert die euren. Habt ihr
die euren erkannt, wird diese Wohnstädte auch dieser Person,
zugeordnet.« Ja, da ging Lyr förmlich in seinem Element
auf.
»Haste da noch Worte, Katja? Sieh ihn
dir doch nur mal an, was für ein eitler Blechhaufen dieser
Androide doch ist.«, meckerte Norman zu Katja.
»Ach, lass ihn doch, ich finde ihn süß,
Norman.«
»Ich glaube, Katja, dass habe ich schon
einmal von dir gehört. Na ja, Katja, manchmal kann diese
Nervensäge auch ganz lustig sein. Irgendwie mag auch ich ihn
gut leiden.«, gab Norman offen zu.
»Das glaube ich dir gerne, so wie der
Spruch: Nicht immer, aber dafür immer öfter.«,
konterte nun Katja.
»Mag sein, Schwesterchen, mag sein.«,
erwiderte Norman.
»So meine
Lieben, wie ich sehe, hat nun jeder von euch seine Wohnstätte
ausfindig gemacht, doch noch eines vorweg, jedes Quartier ist von
uns genau so eingerichtet wie das Original bei euch zu Hause. Das
heißt im Klartext, es wird alles genauso identisch aussehen
wie bei euch daheim. Dies hat den Zweck, dass ihr auf der langen
Reise, die ihr hier an Bord verbringt, wenigstens ein Stück
Heimat vorfindet. Natürlich bin ich mir dessen bewusst, dass
all das euer bisheriges Leben und eure Heimat nicht im Geringsten
ersetzen kann. Aber es wird ein vertrauter Anblick für jeden
von euch darstellen und euch, so hoffe ich, ein kleines bisschen
trösten.
»So, in einer Stunde gibt es das
Abendmahl, ich werde euch dann genau um 18 Uhr 30 vor euren Quartieren
erwarten. Wir können dann geschlossen in den Essensraum gehen,
wenn es euch recht ist?«
Alle bejahten mit einem Kopfnicken und begaben
sich in ihre neu zugewiesenen Quartiere.
Norman und Katja blieben noch etwas auf dem
Flur stehen, um sich noch etwas zu unterhalten.
»Na, Norman, was sagst du, die
Neuankömmlinge haben sich eigentlich ganz wacker geschlagen,
oder?«, deutete Katja an.
»Stimmt, Katja, bis auf diese kleine
Meuterei, die sie vor dem großen Saal veranstaltet haben.
Hätte eigentlich mit viel mehr Panik gerechnet.
»Du, Norman, ich hätte da eine Idee,
wir könnten doch nach dem Abendbrot alle in eines unserer
Quartiere einladen, oder?«
»Klar könnten wir das und was
folgt dann?«, belächelte Norman sein Schwesterchen.
»Wie, was meinst du mit 'und was folgt
dann'?«, warf Katja sich wundernd ein.
»Katja, ich meine doch nur, was wir dann
mit den Neuankömmlingen anfangen sollen?«
»Was weiß ich, Norman, ist doch
eigentlich egal, die Hauptsache ist doch, dass wir uns erst einmal
richtig kennenlernen und zum anderen, dass wir ihnen in ihrer Verzweiflung
zur Seite stehen, oder etwa nicht? Es kann doch nicht sein,
dass dir diese Leute, die Unseresgleichen verkörpern, so
vollkommen egal sind.«, gab sie schnippisch zurück.
»Was redest du da wieder, Katja,
natürlich sind sie mir nicht egal. Dennoch bin ich der Meinung,
dass wir sie vorerst in Ruhe lassen sollten. Wenigstens ein paar
Tage, bis sie sich in aller Ruhe an ihr vorläufiges Zuhause
gewöhnt haben. Außerdem sollten wir ihnen die nötige
Zeit lassen, damit sie erst einmal ihre Gedanken ordnen können,
die durch diese drastische Veränderung ziemlich durcheinander
sein müssen. Katja, erinnere dich wie es uns zu Anfang
erging.«
Katja dachte kurz nach. Irgendwie überzeugten
sie Normans Worte.
»Vielleicht hast du Recht damit, Norman,
es wird bestimmt das Beste sein.«
Schließlich bemerkte Norman ein bisschen Traurigkeit aus
Katjas Stimme.
»Was ist
mit dir, Schwesterchen?« Norman bemerkte in Katjas
haselnussbraunen Augen ein Glitzern.
»Sag schon, du heckst doch wieder mal
was aus, oder?«, drängte Norman in ihr Gemüt ein.
»Ach woher. Ich finde, wir sollten uns
jetzt umziehen. In einer Dreiviertelstunde gibt es Abendbrot.«,
erinnerte Katja nochmals Norman.
»Okay, dann wollen wir mal. Also, Katja,
bis nachher.« Im Nu verschwanden die beiden in ihren
Quartieren.
Währenddessen, links, nur zwei Türen
zwischen Katjas und Marys Quartier weiter, befand sich Stephan und
Sarahs Quartier.
Schon einige Minuten lang standen Stephan und
seine Tochter Sarah wortlos in ihrem nachgeahmten Wohnzimmer.
»Wow! Sarah, hier sieht es tatsächlich
wie bei uns zuhause aus.« Stephan wollte seine Tochter ein
bisschen aufheitern, doch nach ihrem Schweigen zu urteilen, schlug
dieser Versuch fehl.
»Sarah, bitte, indem du dich
ausschweigst, veränderst du unsere jetzige Situation doch auch
nicht. Ich meine, dass wir hier auf diesem großen Raumschiff
nicht besonders glücklich werden können, versteh ich ja.
