Kapitel 3, Das Raumschiff, Teil 2
Wieder in München, Ruferstr.16 Agentur. Rätselhafte Phänomene.
Peter war am Wochenende mal wieder in
Feldgriesen. Dort lag ein zauberhafter Ort mit einem wunderschönen
und fischreichen See, wohin er sich in seiner ganzen Freizeit
flüchtete, um sich von seinen geschäftlichen Aktivitäten
zu erholen. Schon vor Jahren hatte er sich in diesem Ort und den
dazu gehörenden See ein kleines Häuschen gekauft, das er
aber nur im Urlaub oder an den Angelwochenenden bewohnte. Keinen
Stress, kein Autolärm und vor allem keine Telefonanrufe. Peters
Vorteile lagen darin, dass er niemandem davon erzählt hatte.
Keiner von seinen Geschäftskollegen kannte sein Ziel, wenn er
ins Wochenende oder in den Urlaub fuhr. Nicht einmal seine engsten
Verwandten erfuhren bisher von der Existenz seines Fluchtortes.
Peter saß in seinem Bürosessel und grübelte in sich
hinein. Dann entschloss er sich, seinen Anrufbeantworter abzuhören.
Peter hatte sich zur Gewohnheit gemacht, immer freitags vor dem
Start in sein heiß ersehnte Angelwochenende seinen
Anrufbeantworter einzuschalten, den er jeden Montagmorgen bei
Arbeitsantritt abspielte. Beim Durcharbeiten seiner
letzten Berichte, die er freitags nicht mehr fertig bekam, hörte
er nun den Anrufbeantworter ab. Dabei wurde er bei einer der
Meldungen hellhörig. Sofort spulte er zu dieser fraglichen
Stelle zurück und horchte nochmals auf.
»Hä, ja, Hallo... Hä, guten Tag.
Ich möchte Ihnen etwas Außergewöhnliches erzählen,
jedoch noch nicht meinen Namen nennen. Noch nicht. Also, es geht um
eine Geschichte, nun eine Geschichte ist es nicht gerade, aber es
ist ein echtes Phänomen. Ja, ein echtes Phänomen. Und ich
möchte Ihnen...« Peter hörte sich die ganze
Geschichte von dieser jungen Frau an. Geschichte? Ja, für Peter
roch es nach einem Phänomen.
»Susanne... Susanne?«, schrie
Peter wieder einmal wie ein Choleriker, als hätte er den ganzen
Tag nichts anderes zu tun als sich in seiner Tonart zu üben.
Susanne, die gerade Kaffee aufbrühte, ließ
fast vor Schreck die Kanne fallen. Dann stellte sie die Kaffeekanne
in die Fassung des Aufbrühgerätes und machte sich
geschwind auf den Weg durch den engen Flur. Der Gang stand auf
beiden Seiten mit unzähligen Kartons voll, die sich bis zur
Decke hoch auftürmten. Es galt schon beinahe als Kunststück,
ohne zu stolpern in eines der Büros zu gelangen.
»Was ist, Chef?«
»Ah, da bist
du ja, Susanne. Hier rufe doch bitte mal diese Nummer an und mache
mir einen nächstmöglichem Termin mit dieser jungen Dame.
Ach ja, und noch etwas. Ich möchte außerdem mit einem
ihrer Erziehungsberechtigten sprechen, denn diese Dame hörte
sich doch sehr jung an, für mein Gefühl zu jung, okay
Susanne?«
»Klar Chef, aber unter welchem Namen
darf ich diese Dame denn begrüßen?«
»Nun Susanne, der Name ist mir nicht bekannt.«
»Wie bitte?« Aber woher wissen Sie...«
»Susanne, höre auf, mir immer Löcher
in den Bauch zu fragen und tue einmal das, was ich von dir
verlange. Es handelt sich hierbei um eine Meldung, die ein sehr
junges Mädchen auf dem Anrufbeantworter hinterließ. Sie
hörte sich zumindest sehr jung an. Sie wollte ihren Namen nicht
preisgeben. Außer dieser Nummer und die Hoffnung auf eine
gute Geschichte haben wir nichts. Also kümmere dich gefälligst
darum.«
»Ist ja schon gut, Chef, ich gehe ja
schon.«
»Warte, Susanne, noch etwas. Kannst du
mir noch einen Gefallen tun?«
»Klar Chef, gerne.«
»Nenn mich nicht immer Chef, wie oft
muss ich dir das noch sagen.«
Ohne weiteren Kommentar ging Susanne wieder
einmal beleidigt in ihr Büro, um sogleich die neue Order zu
erledigen. Gregor der Athlet stand schon lauernd vor Susannes Büro,
aus Angst etwas verpasst zu haben.
»Na, Susanne, gibt es was Neues vom
Alten?«, fragte Gregor bedrängend.
»Oh ja, der Alte, wie du ihn zu nennen
beliebst, riecht ne heiße Geschichte.«
»Ist doch prima, oder?«
»Ja sicherlich, ist bestimmt ne tolle
Geschichte.«
»Oho, das klingt aber nicht nach
Begeisterung. Höre ich da etwa Missgunst in deiner Stimme? Was
ist los, Susanne?«
»Ach, Gregor, weißt du, immer muss Peter
mich anschreien, ich kann es schon nicht mehr hören, sein
ständiges Meckern. Irgendwann werfe ich den ganzen Kram hin.«
Gregor kannte Susanne gut genug. Er wusste,
dass Susanne niemals ihren Job aufgeben würde und ahnte, dass
sie Peter mal wieder mit dem Wort Chef anredete.
»Ist mal wieder das berühmte Wort,
wie zum Beispiel Chef gefallen, nicht wahr Susanne, habe ich Recht?«
»Mann, was ist denn schon dabei, er ist
doch auch mein Chef, oder nicht?«
»Klar ist er das, aber du kennst ihn
ja. Er kann es nun mal nicht leiden, akzeptiere das endlich,
Susanne.«
»Das tue ich ja, aber es rutscht mir
halt immer wieder raus.« Nichts desto trotz ging Susanne an
ihren Arbeitsplatz, um sogleich diese fragliche junge Dame anzurufen.
Susanne wählte die Nummer, die Peter ihr
gegeben hatte und wartete, dass sich jemand meldete.
Sarah hatte stets ein mobiles Telefon in ihrer
Nähe, so dass sie jederzeit erreichbar war und wenn nötig
Hilfe anfordern konnte.
»Ja, Sarah Hübner am Telefon?«
»Guten Tag, hier spricht die
Sekretärin von Peter Lenz, Agentur für rätselhafte
Phänomene. Sie sind doch die junge Dame, die am letztem Freitag
eine Nachricht auf unseren Anrufbeantworter hinterlassen hat?«
»Ja, ja, sicherlich, die bin ich, aber ich
dachte, dass ich mit dem Herrn Lenz persönlich sprechen
könnte.«
»Ja, wenn Sie darauf bestehen, werde ich
Sie mit dem Herrn Lenz verbinden, einen Moment bitte.«
»Susanne stellte die Verbindung zu
Peters Büro her, wo alsgleich Apparat 3 klingelte.«
Wenn dieser Apparat klingelte, wusste Peter
automatisch, dass der Anruf von Susanne zum Gespräch
weitergeleitet wurde.
Sofort hob Peter Apparat 3 ab.