Aber du musst wissen, dass wir das Beste daraus machen sollten. Wir
dürfen auf keinen Fall den Fehler begehen und die Nerven
verlieren. Und sieh doch mal, etwas Gutes hat diese Entführung
doch trotzdem mit sich gebracht, du kannst wieder gehen, das hast
du dir doch immer gewünscht, stimmt es, mein
Liebes. Wie lange willst du mir noch Sorgen machen?«
Weißt du, Papa, es ist nicht nur unsere
Entführung, die mir Kummer bereitet.«, wies Sarah hin.
»So, mein Liebes, was bedrückt dich
denn sonst noch?«, fragte Stephan.
»Ich vermisse Mama so schrecklich.«
Sarah standen die Tränen in den Augen.
»Ich weiß, Kleines, aber du hast doch
selbst vom Hohen Rat gehört, dass, wenn wir wieder nach Hause
kommen, überhaupt keine Zeit vergangen sein wird. Folglich geht alles
seinen normalen Gang.«, erklärte er Sarah.
»So, und wenn es wirklich zutrifft, dass
dann alles seinen normalen Gang geht, dass es dann so wäre, als
wären wir niemals fort gewesen, was ist dann mit meinen Beinen,
ich meine, werde ich dann wieder gelähmt sein und zeitlebens in
diesem verdammten Rollstuhl verbringen müssen?«, da
stellte Sarah ihrem Vater eine Frage, die ihm Angst einjagte.
Zögerlich und leicht stotternd musste er kapitulieren.
»Weißt du, das kann ich dir beim besten
Willen nicht beantworten. Dennoch, ich werde nicht eher Ruhe geben,
bis ich vom Hohen Rat eine klare und ehrliche Antwort bestätigt
bekomme. Das, mein liebes Kind, verspreche ich dir.«
Schwörst du es mir, Papa?« Mit ihren himmelblauen und großen
Augen sah Sarah hoffnungsvoll ihren Vater an.
»Ja, Sarah, ich schwöre es dir.«
»Papa, ich liebe dich, das darfst du
niemals vergessen.« Dann ging Sarah, noch immer etwas wackelig
auf den Beinen, auf ihren Vater zu und umarmte ihn und begann zu
weinen.
»Ist ja gut, Sarah, lass es heraus. Du
bist mein tapferes Mädchen. Weißt du, es würde mir das
Herz brechen, wenn dir etwas geschehen sollte. Hab keine Angst mehr,
ja? Ich werde niemals zulassen, dass irgendwas oder irgendwer dir
Schaden zufügt.« Ja, Stephan machte sich
wirklich Sorgen um seine Tochter. Das lag daran, dass alles erlebte
hier an Bord des Raumschiffes für seine Tochter merklich, also
mit der Zeit, zu viel wurde.
Sarah löste sich von der Umarmung ihres
Vaters und begann, sich in ihrem nachgeahmten und zugleich vorerst
neuem Zuhause, umzusehen. Zuerst ging sie in die Küche und
öffnete einige Schubladen, in denen die Familie ihr Essbesteck
und was man sonst noch so für verschiedene Mahlzeiten
gewöhnlich zu nutzen pflegte, aufbewahrte. Doch sie waren
leer. Als nächstes öffnete sie die oberen Schränke,
in denen sich eigentlich Teller, Tassen und sonstiges an Gefäßen
befinden sollten. Auch hier guckte Sarah wieder einmal ins Leere.
Komisch, früher musste ich meinen Vater
rufen, wenn ich etwas aus den oberen Küchenschränken
benötigte. Und jetzt brauche ich nur meine Arme auszustrecken
und kann sie alleine öffnen. Es ist schon ein wunderbares
Gefühl, unabhängiger zu sein, dachte sich Sarah.
Während sie weiterhin die Küche inspizierte, machte sich
ihr Vater im Wohnzimmer etwas nützlich, in dem er, genau wie
seine Tochter, begann herumzuschnüffeln.
»Mann, das gibt es doch gar nicht, dass
kann es doch nicht geben? Genau identisch, wie Zuhause.«,
meckerte er mal wieder im Selbstgespräch.
Stephan ging an eines der drei großen
Wohnzimmerfenster. Es stach ihm nämlich gleich ins Auge, dass von
den Fenstern Tageslicht in die Wohnstube fiel. Als er den dichten
Fenstervorhang beiseite schob, konnte er nicht mehr als diese
Helligkeit des sonst gewohnten Tageslichts erkennen.
»Hab ich es mir doch gedacht,
künstliches Tageslicht, mehr ist nicht dahinter. Dann fiel es
ihm 'wie Schuppen vom Kopfe'. Mann wie blöde bin ich eigentlich,
wir befinden uns ja in einem Raumschiff. Natürlich kann ich da
nicht nach außen in meinen Garten sehen. Ja, ja, die Macht der
Gewohnheit.«, so dachte er sich noch.
»Mist noch einmal, wenigstens die
Aussicht zu den Sternen hätten sie uns lassen können.«,
murmelte er und ertappte sich mal wieder im Selbstgespräch.
Plötzlich kam Sarah etwas aufgeregt zu
ihrem Vater ins Wohnzimmer.
»Ist was geschehen, Sarah?«, guckte
er sie etwas besorgt an.
»Aber nein. Papa, guck mal in die Fächer
vom Wohnzimmerschrank und sage mir, was du siehst.« Sarah war
auf die Reaktion ihres Vaters gespannt.
»Gut, wenn
du meinst.« Sogleich befolgte er den Rat seiner Tochter und
öffnete eine der Schubfächer. Seine Augen guckten
erstaunt.
»Nanu! Was ist... das gibt es doch gar
nicht. Wo sind denn all unsere Sachen. Da war auch unser echt
silbernes Besteck drin. Und wo ist Großmutters Schmuck, den sie
dir vererbt hat?«
Tja, Papa, in der Küche sieht es auch
nicht anders aus, alles leer. Nicht eine einzige Tasse, nicht ein
einziger Teller oder dergleichen.«, wies Sarah so ganz
nebenbei daraufhin.
»Was ist hier eigentlich los, was für
ein Spiel spielen die mit uns?«, versuchte Sarahs Vater zu
ergründen.
»Das, mein lieber Papa, würde auch
meine Wenigkeit zu gerne in Erfahrung bringen. Aber das, lieber
Papa, werden wir schon herausfinden. Und zwar sehr bald. Stellte
Sarah, nun auf Kampfeslust eingestellt, fest.
»Und wie willst du etwas herausfinden.
Glaubst du im Ernst, du kannst einfach so mir nichts, dir nichts zu
einem dieser Dogon gehen und darauf hoffen, dass er sämtliche
Vertraulichkeiten des Hohen Rates einfach so ausplaudert? Die halten
doch zu Ihresgleichen, darauf kannst du wetten.«,
kommentierte Stephan seine Tochter.
»Nicht doch, Papa, ich bin doch nicht so
verrückt und schneide mir selbst ins Fleisch, indem ich mein
Vorhaben den Dogon so einfach in den Schoß lege. Nein, und nochmals
nein.«
»Von wem denn dann?«,
unterbrach ihr Vater nun neugierig geworden?
»Na rate mal, Papa, wer wohl kennt sich
hier von uns Menschlinge am besten auf diesem Raumschiff aus, das
sind doch jene welche, die am längsten hier sind, oder?«
Dann fiel es Sarahs Vater wie von einem Blitz getroffen in den
Schoß.
»Natürlich, das können nur dieser Norman und die Katja?«
»Genau, ins Schwarze getroffen, Papa.«
»Menschenskind, dass ich da nicht
selbst darauf gekommen bin, Töchterchen.«
»Ach, ist doch egal, wer die Idee dazu
hatte, die Hauptsache ist doch, wir haben endlich die
Möglichkeit, mehr in Erfahrung zu bringen und somit die
Gelegenheit, uns vorzubereiten und wenn nötig uns zu
verteidigen, falls diese Dogon doch noch etwas Böses mit uns
vorhaben.«
»Ja, schön und gut, aber was macht
dich denn da so sicher, dass ausgerechnet die Dogon den beiden
vertrauen und in alle ihre Vorhaben einweihen?«, eine kluge
Frage, die da ihr Vater stellte.
»Warum ich mir da so sicher bin,
willst du wissen? Das beweist doch ihr längerer Aufenthalt
hier auf dem Raumschiff, den sie anscheinend in vollen Zügen
genießen, oder hattest du, seitdem wir hier an Bord sind, je
das Gefühl, dass die beiden Kinder der Traurigkeit sind?«
Sarah kam jetzt gedanklich erst richtig in Schwung.
»Wenn ich
es mir recht überlege, sehr traurig kamen die beiden mir
wirklich nicht vor. Ja, Sarah da könntest du gar nicht mal so
falsch liegen.«
»Und Ob, zudem kommt noch erschwerend
hinzu, dass die beiden ein ausgesprochen gutes Verhältnis
zu diesem zusammengeflickten elektronischen Drahthaufen pflegen.
»Was für einen Drahthaufen?«,
wollte ihr Vater wissen.
»Ich meine doch Lyr den Androiden. Ich
kann es einfach nicht glauben, dass es hier mit rechten Dingen
zugeht. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, die in Frage kämen.«
»Und die wären, Sarah?«
Entweder die beiden spielen uns ein doppeltes
Spiel vor und arbeiten Hand in Hand zusammen, oder, und
ich tendiere mehr für das Letztere, die beiden, also dieser
Norman und diese Katja, sind auch Androiden.«, was da Sarah für
einen Verdacht aussprach, verschlug doch ihrem Vater glatt den Atem.
»Sarah, um Gottes Willen, ja begreifst du
denn nicht was du da behauptest? Ich meine, du selbst hast doch
dieses Verschwinden von der Katja ausgeplaudert, die Aussage
gemacht, dass du diese Katja, als sie in Rednizkleineck auf dieser
kleinen Sitzbank vor dem Bahnhäuschen entführt wurde,
selbst gesehen hast und die Entführung auf Videoband hattest.
Selbst ich sah mir das Band an. Dann frage ich mich, wie es denn
sein kann, dass sie ein Androide ist. Ich meine, es ergibt doch
überhaupt keinen Sinn, seinen eigenen Androiden zu entführen.
Oder was meinst du?« Ja, so leicht machte ihr Vater es seiner
Tochter nicht.
»Sicherlich, Papa, wenn du Recht
behieltest, läge ich wohl oder übel falsch. Dennoch, ich
glaube zu wissen, was sich da in Wahrheit abgespielt hat. Ich
nehme an, Norman und Katja wurden genau wie wir entführt und
auf dieses Raumschiff verschleppt und in einem Moment der
Unachtsamkeit, vielleicht als sie tief und fest schliefen, mit
irgend einem Mittel betäubt und heimlich durch diese zwei, die
sich nun fälschlicherweise als Unseresgleichen ausgeben,
ersetzt. Du hältst meinen Verdacht für eine
vorübergehende Paranoia, stimmt es nicht, Papa?« Sarah wartete
ungeduldig auf eine Antwort von ihrem Vater.