»Ja, Peter Lenz am Apparat, was kann ich
für Sie tun?«
»Hä, ja, hier ist das junge
Fräulein, die am Freitag diese merkwürdige Nachricht auf
ihrem Anrufbeantworter hinterließ. Mein Name ist Sarah, Sarah
Hübner.«
»Es freut mich, endlich ihre
Bekanntschaft zu machen, Fräulein Hübner. Sie brauchen
sich im Bezug auf ihre Nachricht, die Sie uns hinterlassen hatten,
keine Gedanken zu machen. Es gibt leider viel zu wenig Menschen, die
wie Sie den Mut besitzen, ihre rätselhaften Phänomene in
die Öffentlichkeit zu tragen.«
»Oh ja, Herr Lenz, Sie sprechen wahre
Worte. Also das war so, ich...«
»Hä, entschuldigen Sie, Fräulein
Hübner, dass ich Sie unterbreche, aber ich bekam irgendwie den
Eindruck, dass Sie noch sehr jung sind. Natürlich mindert es
nicht die Glaubwürdigkeit ihres, na sagen wir einmal,
Erlebnisses. Dennoch muss ich Sie darauf hinweisen, sollten Sie noch
minderjährig sein, bräuchte ich eine Genehmigung von
einem ihrer Erziehungsberechtigten, um überhaupt in ihrem Fall
irgendetwas zu unternehmen. Ich hoffe, Fräulein Hübner, dass
Sie Verständnis dafür haben. Das schreibt nunmal das
Gesetz vor. Deshalb halte ich es für besser, dass wir diesen
Fall nicht am Telefon besprechen sollten. Ich schlage Ihnen vor,
dass Sie sich erst einmal mit ihren Eltern besprechen und wenn Sie
das Okay haben, wir uns bei Ihnen zu Hause treffen und nach
eingehender Prüfung ihres Falles alles in die Wege leiten.«
»Ja, Herr Lenz, ich bin ja erst fünfzehn
Jahre alt und ich glaube, das wird das Beste sein. Ich mache Sie
trotzdem darauf aufmerksam, dass ich querschnittgelähmt bin und
in einem Rollstuhl sitzen muss. So werden Sie sicherlich verstehen,
dass ich Ihnen in keiner Weise entgegen kommen kann.«
»Machen Sie
sich hierüber keine Sorgen. Alles was zu diesem Fall erledigt
werden muss, werde ich für Sie in die Wege leiten. Natürlich
nur, wenn es sich wirklich feststellen lässt, dass es ein
außergewöhnliches Phänomen ist. Doch vorher möchte
ich mich noch einmal bestätigt wissen, Sie haben also wirklich
das ganze Ereignis auf einer Videokassette. Und Sie haben dieses
Phänomen eigenhändig mit einer Videokamera gefilmt?
Verzeihen Sie, aber ich muss mich da absichern, denn vieles entpuppt
sich letztendlich als Betrug.«
»Sie können mir ruhig glauben, ich
habe alles auf Videoband. Es ist keine Erfindung von mir, Herr Lenz.«
»Dann ist es ja gut. Noch etwas, haben
Sie außer meiner Person und ihren Eltern irgendjemandem
etwas von ihrem Erlebnis erzählt, oder weiß jemand, zum
Beispiel ein guter Freund oder ein Vertrauter, von der Kassette?«
»Bis jetzt niemand.«
»Gut, das ist prima.« Also,
Fräulein Sarah, dann werden wir uns alsbald treffen müssen,
sobald ich das Okay eines ihrer Elternteile habe.«
Man spürte Sarahs drängen. Sarah sah
sich schon im Fernsehen. Sie träumte förmlich mit offenen
Augen. Diese Augen begannen, einen gierigen Blick wiederzuspiegeln
und man könnte meinen, es stünde ein Zettel auf Sarahs
Stirn, wo geschrieben steht, ich verkaufe ein Geheimnis.
»Legen Sie nach unserem Gespräch
nicht auf, meine Sekretärin wird Sie noch nach ihrer genauen
Anschrift fragen. Dann bis auf bald, so hoffe ich, Fräulein
Sarah.«
»Gut, dann bis auf bald.«, erwiderte
Sarah.
*
Jetzt hatte Sarah ein Problem. Eigentlich
wollte sie es vor ihrem Vater erst einmal geheim halten, und nun
das. Nun, da half alles nichts, irgendwann einmal musste sie es
ihrem Vater schonend beibringen. Sein Okay brauche ich auf alle
Fälle. Da hilft alles nichts. Denn Papa arbeitet ja von zu
Hause aus. Und dadurch ist er folglich die meiste Zeit zu Hause,
dachte sich Sarah.
Tja, Sarah hatte da nicht einmal so unrecht.
Noch war sie nicht alt genug, um selbst eine solche Entscheidung zu
treffen. Und wenn es um Entscheidungen ging, die Sarah betrafen,
kannte Sarahs Vater kein Mitleid. Er überließ nichts dem
Schicksal, dass Sarah vielleicht von irgend was oder irgend jemandem
Schaden nehmen könnte. Sicherlich würde dann ihr Vater
denken, dass diese Agentur alles andere als eine Agentur sei. Und mit
Recht. Viele junge Mädchen wurden heutzutage mit allen
möglichen Versprechungen gelockt. Sie wurden auf gemeinste Art
und Weise ausgebeutet und ausgenutzt und dadurch an Leib und Seele
zutiefst verletzt. Von wo es für die meisten kein Entrinnen
mehr gab. Also war Sarah gezwungen, ihrem Vater diese unglaubliche
Geschichte, die sie auf Videoband hatte, vorzuführen. Sie hatte
es sich nun einmal in den Kopf gesetzt.
*
Wieder in die Ruferstr. 16 München:
»Verdammt noch mal, das darf doch nicht
wahr sein! Bei dem Mädchen hat ja noch der Papa Staat die Hände
drauf. Menschenskind, was mach ich denn jetzt. Was ist, wenn es
doch eine heiße Geschichte ist. Die Konkurrenz schläft
nicht. Meine Güte, jetzt führe ich schon Selbstgespräche.«
»Susanne, Susanne?«, schrie Peter
aus ganzer Lunge.
Susanne kam in Windeseile angerannt, als wäre der Teufel hinter
ihr her.
»Was ist denn, Chef, äh Peter?«
fragte Susanne erstaunt und erschrocken.
Auch Gregor, unser Athlet, kam neugierig hinterdrein.
»Könnt ihr euch das vorstellen?
Die Kleine, die mit mir ernsthaft verhandelte, was schätzt ihr
wie alt die ist.«
Weder Gregor noch Susanne wussten darauf eine Antwort.
»Gut, dann sage ich es euch, ganze 15 Jahre alt.
Was sagt ihr dazu?«
»Nun, ich glaube, dass sich hier ein
Problem anbahnt.« entgegnete, Gregor mit tiefer Stimme.
Und Susanne gab natürlich auch ihre Meinung zum Besten.
»Tja, da hat der Papa Staat noch die
Hände auf des Mädels Schoß.«
»Ja Susanne, das dachte ich mir vorhin
auch. Was machen wir nur?«
Gregor und Susanne sahen sich axelzuckend an.
»Trotzdem, entweder sie spricht mit
einem ihrer Eltern über die ganze Sache, oder ich lasse die
ganze Sache sausen, Punktum.« , ärgerte sich Peter.
Dann dachte Peter kurz nach.