»Nun, nicht ganz, Schatz. Alles, so glaube
ich, ist hier auf dem Raumschiff möglich, bedenkt man diesen
unglaublichen Fortschritt und diese immense Technik, mit der diese
Dogon aufwarten, sollten wir bei unseren Nachforschungen deinen
Verdacht eventuell berücksichtigen.
»Doch ich dachte, du wolltest dich bei den
beiden einschmeicheln, also ne Scheinfreundschaft anfangen, um sie
besser aushorchen zu können.«, konterte jetzt Stephan.
»Aber Papa, dabei bleibe ich auch, ich schlage
somit zwei Fliegen mit einer Klappe.«
»Also, sei mir nicht böse, Sarah,
jetzt verstehe ich nur noch Bahnhof.«, wunderte sich Stephan.
»Aber Papa,
das ist doch gar nicht so schwer zu verstehen. Sollten die beiden,
dieser Norman und seine Schwester Katja, wirklich fälschlicherweise
Androiden sein und ich mich an sie heranschmeißen, dann ist es
nur ganz natürlich, dass sich im Laufe der Zeit eine
Freundschaft entwickeln wird. Und was machen Freunde, die sich gerne
haben und selbstverständlich vertrauen? Na Papa?«
»Äh... Da fällt mir jetzt im
Moment nichts ein.«
»Gut, dann sage ich es dir: Sie erzählen
und vertrauen sich alles an, aber nur in dem Fall, dass sie auch
wirklich Unseresgleichen, also echte Menschen aus Fleisch und Blut
sind. So wie in unsrem Fall. Sollten sie jedoch, was ich vermute,
doch Androiden sein, werde ich in diesem Zeitraum überhaupt
nichts aus ihnen herausbekommen, weil sie Androiden sind, die von
den Dogon gelenkt und gesteuert werden.
Genau das war es, was Stephans Tochter
unbedingt als seelische Stärkung in ihrer verzweifelten Lage
jetzt dringend benötigte. Einen sicht- und erkennbaren Ausweg,
der ihr die Hoffnung schenkte, dass sie, ihr Vater und all die
anderen irgendwann wieder heil und gesund nach Hause kommen würden.
Um dieses Gefühl wollte Stephan seine Tochter nicht berauben.
Er musste sie unter allen Umständen dabei unterstützen.
Denn, ehrlich gesagt, selber glaubte Stephan nicht im Geringsten,
dass die Dogon etwas Böses im Schilde führten. Im
Gegenteil, er glaubte, dass diese Dogon ein friedfertiges Volk sind.
Ein Volk, das sich in sehr großer Notlage befand. Ein Volk,
das keine andere Wahl hatte und nur noch in den Entführungen
einiger Menschen seinen letzten Ausweg sah. Ein Volk, das uns
Menschen seit Anbeginn in Frieden leben ließ. Und ein Volk,
dass die Macht hatte und besaß, uns jederzeit zu versklaven
oder gar zu vernichten.
Schlicht und einfach, Stephan glaubte fest
daran, dass die Dogon ein Volk sind, die um ihre Existenz und um ihr
nacktes Überleben kämpften.
Wider besseren Wissens beschloss also
Sarahs Vater, das Spielchen mitzuspielen, was sich seine Tochter
um ihre Angst zu verdrängen ausmalte oder einbildete, wie
auch immer. Dies war ein Ventil, das seine Tochter als letzten
Ausweg benutzte. Dessen war sich Stephan noch nie so sicher wie in
diesem Augenblick. Und er musste sich absolut sicher sein, dass es
bei dieser seelisch und psychischen Abwehrhaltung auch bliebe und
nicht, dass seine Tochter eventuell einen Ausweg in ihrer Angst
suchte, die ganz tief in ihrem Innersten brodelte und irgendwann
überhand nehmen könnte und sie sich vielleicht in
ihrer Verzweiflung etwas antun könnte. Mittlerweile wurden
Stephan und seine Tochter doch noch fündig. Als Stephan ins
Schlafzimmer ging und den dazu gehörenden Kleiderschrank
inspizierte, fand er seine komplette Ausstattung an Kleidungstücken
vor.
»Na, wenigstens an meine Kleidung haben
die Dogon gedacht.«, wunderte er sich.
»Und auch
bei Sarah hingen sämtliche Kleidungsstücke fein säuberlich
nebeneinander in Reih und Glied auf den Kleiderbügeln. Und im
Nebenfach, auf DIN A 4 zusammengefaltet, stapelten sich Unterhemden
und was man sonst noch so an Unterwäsche benötigt. Auch
im Badezimmer war alles vorhanden, was man zum Reinigen seines
Körpers benötigte. Anscheinend hielten die Dogon sehr
viel von Körperhygiene, denn dieses Waschzeug war nicht
identisch mit den Sachen, die Stephan und seine Tochter eigentlich
zuhause zu benutzen pflegten. Alles war für beide in
vierfacher Ausführung vorhanden. Von der Seife, Zahncreme bis
hin zum Waschlappen war alles da, nur halt viermal.
»Du, Papa, in fünfzehn Minuten müssen wir
fürs Abendbrot fertig sein. Du kannst dir gar nicht
vorstellen, was ich für einen Hunger habe.«, erinnerte
Sarah ihren Vater.
»Ach so, gut Kleines, ich ziehe mich nur
noch schnell um. Mann, Liebes, ich bin auch sehr hungrig, ich könnte
jetzt ein ganzes Pferd verschlingen.«
Während sich Stephan und seine Tochter
zum Abendmahl fertig machten. Ein Tür weiter quälten eine
Person ängstliche Gedanken. Es waren Mary Ritleys Gedanken,
die auch sie mit Schaudern zu beherrschen versuchte. Doch Mary war
von einem ganz anderen Schlag. Klar, das Wort Angst kannte sie wie
jedermann. Dennoch, für Mary wurde die und das Wort Angst,
teilweise zu ihrem Kapital. Denn dieses miese Gefühl musste Sie
oft durch ihren Beruf über sich ergehen lassen. Mary hatte
meist das Glück, wenn sie sich, egal ob in Deutschland oder im
Ausland auf zahlungskräftigem Kundenfang befand, meist in
irgendwelche rätselhafte Phänomene verstrickte, oder durch
einen dummen Zufall in größte Lebensgefahr geriet.
Sie lernte gezwungenermaßen, damit umzugehen. Daher hatte die
Angst, die einen Menschen auf die Dauer innerlich zerfressen konnte,
keine Chance, von ihr Besitz zu ergreifen oder gar die Oberhand zu
gewinnen.
»Ich frage mich, wache oder träume ich.
Das darf doch alles nicht wahr sein. Ich hoffe, dass wir bei dieser
Geschichte halbwegs gut davonkommen. Meine Güte, genau wie
dieser Lyr gesagt hatte, es ist alles genau identisch. Selbst die
kleinste Kleinigkeit. Nur die Sachen in den Schränken, also
das Materielle, muss ich feststellen, fehlen. Außer der
Kleiderschrank, der ist wie ich es von zuhause her gewohnt bin,
gerammelt voll.«, dachte sich Mary.
Mary war stets auf ihr Äußerliches
bedacht. Das brachte ihr Beruf mit sich. Da genügte nicht nur
ein gut aufgetragenes Mage up, nein im Gegenteil, die Garderobe
musste stets erneuert werden. Mary musste ständig mit der
neusten Mode vor ihren Kunden aufwarten können. Tja, und das
wurde natürlich zur Gewohnheit.
»Na ja,
hier in diesem Kaff, ach ich vergaß, ich befinde mich ja in
einem Raumschiff. Ich glaube hier werde ich mich nicht so modisch
aufpäppeln müssen. Außerdem glaube ich nicht,
dass es hier in dieser übergroßen Blechdose eine Butik
oder der gleichen gibt. Na, was soll's. Da werde ich halt mit dem
was vorhanden ist, ein bisschen improviSieren müssen. Wie sagt
man so schön, Not macht erfinderisch. Auweia, jetzt fange
ich schon an, Selbstgespräche zu führen. Mann, wie weit
bin ich geistig gesunken. Kein Wunder bei einer Gesellschaft von
Außerirdischen, die nicht einmal selbst mit ihren Problemen
fertig werden. Wie soll man denn bei so vielen Nostalgien, die in
diesen Quartieren herrschen, einen klaren Kopf behalten. Nun,
irgendwie werden wir das Kind schon schaukeln.«, dachte sich noch
Mary, während sie sich umzog, um sich genau wie all die anderen
auch auf das Abendessen vorzubereiten. Und da war dann noch Gregor
Wagner, unser Athlet, der sein Quartier gleich links zwischen Mary
und Peter bezog. Er erlebte gleichermaßen eine Überraschung,
als er nur oberflächlich seine Einrichtung
bemusterte. Seine Reaktion glich fast der der anderen.
Wie wir bereits wissen, war Gregor ein Streber in geschäftlichen
Dingen. Wo er nur konnte, versuchte er, jeden Mitarbeiter in Peter Lenz'
Agentur auszubooten. Doch in den 5½ Jahren, die Gregor bereits in der
Agentur beschäftigt war, gewöhnten sich die Kollegen
allmählich an sein Verhalten, zumal der Chef Gregor
unmissverständlich vor aller Augen klarmachte, dass nur die
Zusammenarbeit für ihn zählt. Und dass er den
Einzelkämpfer, die auf eigene Faust und auf Kosten des gesamten
Teams spielen, von Grund auf nicht ausstehen konnte und
dass diese und seine Mitarbeiter bei ihm keine Zukunftsaussichten
in seiner Firma hatten. Von diesem Zeitpunkt an hielt sich
Gregor einigermaßen zurück. Gregor war
auch ein Single ersten Grades, vor drei Jahren hatte er sich
verlobt, doch diese Beziehung ging nach wenigen Wochen in die
Brüche, als diese junge und attraktive Frau seinen wahren
Charakter kennenlernte. Auch er, so kann man sagen, war mit der
Agentur verheiratet und leistete sehr gute Arbeit.
Und Peter, der Boss und Macher der Agentur
für Rätselhafte Phänomene? Nun über ihn brauchen
wir gar nicht erst viel zu erzählen. Er bezog zwischen Gregor
und zu guter Letzt Susanne sein Quartier. Er fühlte sich
genauso einsam wie all die anderen. Dennoch war er nicht der Typ
Mensch, der nicht doch noch irgendwie einen Plan im Kopf hatte, wie
er sich am besten bei allen beliebt machen konnte, um sie alle zu
seinen Gunsten ausspielen zu können. Ja, so war er, in allen
Lagen ein hinterhältiger und nur auf seinen Vorteil bedachter
Streber. Trotz alledem konnte er nichts dafür. Es war
eben seine Natur.