»Oder ich könnte versuchen, in den
Besitz dieser Kassette zu kommen. Denn wenn diese Kassette kein
Blender ist, ich meine, wenn da wirklich ein echtes Phänomen
darauf zu sehen ist, nicht auszudenken! Stellt euch nur mal vor,
diese Aufnahme könnte in die falschen Hände geraten.
Außerdem glaube ich nicht, dass diese Sarah Hübner sich
der Tragweite bewusst ist, wenn sie denn wirklich ein echtes und
unbestechliches Phänomen auf ihrer Kassette besitzt.« äußerte Peter sich besorgt.
»Sag mal Peter, glaubst du, dass an
dieser Geschichte der Hübner was dran ist, ich meine dass diese
Kassette wirklich existiert?« machte Gregor mit dieser
Andeutung Peter nervös.
»Das hoffe ich vor allem für uns.
Wir müssen jetzt sehr schnell Handeln.
Wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass das
Militär davon Wind bekommt. Die würden das Mädchen
mit ihren Methoden fix und fertig machen. Mein Instinkt sagt mir
aber, dass da durchaus etwas drann ist. Ich habe da so ein Gefühl,
das mir mal wieder keine Ruhe lässt. Und bis jetzt konnte ich
mich zu neunzig Prozent darauf verlassen. Okay, Susanne, in einer
Stunde machst du mir ne Verbindung zu dem Mädchen, dann werden
wir ja weitersehen.«
»Gut Chef. Mach ich.«
»Und nenn mich nicht immer Chef.«
Während Susanne und Gregor in ihre Büros
zurückkehrten, suchte Peter nach seinem Feuerzeug, das er
irgendwo auf seinem Schreibtisch verlegt hatte, der mit unzähligen
Akten und Notizen belagert war. Ein Wirrwarr, das Seinesgleichen suchte, in dem
anscheinend nur er sich zurechtfand.
*
Währenddessen ungefähr 120 Kilometer nördlich von München:
Sarah machte sich längst Gedanken über diesen Herrn Lenz,
nach dem Telefongespräch. Wie sie es wohl
ihrem Vater beibringen konnte, dass sie ihn zwecks seiner
Videokamera angelogen hatte. Sarah kam nämlich zu der
Erkenntnis, dass eine Lüge der anderen folgte. Sie fühlte
sich durch ihre eigene Lüge in die Ecke gedrängt. Sie fühlte
instinktiv, dass Lügen auf die Dauer nicht fruchten konnten.
Jetzt erst begriff sie. Schon so oft wurde Sarah von ihrem Vater
aufgeklärt, dass sich Lügen nicht auszahlen würden.
Also beschloss Sarah, alles zu sagen, ja reinen Tisch zu machen.
Auch musste sie damit rechnen, dass ihr Vater sehr von ihr enttäuscht
sein wird. Trotz alledem. Alles würde sie ihm nun mit offenem
Herzen darlegen. Und das ohne, wenn und aber. Und inständig
hoffte sie, dass ihr Vater, wie schon so oft, ihr verzeihen würde.
Sie wusste dass er sie, wie die meisten Väter, abgöttisch
liebte. Und dass sie ihm daher sehr wehtat.
»Nun, Sarah, da musst du jetzt durch, in
den sauren Apfel beißen. Reiß dich zusammen und sei tapfer.«,
gab Sarah im verzweifelten Selbstgespräch von sich.
»Papa? Papa?«, schrie Katja wieder
einmal nach ihm.
Sarahs Vater war gerade dabei, seine Steuererklärung zu
berechnen, da hörte er Sarahs Ruf. Und sofort ließ er
wieder alles stehen und liegen und eilte die Treppen ins
Hochparterre zu Sarahs Zimmer.
»Ist alles in Ordnung, Kleines?«
»Aber ja doch Papi, du brauchst dir
nicht immer gleich Sorgen um mich zu machen, wenn ich nach dir rufe,
es muss doch nicht immer gleich etwas mit mir geschehen sein.«
»Verzeih Liebes, aber deine Rufe klingen
immer nach einem verzweifelten Hilfeschrei.«, wobei ihr Vater
dieses eine mal gar nicht so Unrecht hatte.
»Was wolltest du eigentlich, Sarah?« Sarah fürchtete diesen
Moment, in dem sie die Karten offenlegen musste.
Es war nicht leicht für sie, ihren Vater
mit der Wahrheit wehzutun. Dennoch, da wollte sie jetzt durch. Komme
danach, was wolle.
»Papi, hast du etwas Zeit für mich,
weißt du, ich muss dir unbedingt einiges beichten?«
»Es muss schon was Schlimmeres sein, wenn Sarah
beichten will, denn das kommt nicht allzu oft vor.», dachte sich
noch Sarahs Vater.
»Nun gut Kleines, ich höre?«
»Ja, weißt du, Papa, ich weiß gar nicht,
wie ich anfangen soll.«, gab Sarah in wehmütigen Worten
von sich.
»Weißt du, Kleines, ich würde es mal
mit der Wahrheit versuchen.«
Noch immer stockte Sarah der Atem, doch sie
hatte bereits A gesagt, dann musste sie auch B sagen.
»Ja, Papi, das wollte ich gerade tun, ich
meine mit der Wahrheit beginnen.« Dann nahm sie ihren ganzen
Mut zusammen und begann.
»Weißt du, Papa, ich hatte mir doch am
vergangenen Freitag die Videokamera von dir ausgeliehen.«
»Ja, Liebes.«, unterbrach er Sarah fordernd.
»Ja, und du kannst dich bestimmt noch an
die Geschichte erinnern, die ich dir erzählte, damit ich sie von
dir bekomme.«
»Also, wenn sie nicht der Wahrheit
entsprach, ich meine deine Geschichte, dann bin ich schon etwas
enttäuscht von dir, denn sie klang sehr gut ausgedacht von
dir.«
Immer schwerer fiel es Sarah zu sprechen, so
dass es unausweichlich und unmöglich für sie wurde, die
Tränchen zu verdrücken.
»Ich weiß, Papa, dass es nicht
recht war, dich so anzulügen, aber ich konnte doch nicht zusehen
wie diesem Mädchen Leid angetan wird. Ich musste mir doch
eine Geschichte ausdenken, um an deine Videokamera ranzukommen. Ich
weiß doch, dass du sie nicht gerne weggibst.«
»Wa... was für ein Mädchen,
wer wollte einem Mädchen etwas antun und was für ein
Mädchen meinst du eigentlich, Sarah? Geht es dir gut, hast du
Fieber Kind?« Sarahs Vater war ganz durcheinander, er machte
sich offenbar große Sorgen.
»Papa, mir fehlt doch nichts. Warum
kannst du mir nie richtig zuhören?«
Sarah weinte, ja es sah so erbärmlich und
herzzerreißend aus, dass Sarahs Vater fast selbst die Tränen
kamen und er schlucken musste.
»Entschuldige Liebes, nun beruhige dich
doch erst einmal, dann werde ich dir zuhören ohne dazwischenzureden.«
»Hast du denn so viel Zeit, Papa?«
»Na ja,
eigentlich wollte ich meine Steuererklärung heute noch fertig
machen, aber was soll es, du bist mir jetzt wichtiger. Das hat bis
morgen auch noch Zeit. Das wird unseren Vater Staat schon nicht
gleich in den Ruin treiben.«
Und Sarah erzählte, ja Sarah erzählte
alles, von A bis Z, nichts ließ sie aus. Nach jedem Satz den
sie beendete, bemerkte Sarah, dass ihr Vater begann, ihr liebevoll in
die Augen zu sehen. Obwohl sie eigentlich mit einem Wutausbruch von
ihrem Vater rechnete, bewunderte sie ihn, dass dem nicht so war. Im
Gegenteil, ihr Vater war nicht einmal erstaunt. Er war die Ruhe
selbst.