Und da war ja auch noch Susanne Kobitsch,
das 'Mädchen für alles', die uns ja auch bereits, so wie
all die anderen, bekannt sein dürfte und die als einzige diese
Entführung als ein Abenteuer interpretierte. Sie bekam zu
ihrer Freude das letzte Quartier ganz links am Ende des Flurs und
hatte somit nur einen Nachbarn zu ihrer Rechten, es war Peter, ihre
heimliche und einzige große Liebe. Susanne hatte niemanden außer
ihrer Arbeit. Einige ihrer Kollegen in der Agentur bezeichneten sie
des Öfteren als alte Jungfer. Doch das störte Susanne
nicht im Geringsten. Als sie ein junges Mädchen war, schwor sie
in ihrer Gemeindekirche, am Fuße des Kreuzes, sie wuchs
nämlich in einem kleinen Dorf nahe Regensburg auf, dass
sie nur eine Beziehung beginnen würde, wenn sie wahrhaftig und
mit ganzem Herzen verliebt sei. Verliebt war Susanne in ihrer
gesamten Jugend nicht ein einziges Mal. Klar gab es ein paar Jungs,
die sie ganz nett fand, dennoch, mehr als ein kindliches Küsschen
verteilte sie nie. Im Gegenteil, sie verteilte lieber haufenweise
Körbe. Susanne war in ihrer Jugend ein sehr begehrtes und
wunderschönes Mädchen. Trotz der vielen Anfragen bei ihrer
Großmutter willigte sie niemals einem Antrag ein, so dass
sich ihre Großmutter manches Mal doch sehr über ihr
Verhalten wundern musste. Doch statt mit ihrer Enkelin darüber
zu reden, schwieg sich ihre Großmutter lieber aus. Die Jahre
verflogen für Susanne in liebloser Qual und Sehnsucht nach dem
unbekannten Liebsten, nach der wahren großen Liebe. Diese Zeit
hinterließ natürlich ihre Spuren des Älterwerdens,
die Fältchen, die sich von Jahr zu Jahr immer
tiefer in ihr hübsches Gesicht gruben, ja gar einbetteten, und
die ihr leise zuflüsterten, dass es langsam Zeit wurde, seinem
Liebsten endlich zu begegnen. Dann ihre hübschen Haare, die von
diesen silbernen Fäden durchzogen wurden, die man nur mehrmals
im Jahr durch Chemie geschickt verbergen konnte. Ja all das
ertrug sie, ohne sich zu versündigen. Weil ihre Hoffnung, den
Liebsten ihres Lebens zu begegnen, niemals wankend wurde. Bis zu
jenem Tag, an dem sie bei der Agentur von Peter Lenz vorstellig
wurde. Von diesem Tage an, und wir wissen bereits, dass auch Susanne
schon über viele, viele Jahre bei Peter arbeitete, schwor sie
sich, entweder diesen Peter Lenz oder gar keinen. Tja, und seit
dieser Zeit lebt sie nur noch für drei wichtige Dinge in ihrem
eigentlich einsamen Dasein. Zum Ersten für Peter, zum Zweiten
für die Agentur und zu guter Letzt für die winzige
Hoffnung, dass eines Tages Peter auch ihr seine Liebe offenbaren
würde. Obwohl Peter nicht im Geringsten von Susannes Zuneigung
und innigen Liebe zu ihm wusste oder es auch nur vermutete. Ja, er hatte
überhaupt keine Ahnung, dass Susanne seit dem ersten Arbeitstag
wahnsinnig in ihn verliebt war. Susanne war ein Einzelkind. Sie
wuchs bei ihrer Großmutter auf. Ihre Eltern starben schon sehr
früh, als sie noch ein kleines Kind von vier Jahren war. Ihre
Eltern hatten gemeinsamen Selbstmord begangen. Ansonsten hatte sie
keinerlei Verwandte, außer einem Onkel in Nord-Australien, den
Sie aber nur von einem alten Foto her kannte. Dieses Foto hatte
Susanne am Sterbebett ihrer Großmutter mütterlicherseits
erhalten. Keine Adresse, keine Telefonnummer, nur das Foto, auf dem
auf der Rückseite eben dieses Wort Nord-Australien
geschrieben stand. Daher vermutete Susanne, dass ihr Onkel in
Australien zu Hause sein musste. Aber das war ihr irgendwie egal.
Sie kannte ihn ja nicht persönlich und sie wusste ja nicht
einmal, ob dieser angebliche Onkel aus Australien überhaupt noch
unter den Lebenden weilte. Daher kam für Susanne jedenfalls
diese nichtgeplante, außergewöhnliche und
ungewöhnliche Art des Reisens als Abwechslung gerade
recht. Sie hatte nichts und niemanden zu verlieren. Etwas besser
ausgedrückt, Susanne kam dieser außerplanmäßige
Urlaub - und das in der Hauptsaison - gerade recht.
Nachdem sich mittlerweile alle für das
heutige Abendmahl zurechtgemacht hatten, versammelten sie sich
nach und nach auf dem Flur. Im Nu begrüßten sich alle
freundlich, während Katja die Neuankömmlinge bat, auf Lyr
den Androiden zu warten. Sie versuchte, ihnen begreiflich zu machen,
dass Lyr die absolute Pünktlichkeit in Person war. Und wenn
Lyr 18 Uhr 30 und 4,5 Sekunden gesagt hätte, dann wäre er um
18 Uhr 30 und 4,5 Sekunden zeitgenau vor den Quartieren gestanden.
Also beschlossen alle, auf diesen überpünktlichen Androiden
zu warten.