»So, Papa, jetzt weißt du alles. Ich kann
dir gar nicht sagen, wie leid mir das alles tut. Wirklich Papa.«
»Ich weiß mein Kind.«
»Papa, was ist mit dir, warum siehst du
mich denn so an?«
»Liebes, weil ich jetzt weiß, was
ich schon immer wusste. Du bist ein ganz außergewöhnliches
liebes Mädchen. Jetzt weiß ich auch, dass meine Erziehung
Früchte trägt. Sarah, für eine Lüge habe ich
niemals Verständnis, das weißt du auch. Ich wollte dir
eigentlich nur begreiflich machen, dass es auch Ausnahmen geben
kann. So wie zum Beispiel, wenn es um das Wohl eines Mitmenschen
geht.«
Jetzt begriff Sarah überhaupt nichts mehr.
»Papa, was meinst du damit?«
»Du hast mir heute wieder einmal
gezeigt, dass sehr viel Gefühl und Menschlichkeit in dir und
deinem Herzen wohnen. Ich bin sehr stolz auf dich. Es ist schön,
miterleben zu dürfen, wie mein kleines Mädchen langsam
aber sicher zu einer klugen und erwachsenen Dame wird.«
Sarah konnte sich nicht mehr halten und
streckte ihre kleinen und zierlichen Arme nach ihrem Vater aus, der
sogleich ihre Zuneigung mit einem zärtlichen und sanften Kuss
auf ihre Stirn erwiderte. Eine zentnerschwere Last fiel Sarah
von ihren Schultern.
»Also Kleines, die Lüge mit der
Kamera vergessen wir ganz geschwind. Ich hätte an deiner Stelle
wahrscheinlich auch nicht anders gehandelt. Aber was die Erlaubnis
mit dieser Agentur betrifft, da kann ich noch nicht mein Okay geben.
Dazu möchte ich mir erst einmal dieses Videoband ansehen. Und
danach sollte ich diesen Peter Lenz mit seiner Agentur unter die
Lupe nehmen. Du musst mich auch verstehen, ich kann dir nur ein Okay
geben, wenn ich mir absolut sicher sein kann, dass dieser Lenz einen
einwandfreien Leumund besitzt?«
Sarah war erleichtert, dass sie mit diesem
Phänomen nicht mehr alleine dastand. Ja, in diesem Augenblick
liebte sie ihren Vater so sehr, dass sie ihn wortwörtlich am
liebsten mit Haut und Haaren auffressen würde.
Sarah beobachtete
ihren Vater genau. Sie war auf seine Reaktion sehr gespannt. Sie
platzte vor Neugier. Und als Sarahs Vater sich in ihrem Zimmer auf
dem Bett sitzend das fragliche Video ansah, wurde er kreidebleich.
Verwundert sah er Sarah an. Dann stand er von ihrem Bett auf und
ging, zum Erstaunen von Sarah, wortlos aus ihrem Zimmer. Sie war wie
geschockt. Sie begriff nicht, was mit ihm los war. Jede Reaktion
hätte sie erwartet. Schreien, weinen, ja sogar in Ohnmacht zu
fallen. Alles, nur das nicht. Sie hatte mit einer solchen Reaktion
von ihrem Vater nicht gerechnet. Dann drehte sie sich mit ihrem
Rollstuhl in Richtung Ausgang zur nächsten Tür, die ins
Wohnzimmer führte. Doch als sie dort ankam, war von ihrem Vater
nichts zu sehen. Als nächstes sah sie in der Küche nach,
doch auch dort hielt er sich nicht auf.
»Aha, dann kann er ja nur in seinem Arbeitszimmer sein.«
»Papa, Papa?«, rief sie etwas laut nach ihm.
Doch es folgte keine Antwort von Papa.
Sarah beschloss, so laut zu schreien, dass ihr
Vater denken musste, dass ihr was zugestoßen wäre. Etwas
anderes fiel ihr in dieser Aufregung nicht ein. In Vaters
Arbeitszimmer konnte sie nicht mit ihrem Rollstuhl gelangen, das
befand sich ja im ersten Stock. Wie sollte sie denn da mit ihrem
Rollstuhl hochkommen.
»Papa, Papa?« Schrie sie aus
tiefster Seele.
Sie schrie so laut, dass es sogar die Nachbarn
hören müssten. Doch wieder keine Reaktion.
Das war das allererste mal, dass ihr Vater
auf ihren Ruf nicht reagierte. Sarah machte sich nun große
Sorgen.
Dann kam Sarah ein schrecklicher Gedanke. Er wird sich doch nichts
antun, dachte sich Sarah.
»Es kann auch sein, dass er einen Schock
hat. Das beste wird sein, dass ich die Polizei anrufe. Halt, das
geht ja nicht. Es soll doch niemand etwas von dem Phänomen
erfahren. Was Mach ich denn nur. Oh Gott, was mach ich nur?« ,
gab Sarah im ständigen Selbstgespräch von sich.
Doch es nutzte ihr nichts, Hilfe musste sie
holen. Es ging ja schließlich um ihren Vater.
»Nun gut, ich muss Hilfe herbeirufen.«
Dann rollte sie wieder in ihr Zimmer, wo
sich ihr eigenes Telefon befand. Sie nahm den Hörer ab und rief
die für diesen Ort zuständige Polizei an.
»Rednizkleineck, Kriminalinspektion 1,
Oberwachtmeister Kliegel am Apparat. Was kann ich für sie tun?«
»Äh ja, mein Name ist Sa...«
plötzlich wie aus dem Nichts, kam eine Hand dazwischengefahren
und riss ihr den Hörer aus der Hand.
Sarah wandte sich zu Tode erschrocken in die Richtung, aus der die
pfeilschnelle Hand gekommen war.
»Papa, du, aber wa...?«, fiel es ihr
schwer zu sprechen. Ihr steckte noch vor Schreck ein Kloß im
Hals. Dann begann sie zu weinen.
»Wer ist am Apparat, bitte?« ,
fragte ihr Vater den Zuhörer am anderen Ende der Leitung. Er
wollte sich sicher sein, wer dran war.
»Oberwachtmeister Kliegel.«
Oberwachtmeister Kliegel war der älteste
Polizist in diesem kleinen Ort. Er galt als Choleriker, der seine
kleine Truppe, bestehend aus vier weiteren Kollegen, mit
militärhaftem Ernst schikanierte. Doch nichts desto Trotz
mochten ihn alle in diesem Ort, da er sich selbstaufopfernd und
einsatzfreudig zeigte, wenn es um die Kinder dieses Dorfes ging.
»Es befand sich doch eine Dame in der
Leitung?«, fragte der Wachtmeister neugierig nach.