Während sich Katja mit Norman und Stephan
unterhielt, kam Sarah bedächtig und langsam auf Katja zu. Mit
einem sonderbaren Blick auf Katja blieb sie etwa einen halben
Meter wortlos vor ihr stehen.
»Oh, Hallo Sarah, es ist schön, dass
du dich zu uns gesellst.«, begrüßte Katja sie
herzlich. Und auch Norman schenkte ihr ein herzliches Lächeln.
»Hallo Katja, die Freude ist ganz auf
meiner Seite.«, gab sie mit Hintergedanken zurück.
»Und, schon sehr hungrig, Sarah?«,
wollte Katja wissen.
»Oh ja, ich könnte einen ganzen
Elefanten verdrücken.«, erwiderte sie.
»Also eines muss man ja den Dogon
lassen, kochen können die, das ist unglaublich.«,
belobigte Norman die Kochkunst der Dogon.
»Das kannst du Norman beruhigt glauben.
Egal was du dir dort bestellst, die haben alles. Da kannst du, wenn
du Lust auf etwas Ausgefallenes hast, dich bewirten lassen wie ein
Kaiser.«, bestätigte Katja Normans Tipp.
»Das ist ja Klasse. Sagt mal, ihr
beiden, wo ist denn hier die Küche?« Sarahs Vater war
nicht gerade von ihrer Frage begeistert, denn er wusste, was seine
Tochter im Schilde führte.
»Die Küche, wieso willst du wissen,
wo sich die Küche befindet?«, fragte Katja verdutzt
nach.«
»Tja, wie so viele Menschen, zeige auch
ich Interesse für gutes Essen. Vielleicht werde ich mit ein
bisschen Glück gesegnet und kann einem dieser Meisterköche
ein paar ausgefallene Rezepturen abluchsen. Ich hege schon lange
den Gedanken, irgendwann einmal ein eigenes Kochbuch zu
veröffentlichen. Na, was sagt ihr dazu, ist das nicht ne
Spitzen-Idee?«, schwindelte Sarah, bis sich die Balken bogen.
Ganz zum Erstaunen ihres Vaters.
»Ja, durchaus eine gute Idee, Sarah.«,
bestätigte Katja.
Dann folgte ein Schweigen in der kleinen
Runde, während Sarah mit großen Augen und offenen Mund
auf ihre Frage, wo sich denn nun diese fragliche Großküche
befände, ungeduldig wartete.
»Nun, ich warte!«, drängte Sarah weiter.
»Die Sache ist die, Sarah, da gibt es ein
winzig kleines Problem.«, gab Norman ihr fast im
Flüsterton zu verstehen.
»Was? Das gibt es doch gar nicht!
Angeblich werdet ihr doch schon seit Jahren in dieser
überdimensionalen Sardinenbüchse gefangengehalten. Und da
wollt ihr mir allen Ernstes weismachen, dass ihr nicht wüsstest,
wo sich hier diese Küche befindet?« Sarah glaubte, Norman
und Katja an ihrem wunden Punkt getroffen zu haben und natürlich
die richtige Frage gestellt zu haben um die beiden unsicher zu
machen und um sie aus ihrer Defensive herauszulocken.
»Genau das trifft zu. Es hat uns nie
interessiert, also haben wir auch nicht danach gefragt.«, gab
nun Norman zur Antwort.
»Sarah, es wird das Beste sein, du
fragst Lyr, wo sich die Küche befindet, okay?«, riet ihr
Norman.
»Das werde ich auch tun, verlasst euch
drauf.«, ärgerte sich nun Sarah.
»Du kannst ihn ja gleich fragen, denn da
kommt er schon, pünktlich wie eh und je.«, riet auch Katja dem
Mädchen Sarah.
Als Sarah diesen Androiden Lyr kommen sah, wurde ihr Gesicht
aschfahl.
Ȁh... Da... Das ist doch nicht so
wichtig. Das hat doch noch Zeit, oder was meint ihr?«, ja, ja,
als Norman, Katja und sogar ihr Vater sahen, wie Sarah eine
Mischung aus Respekt und Angst vor Lyr zeigte, mussten sie sich
schon ein wenig das Schmunzeln verkneifen.
»Guten Abend, ihr Lieben. Wie ich ersehen
kann, seid ihr schon bereit zum Abendmahl. Prächtig, prächtig.
Ausgehvorzüglich. Dann lasset uns zur Nahrungsaufnahme
schreiten.«, verkündete Lyr mit Wonne.
»Du, Lyr, warte mal einen Augenblick.«,
rief Katja Lyr zurück.
»Aber gerne, meine liebe Katja, was ist
dein Begehr? Vorerst noch eine kleine Winzigkeit. Verzeiht meine
veränderliche Sprache, ich übe mich in einer gehobenen
gesellschaftlichen Stilebene der feinen Gesellschaft eures
Planeten. Ich hatte mich in den Hauptcomputer eingeloggt und
entdeckte in einem kleinen Winkel eines Speicherspektrums doch
tatsächlich mehrere komplette Bibliotheken. Wie konnte sich
nur dieses kleine Speicherfeld so lange vor mir versteckt halten.«
Und Lyr kam mal wieder so richtig in Fahrt und in sein Element.
»Lyr, bitte!«, unterbrach nun Katja, um Lyr Einhalt zu gebieten.
»Oh... verzeih mir, Katja, wie kann ich
dir behilflich sein?«, horchte Lyr schließlich auf.
»Dieser jungen Dame konnten Norman und
meine Wenigkeit auf eine bestimmte Frage leider keine Antwort
geben, worüber sie sich sehr
echauffierte.« Sarah hörte, worüber Katja und Lyr sich
unterhielten und sah nun etwas beschämt auf den Fußboden.