»Oh ja, entschuldigen Sie, das war meine
Tochter, die Sie aus Sorge um mich anrief. Es tut mir Leid, meine
Tochter dachte, dass ich mich in Gefahr befände. Sie müssen
wissen, meine Tochter ist querschnittgelähmt und als Sie mich
rief, ich befand mich gerade in meinem Arbeitszimmer, hatte ich
vermutlich ihren Ruf überhört. Und da geriet Sie in
Panik.«
»So, da geriet Sie in Panik? Wie heißen
Sie?«, kam sehr forsch die Forderung des Wachtmeisters.
»Die Familie Hübner. Ich bin
Stephan Hübner, der Vater von Sarah.«
Aha, die Hübners also. Na ja, dieses eine
mal drücke ich noch mal ein Auge zu. Ich habe nämlich mehr
zu tun als Anrufe von verschreckten Kindern anzunehmen, vor allem,
wenn es falscher Alarm ist. Nun gut, klären Sie bitte ihre
Tochter über die Wichtigkeit des Notrufes auf!«
»Aber sicher, Sie können sich ganz
auf mich verlassen, es kommt ganz bestimmt nicht wieder vor. Und
wenn, dann ist es mit Sicherheit wirklich dringend. Und danke noch
mal. Auf Wiedersehen, Oberwachtmeister Kliegel.« Dann legte er
den Hörer wieder auf.
»Grund gütiger, Kind. Was hast du
dir dabei gedacht, gleich die Polizei anzurufen?«
»Aber ich dachte, du hättest dir
etwas angetan. Du hast dich plötzlich so merkwürdig
verhalten.« Als Sarahs Vater sah, dass sie weinte, wurde ihm
recht schwer ums Herz.
»Verzeih, Kleines. Du hast Recht, es war
sehr egoistisch von mir.« Aber ich war so geschockt von
diesem Geschehen, dass ich alles was ich bisher glaubte, in Frage
stellten musste. Ich kann es immer noch nicht begreifen. Sarah, das
ist unglaublich, bist du dir überhaupt im Klaren, ich meine, du
bist dir doch bewusst, was du da für einen Beweis in Händen
hältst. Weißt du überhaupt, wie sich dadurch dein Leben
verändern kann und was für Folgen diese Aufzeichnung für
uns alle hätten?«
Sarah wurde sehr neugierig, aber dennoch war
sie sich der Tragweite nicht bewusst, wie diese Aufnahme ihr
Leben verändern könnte.
»Was meinst du mit verändern, Papa?«
Sarahs Vater sah seiner Tochter tief in die
Augen und er konnte sehr viel daraus lesen.
»Da fragst
du noch, Kleines? Nun gut, ich will versuchen es dir so gut wie
möglich zu erklären. Nehmen wir einmal an, du möchtest
diese Aufnahmen an die Öffentlichkeit preisgeben und bestimmte
Experten befinden deine Aufzeichnung, was dieses Phänomen
betrifft, für echt und das werden sie, nach allem was ich da
gesehen habe. Im Nu wäre die gesamte Presse und das Militär
hier und würde unser schönes Rednizkleineck in eine
Quarantäne-Station verwandeln. Sie würden dir keine Ruhe
mehr lassen, dich testen, dich unentwegt ausfragen, ja dich rgelrecht
verhören, immer und immer wieder. Dass wollen wir doch nicht,
oder?«
»Aber Papa, du hast doch selbst gesagt,
dass ich vielleicht mit diesem Lenz zusammenarbeiten dürfte.
Der Herr Lenz weiß doch mehr als irgendjemand anders, wie man
sich in solchen Fällen verhält. Oder etwa nicht, Papa?«
»Dass mag schon sein. Aber glaube mir,
mein Kind, letztendlich will er doch auch nur diese Geschichte
verkaufen. Oder was glaubst du, wovon diese seine Agentur lebt?
Liebes, ich meine es doch nicht böse. Ich will doch nur dein
Bestes. Du glaubst mir doch, Kleines?«
»Natürlich glaube ich dir, Papa. Und
was mache ich nun, wenn dieser Lenz hier anruft, ich habe ihm doch
meine Nummer gegeben und das wird er, darauf kannst du dich
verlassen.«
»Nun, in diesem Fall werde ich wohl oder
übel mit diesem Herrn ein paar ernsthafte Worte reden
müssen.«
»Aber Papa, wir können diese
Geschichte doch nicht einfach unter den Teppich kehren, was wird denn
dann mit diesem armen Mädchen, der Katja Moser?«
In diesen Augenblick konnte natürlich
Sarahs Vater nicht ahnen, dass seine Tochter ganz andere Pläne
mit diesem Wunder hatte. Ja, dass seine Tochter die Reine Gier
erfasste und sich schon als superreiche und weltbekannte
Persönlichkeit in allen Radios und Fernsehstationen sah.
»Verdammt noch mal, daran hatte ich in
all dieser Aufregung gar nicht gedacht. Du hast Recht, solange wir
nicht wissen, was aus dem Mädchen geworden ist, können wir
diese Geschichte nicht einfach beiseite kehren. Ach, dass bei uns
das Pech nicht abreißen will. Ich verstehe das nicht.«
»Aber Papa, ob das mit Pech zu tun hat,
wird sich noch herausstellen. Wir sollten uns jetzt vielmehr
Gedanken darüber machen, wie wir der Katja helfen könnten.
Und Glaube mir, wenn es jemand kann, dann nur einer.«, ging
Sarah wieder einmal geschickt zum Angriff über.
Denn intuitiv hoffte sie, dass dieser Peter
Lenz nicht nur ein profitgieriger Geschäftsmann war. Nein,
vielmehr plädierte sie dabei auf dessen Berufs-Erfahrung in
außergewöhnlichen Fällen.
Während, sich beide einen Plan
ausdachten, wie sie der Katja Moser am besten behilflich sein
konnten, klingelte Sarahs Telefon.
»Papa, gehst mal ans Telefon?«
»Klar, mache ich. Ja, hier bei Hübner.«
»Guten Tag, hier spricht die Sekretärin von Peter Lenz,
Susanne Meinert, Agentur für rätselhafte
Phänomene. Mit wem spreche ich bitte?«
»Grüß Gott, Sie sprechen
mit dem Vater von Sarah Hübner, was kann ich für Sie tun?«,
erwiderte Stephan.
»Ja, bleiben Sie bitte am Apparat, ich
verbinde Sie mit meinem Chef, den Herrn Lenz.«
»Ja gut, ich warte.«, erwiderte
Stephan recht freundlich.
*
München, Ruferstr.16:
Peter suchte noch immer sein Feuerzeug, das
sich irgendwo auf dem Schreibtisch zwischen den vielen Akten und
Schriftverkehr liegen musste.
»Das kann es doch nicht geben, es muss
doch irgendwo sein.«
Und während Peter weitersuchte, klingelte
das Verbindungstelefon.
»Mist, ausgerechnet jetzt.«
»Ja Susanne, was gibt es denn so
dringendes?«
»Chef, ich habe jetzt ihre gewünschte
Verbindung in der Leitung. Kann ich sie durchstellen?«
»Was, welche Verbindung denn?«
»Na von dieser Sarah Hübner,
allerdings ist ihr Vater am Telefon.«
»Ah ja, natürlich, ist mir doch
glatt entfallen. Das trifft sich gut, ich wollte sowieso mit ihren
Eltern sprechen. Mit welchen von beiden spielt letztendlich sowieso
keine Rolle. Gut, Susanne und danke. Und noch etwas, nenne mich
nicht immer Chef, ich warne dich.«
»Ich werde mich bemühen, Chef, Hä,
entschuldige bitte, Peter.«
Und Susanne wendete sich wieder, aber zugleich
amüsiert, ihrer Arbeit zu.
Peter hob von Apparat 3 den Hörer ab, um Sarahs Vater zu
begrüßen.
»Guten Tag Herr Hübner, ich darf
mich erst einmal vorstellen, ich heiße Peter Lenz von der
Agentur rätselhafte Phänomene. Ich freue mich, ihre
Bekanntschaft zu machen.«
»Ja, guten Tag Herr Lenz, Stephan Hübner
ist mein Name. Dennoch, ob ich mich freuen kann, wird sich noch
herausstellen. Meine Tochter hat mir bereits alles erzählt, was
dieses Phänomen und das heimliche Gespräch mit Ihnen
angeht. Ich möchte Ihnen auch gleich sagen, dass ich mir dieses
Video angesehen habe. Und ich finde, dass es nicht gut wäre, bei
einer eventuellen Veröffentlichung der Videoaufnahme meine
Familie mit hineinzuziehen. Bestimmt haben Sie dafür
Verständnis, Herr Lenz.«
»Natürlich
kann ich Sie verstehen, Herr Hübner. Es war nicht ganz fair von
mir, Ihre Tochter in ihrem Vorhaben zu ermutigen. Aber dennoch
bin ich davon überzeugt, dass es sehr schade wäre, wenn
wir dieses anscheinend außergewöhnliche Ereignis der Welt
verschweigen würden. Doch trotz alledem und ungeachtet dessen,
wie Sie sich auch entscheiden werden, hoffe ich doch inständig,
dass ich mich demnächst bei Ihnen persönlich für
etwaige Umstände entschuldigen darf, Herr Hübner.«
Ein kluger Schachzug von Peter Lenz.
Worauf Stephan Hübner glatt hereinfiel.
»Na ja, wenn das so ist, will ich mal
nicht so sein. Auch ich bin der Ansicht, dass wir uns treffen sollten
und das sehr bald. Denn was ich auf diesem Band gesehen habe, macht
mir doch etwas Angst. Ich kann mir das einfach nicht erklären,
dass so etwas überhaupt möglich ist. Ich kann es Ihnen
auch nicht erklären, Herr Lenz, wenn Sie mich danach fragen
sollten. Dazu muss ich diese Aufzeichnung meiner Tochter erst einmal
gründlich unter die Lupe nehmen.«
Es waren genau diese Worte, die Peter Lenz
hören wollte. Sein Motto war, niemals Druck bei seinen Meldern
machen. Und wenn es noch so wichtig und ungewöhnlich sei,
erzählen die meisten Melder ihre Erscheinung von ganz alleine.
Melder nannte Peter diejenigen, welche ein Phänomen
erlebten und dies bei seiner Agentur anzeigten. Jeder konnte ein
Melder für Peter sein, aber Sie mussten natürlich einige
Punkte aufweisen können. Einer dieser Punkte wäre zum
Beispiel ein hieb- und stichfester Beweis. So wie es bei Sarah
Hübner der Fall zu sein schien. Natürlich könnte
auch bei Sarah ein Betrug dahinterstecken. Doch der Behauptung,
dass Sie eine Aufnahme auf einer Kassette besäße, musste
Peter nachgehen. Allein schon der Konkurrenz wegen, die ja
bekanntlich auch nicht schläft und genau so schnell zuschlägt
wie eben Peter. Und wie Recht er doch hatte. Es ist eine heiße
Geschichte.
»Herr Hübner, kann ich davon
ausgehen, dass Sie und ihre
Tochter Sarah sich dazu bereit erklären, mit mir und der Agentur zusammenzuarbeiten?«
»Ich bin mir nicht so sicher, Herr Lenz.
Es kommt darauf an, was Sie unter dem Begriff Zusammenarbeit
verstehen.«, erwiderte Sarahs Vater.
Natürlich wird er mit Peter zusammenarbeiten. Doch ohne irgendeine Prüfung zum Schutze seiner
geliebten Tochter konnte er verständlicherweise noch nicht
ganz zusagen. Außerdem war es ihm wichtig geworden, ja so sehr
wichtig, dass er nun eine endgültige Aufklärung des
außergewöhnlichen Phänomens wollte. Noch schwerer
wiegte das Verlangen, Katja Moser zu helfen und die Entführung
durch das unbekannte Wesen aufzuklären.
»Nun, unter
einer Zusammenarbeit verstehe ich, dass wir alle zusammen dieses
ungewöhnliche, ich darf einmal sagen, Ereignis, ja dass wir
dieses ungewöhnliche Phänomen aufklären werden. Und
das mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Herr
Hübner, ich verstehe ihre Sorge sehr gut und ich kann auch ihre
Zweifel mir gegenüber verstehen. Doch wenn wir dagegen nichts
unternehmen und die Sache einfach unter dem Wort Geheimnis
belassen, wird es nur weitere drei Menschen mehr auf diesem Planeten
geben, die niemals eine Antwort bekommen werden. Eine Antwort auf
wenigstens eines von so vielen Wundern, die unser unendliches
Universum verbirgt. Folglich gibt es nur eines, was wir
tun können, was wir gemeinsam tun sollten. Nämlich, was ich
schon einmal zu Ihnen sagte. Wir müssen alle uns zur Verfügung
stehenden Mittel benutzen. Was halten Sie davon, Herr Hübner.«
Ja, das klingt glaubwürdig, aber was
wollen Sie nun wirklich von mir?«, gab Stephan argwöhnisch
von sich, natürlich mit Recht.
»Ich will von Ihnen hören, dass Sie
bereit sind alles dafür zu tun, mit mir zu tun, was dafür
nötig ist. Ohne, wenn und aber. Versuchen Sie mir zu vertrauen,
Herr Hübner. Und glauben Sie mir, ich verstehe nicht nur, mein
Geschäft zu leiten, sondern ich bin auch ein Profi in Sachen
rätselhafte Phänomene.«
»Nun gut, Herr Lenz, Sie haben mich
geschickt um ihren Finger gewickelt. Ich bin bereit. Und wie geht es
nun weiter, Herr Lenz?« Ja, Stephan wurde sicherlich um den
Finger gewickelt.
Aber es sollte der Tag kommen, an dem Stephan
und seine Tochter dieser einen und wichtigen Entscheidung eine
gravierende Veränderung verdanken sollten. Eine Veränderung,
die ihr ganzes Leben umkrempeln wird und das nicht im schlechten
Sinne.
»Als erstes würde ich vorschlagen,
dass wir uns dieses Videoband gemeinsam bei Ihnen zu Hause ansehen.
Und zum zweiten müssen wir, also meine Crew und ich, diese
Aufnahme einem Test unterziehen.«
»Einem Test unterziehen?« Peter
war von Stephans Misstrauen nicht gerade begeistert, das konnte
Peter auch deutlich an Stephans Seufzer hören.
»Ja einem Test unterziehen. Sie brauchen
sich deshalb keine Gedanken machen. Es ist ein Test, bei dem wir die
Art des Phänomens begutachten und auswerten. Sie können
sich dies jetzt nicht vorstellen, aber wir hatten Fälle, bei denen
sogar ich irregeführt wurde.«
»Glauben Sie, Herr Lenz, dass sich meine
Tochter diese Geschichte einfach nur aus den Fingern gesogen hat?