Was auch Lyr sogleich bemerkte.
»Aber nicht doch, Fräulein Sarah,
kein Wesen in den Weiten des Universums ist allmächtig oder gar
allwissend. Ein Beispiel: Auf eurem Planten gibt es viele Tausende
von Bibliotheken. Und in jeder einzelnen Bibliothek gibt es wiederum
Tausende von Büchern. Diese beinhalten wiederum das Wissen von
mehrere Jahrhunderten, wenn nicht gar von Jahrtausenden. So, und jetzt
sehen sie mich an, ich besitze das Wissen von mindestens fünftausend
Bibliotheken, die ich in meinem Speicher jederzeit, und das in einer
Nanosekunde, abrufen kann. Das Gleiche gilt auch für das
Wissen unseres Planeten. Und was ich in meinem Speichermedium nicht
abrufen kann, hole ich mir von unserem Hauptcomputer. Und jetzt,
Fräulein Sarah, hören sie mir genau zu. Und trotz aller
Vorteile, die ich gegenüber den organischen Wesen
besitze, bin auch ich nicht fehlerfrei. Und selbst unser
Hauptcomputer konnte mir im Verlauf meiner Existenz nicht immer
eine Antwort, die ich ihm stellte oder abrief, geben. Sie sehen,
Fräulein Sarah, es gibt also keinen Grund auf Norman und Katja
böse zu sein. Ihr Menschen solltet euch nicht gegenseitig
so viel Misstrauen vor die Füße werfen oder euch
gegenseitig, aus welchen Gründen auch immer, rivalisieren.
Sondern in Güte, in Harmonie und im gegenseitigen Zusammenhalt
miteinander und nicht gegeneinander sein. Versucht ein kollektives
Team zu sein, wo sich ein jeder auf den anderen ohne Zweifel, Gier
oder gar Neid verlassen kann. Ihr braucht euch mehr, als euch
bewusst ist und mit der Zeit werdet ihr erkennen müssen und die
Erfahrung machen, dass es nichts kostbareres gibt, als eine wahre und
innige Freundschaft, die nur durch gewisse Entbehrungen und
Prüfungen zu einer Bruderschaft gereifen kann, die letztendlich
gegen alles Übel Bestand hat. Nun, kleines Fräulein Sarah,
möchte ich ihre Neugier stillen. Sie fragten, ob es hier an Bord
des Raumschiffes eine Küche gäbe. Ich muss dies verneinen.
Sämtliche Nahrungs- und Genusmittel, sowie jede Form
trinkbarer Flüssigkeiten, oder Flüssigkeiten, die zur
körperlichen Hygiene dienen, kommen aus dem, ihr würdet es
als Kellergeschoss bezeichnen, aus diesen Tieffrachträumen. Bei
Gelegenheit, wenn es euch interessiert, können wir gerne einen
Rundgang durch dieses, sagen wir einmal, Labyrinth der Genüsse
machen. Jede Speise, die ihr zu euch nehmt, wird durch ein sehr
kompliziertes Verfahren vollautomatisiert von unseren Deklinen, ihr
würdet sie als Roboter bezeichnen, zusammengestellt. Und durch
ein weiteres Verfahren auf seine Ursprungsgröße gebracht
und je nach Mahlzeit erwärmt. Und in diesem fertigen Zustand,
natürlich unter Berücksichtigung der richtigen Temperatur,
mit allen Vitalstoffen, Vitaminen, Spurenelementen, Eisen, Kupfer
usw., die euer Körper benötigt, versehen. Dann werden durch ein
besonderes Transportverfahren die inzwischen fertigen Mahlzeiten
nach oben zu unseren Sachebs, ihr würdet hier wiederum diese
Männer als,Ober oder Kellner deklarieren, geliefert. Diese
Menüs werden je nach Bestellung an die dafür vorgesehen
Personen am Tisch angerichtet.«
» Ja, und das Geschirr wäscht sich wohl von alleine, oder was?« Diese
Fragestellung seitens Peters klang irgendwie lästernd.
»Aber nein, Peter, wo denkst du hin?
Allerdings kann man diese Gefäße nicht als Geschirr
deklarieren. Unsere Gefäße bestehen nämlich aus
reinem Magninium. Aber dir dies zu erklären, würde eine
lange Zeit in Anspruch nehmen, die ich im Augenblick nicht
besitze.«, erwiderte Lyr.
Die meisten der acht Neuankömmlinge
fühlten sich etwas beschämt, sie redeten sehr schlecht
über diesen Androiden, sie konnten nicht im Geringsten erahnen,
wie nett und besorgt er doch um das Wohlergehen ihrer selbst war.
Sie konnten nicht wissen, dass er ein so hilfsbereiter Androide mit
so viel Feingefühl und Fürsorge bestückt war. Eines
war nun klar, sie sahen diesen Androiden und sogar Norman und Katja
von nun an mit anderen Augen. Und zwar im guten Sinne.
»Lyr? Wenn dort Speisen zubereitet
werden, handelt es sich nach meiner Meinung doch um eine Küche,
oder etwa nicht?«, tja, Sarah konnte es einfach nicht lassen,
es lag nun einmal in ihrer Natur, alles für sie ungewisse
so lange zu erfragen, bis sie eine für sie verständliche
Antwort bekam. Also sozusagen einen hieb- und stichfesten Beweis.
Kapitel 15, Urlaub auf Sinas
Anfang und Kapitelübersicht
© 2012 by Peter Althammer
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