Und was ist mit dem Video? Ich habe es mir angesehen und ich konnte
keinen Trick erkennen. Außerdem, woher sollte meine Tochter die
Fähigkeit haben, einen so täuschungsähnlichen
Videofilm zu drehen. Sie wissen ja, dass meine Sarah gelähmt
ist.«, entgegnete Stephan verteidigend.
»Aber nein,
Herr Hübner, im Gegenteil. Ich bin wie Sie der festen
Überzeugung, dass das was Sarah aufzeichnete, sie auch
eindeutig erlebte. Sie können mir glauben, es gibt ne Menge
junger reicher Leute, die keine Kosten scheuen, um ihren langweiligen
Alltag mit einem genialen Streich zu krönen. Dieser Test dient
ausschließlich der Erkennung der Echtheit. So verfahren alle
Agenturen. Wir wollen uns doch die Peinlichkeit ersparen, dass sich
diese Geschichte als einmaliger und genialer Betrug entpuppen
würde?«
»Natürlich, da muss ich Ihnen Recht
geben, Herr Lenz. Und wann wollen wir uns treffen, um sich gemeinsam
die Aufzeichnung anzusehen?«
»Herr Hübner, das beste wird sein,
dass wir uns bei Ihnen zu Hause treffen und dort alles unter Dach
und Fach bringen. Dort können wir auch über die Gage
sprechen, wenn tatsächlich mit dem Material etwas anzufangen
ist. Sind Sie damit einverstanden?«
Der letzte Satz, den Lenz aussprach, machte
Stephan doch etwas nervös. Denn was eine Gage ist, wusste Peter
und er begriff auch, dass in Verbundenheit mit der Gage auch die
Bekanntmachung seiner Tochter und seiner Wenigkeit gemeint waren.
Stephan roch förmlich die Gier dieses Peter Lenz, was ihm sehr
missfiel. Er hatte eigentlich an eine Hilfsinitiative für
Katja Moser gedacht, nicht an eine Bereicherung durch
gewinnbringende Bekanntmachung.
»Hä, was meinen Sie mit einer Gage,
Herr Lenz.«, fragte Stephan herausfordernd und zugleich
eindringlich.
»Herr Hübner, ich kann mich nur
wiederholen. Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen um ihre Tochter
zu machen. Ich würde niemals zulassen, ihre Tochter auf
irgendeine Weise in Misskredit zu bringen. Denoch, ohne
Bekanntmachung geht es heutzutage wirklich nicht mehr. Ich will
ehrlich zu Ihnen und ihrer Tochter sein. Unser Geschäft lebt
davon. Durch unsere Zusammenarbeit können wir einiges erreichen
und diesen brisanten Fall eventuell aufklären. Ich glaube das
liegt in unserem gemeinsamen Interesse, nicht wahr Herr Hübner?«
»Wenn das so ist, kann ich Ihnen nicht
wiedersprechen, Herr Lenz. Sie müssen mich auch verstehen, es
wird heutzutage viel zu viel Schindluder mit uns Otto Normalverbraucher getrieben.«
»Natürlich, dem stimme ich zu.«
Einige Worte von diesem Peter Lenz hatten ihn
schon überzeugt. Und instinktiv hoffte Stephan, dass, wenn schon
die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt werden muss, dann sollte
natürlich auch ein Vorteil für Katja Moser herausspringen.
Vielleicht, so dachte sich noch Stephan, war seine Tochter Sarah
doch nicht die einzige, die dieses Ereignis an der kleinen Bank bei
dem Bahnhofshäuschen beobachtete. Und vielleicht, aber nur
vielleicht, würde sich dieses Phänomen doch als Irrtum
herausstellen und sich für Katja Moser zum Guten wenden.
»Nun gut Herr Lenz, dann wird es wohl
für alle beteiligten das beste sein, dass Sie mich und meine
Tochter gleich Morgen so gegen 14 Uhr besuchen kommen. Ich hoffe,
das ist für Sie machbar?«
In Peter kam Freude auf, als er sich seiner Geschichte sicher war.
Besser konnte es für ihn und seine Agentur nicht laufen.
»Aber natürlich ist es machbar, Herr Hübner, das ist kein
Problem für mich. Also, dann verbleiben wir bis morgen so, in
Ordnung, Herr Hübner?«
»Ja gut, dann bis morgen, Herr Lenz.«
»Auf Wiedersehen, Herr Hübner.«
Und Peter legte den Hörer wieder auf.
*
Wieder bei den Hübners:
Und fast zeitgleich legte Sarahs Vater den Hörer auf die Gabel.
»Nun gut, jetzt habe ich wenigstens die
Sache ins Rollen gebracht.«, flüsterte Sarahs Vater im
Selbstgespräch.
Sarah sah ihren Vater mit großer Erwartung an, man konnte ihr
die Neugier förmlich von den Augen ablesen.
»Und, Papa?«, fragte Sarah nochmals nach.
»Tja, Sarah, dieser Lenz wird morgen um
14 Uhr zu uns kommen.«
»Und weiter?«
»Er möchte sich auch gleich das
Video ansehen.«, entgegnete ihr der Vater.
»Oh Mann, das ist ja ein Ding, jetzt
können wir der Katja bestimmt helfen, nicht wahr, Papa?«
Doch den letzten Satz hatte ihr Vater gar
nicht mehr wahrgenommen. Zu sehr war er in seinen Gedanken
vertieft, als er plötzlich jäh davon herausgerissen wurde.
»Papa, Papa.«, schrie Sarah ihren
Vater an.
»Was, oh, entschuldige, ich war gerade in
meinen Gedanken vertieft.«
»Du hast mir überhaupt nicht
zugehört, was ich gerade sagte.«
»Verzeih Kleines, aber ich dachte mir
gerade, dass hoffentlich alles gut gehen wird, ich meine mit dieser
eigenartigen Geschichte. Sarah, auch ich muss ständig an das
Mädchen Katja Moser denken. Ob es ihr gut geht, ob sie
wohlbehalten ist.«
Diese Frage, die sich ihr Vater stellte,
stellte sich Sarah auch und sie konnte ihren Vater gut verstehen,
dass er sich Sorgen um die Katja machte.
»Ja, Papa, ich hoffe auch, dass es ihr gut
geht. Aber mach dir nicht so viele Sorgen, es wird sich schon
aufklären.«
Doch für Sarahs Vater war dies eine zu schlichte wörtliche
Beruhigung von seiner Tochter.
Denn es blieben noch so viele unbeantwortete
Einzelheiten übrig, als dass er sich sicher sein konnte, dass es
dem Mädchen Katja gut gehen sollte. Und eine davon ließ
ihm einfach keine Ruhe. Ja, diese eine Frage wollte er als erstes
klären und das noch heute.
Sarah beobachtete ihren Vater aufs Genauste.
»Was grübelst du denn jetzt schon
wieder, Papa?«
»Weißt du, Liebes, es gäbe da eine Frage,
die ich mir immer und immer wieder stelle. Die mir einfach keine
Ruhe lässt.«
»Und um welche handelt es sich dabei?«, fragte Sarah ihren Vater.
»Na ja, sag
mal, hast du dir nicht auch schon die Frage gestellt, warum die Katja
von nichts und niemandem vermisst wird? Keine Meldungen im
Fernsehen oder im Radio? Merkwürdig ist, dass keiner von ihrer
Sippschaft sich bisher nach ihr erkundigt hat. Ich meine, ich sollte
wenigstens ihrer Mutter Bescheid geben. Doch würde sie mir
glauben? Es ist zum Haare ausraufen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich
mich verhalten soll.
Sarahs Vater hatte Recht, auch Sarah kam das sehr merkwürdig vor.
»Ja, Papa, jetzt wo du es sagst. Das ist
schon sehr merkwürdig, sehr merkwürdig.«
»Sag mal, Sarah, hast du vielleicht die
Telefonnummer von der Katja Moser?«
»Nein Papa, tut mir leid. Ich kannte
Katja nur vom Sehen, außer ein paar Worte hier und da mit ihr
zu wechseln, war da nicht viel.«
Sarahs Vater hatte da einen Einfall.
»Sarah, wir müssten herausbekommen, warum niemand bisher
von ihrer Familie ne Vermisstenanzeige startete.
Es wird am besten sein, dass ich einen guten
Freund anrufe. Katja, wenn du mich brauchst ich bin in meinem
Arbeitszimmer, okay Liebling?«
»Was für einen Freund willst du
anrufen und was hast du vor, Papa?« Sarah erkannte ihren Vater
nicht wieder.
Er tat so, als wäre er Sherlock Holmes
persönlich. Jedes einzelne Wort musste sie ihm aus der Nase
ziehen und dieses geheimnisvolle Gehabe, was er nun veranstaltete,
brachte sie fast zur Weißglut. Dennoch war sie stolz auf ihren
Vater. Mit so viel Unterstützung von Seiten ihres Vaters hatte
sie weiß Gott nicht gerechnet.
Dann stieg Sarahs Vater mit eisernem Willen
die Treppen zu seinem Arbeitszimmer hoch. Dort angekommen, nahm er
sogleich den Hörer von seinem Telefon, das sich auf seinen
Schreibtisch befand und das eigens für seine geschäftlichen
Verbindungen bereitgestellt wurde. Stephan wählte die Nummer
eines alten Freundes, der ihm schon lange den einen oder anderen
Gefallen schuldig blieb, an.
»Hier bei Henning.«
»Grüß dich, Günter, wie
geht es dir, altes Haus, hier spricht Stephan Hübner?«
»Ah, Stephan, dass man dich wieder zu
hören bekommt grenzt schon an ein Wunder. Wie laufen denn die
Geschäfte?«
»So weit, so gut. Sag mal Günter,
kannst du mir einen Gefallen tun?«
»Aber klar doch Stephan, für dich
doch immer, ich habe nicht vergessen, dass ich dir einiges schuldig
bin. Um was geht es denn, was kann ich für dich tun?«
»Hä nur ne Kleinigkeit, ich möchte
dass du eine Person für mich über deinen Computer
überprüfst. Ich möchte wissen, ob die Person mit dem
Namen Peter Lenz vorbestraft ist. Außerdem will ich auch
wissen, ob sonst irgendwelche illegale Tätigkeiten in seinen
Akten vermerkt sind, also das ganze Paket. In Ordnung, Günter?
Wie lange wirst du dafür brauchen?«
»Stephan,
halt, nicht alles auf einmal. Du weißt doch, ich darf dir diese
Daten nicht geben, die stehen unter Datenschutz. Ich komme in
Teufels Küche, wenn das herauskommt. Das kann mir den Kopf
kosten.«
»Günter, ich weiß so gut wie du,
dass dies nicht legal ist. Aber was soll ich denn machen, es geht um
meine Tochter!«
»Was, um Sarah? Um Gottes Willen, ist ihr
etwas zugestoßen?«
Günter war nicht nur ein guter Freund der
Familie, sondern auch der Taufpate von Sarah. Und so war es nicht
verwunderlich, dass Sarah sein Spätzchen war, wie er sie immer
nannte.
»Aber nicht doch, Günter, so schlimm
ist es nun auch wieder nicht. Ich erkläre dir alles ein andermal,
okay?«
»Na dann ist ja gut, Stephan, und sonst
ist alles in Ordnung bei euch?«
»Ja, mach dir keine Sorgen. Was ist
denn nun, tust du mir den Gefallen und überprüfst mir
diese Person?«
»Okay, das ist aber das allerletzte
Mal, gib mir den Namen.«
»Du bist ne Wucht, Günter. Also, es
handelt sich um einen gewissen Peter Lenz. Und da wäre noch
Katja Moser. Willst du die genauen Adressen?«
»Nicht nötig, Stephan, die Namen
reichen mir schon. Einen Moment noch, du sprachst vorhin von nur
einem Namen und jetzt sind es schon zwei.«
Tja, da hatte Stephan seinen alten Freund ganz
schön ausgetrickst. Nun mal im Ernst, wichtig war für
Stephan nur der Bericht von Peter Lenz. Von Katja Moser, so dachte
er, konnte es ja nicht schaden, etwas mehr zu erfahren.
»Mensch Günter, jetzt hab dich doch
nicht so. Einen oder zwei Namen, was spielt denn das für eine
Rolle?«
»Was das für eine Rolle spielt,
fragst du, Stephan, ich glaube ich werd nicht mehr. Ich bin froh,
wenn sie mich nicht ertappen, und du tust so, als wäre das eine
einfache Sache. Ich werde noch mal verrückt mit dir.
»Das sagst du doch immer, Günter,
wenn ich dich um etwas bitte und am Ende hilfst du mir ja doch.«
»Ja, weil ich ein Dummkopf bin. Nun gut,
ich werde es für deine Tochter tun. Mach es gut, Stephan, ich
Faxe dir die Berichte so bald wie möglich zu, okay, und
grüße mein Spätzchen recht schön von mir.«
»Mach ich, Günter, und danke
nochmals, bis bald.«
Stephan ließ seine angestaute Luft
heraus, die er zwangsweise bei Günters Meckerei in sich hielt.
Erleichtert und sichtlich erfreut ließ sich Stephan auf seinen
Bürostuhl nieder, um seinen Erfolg zu genießen.
*
Gebannt und zugleich fasziniert sahen Norman
und Katja weiterhin dem Treiben des übermächtigen
Raumschiffes zu, von dem sie annahmen, dass es von den Dogon stammen
könnte. Ein Wunder der Technik offenbarte sich den beiden.
Trotz aller Faszinationen, die sich vor ihnen auftaten, verloren sie
ihre menschlichen Verhaltensweisen nicht, die ihnen deutlich
ein Signal zur Vorsicht gaben. Es lag in ihrer Natur, sich gegen
alles Neue und Fremde mit Vorsicht zu nähern. Doch trotz jeder
Gefahr, die sich den Menschen zu jeder Zeit und Stunde in den Weg
des Lebens legten, lag es auch in der menschlichen Natur, alles und
jedes zu Erforschen. Dafür gab es eine einzige Eigenart. Ohne
diesen ihm angeborenen Drang wäre der Homo sapiens, also der
Mensch, in seinem Fortschritt nicht so weit gekommen, wo er sich heute
befand. Ja, dieser unendliche Drang des Forschens wurde ihm in die
Wiege gelegt. Ein einzigartiger Einfall von Gott geschaffener
Natur.
»Norman, was sollen wir denn jetzt tun?«,
fragte Katja aufgeregt.
»Tun, was können wir schon tun?
Außer zu warten wird uns wohl nichts anderes übrig
bleiben.«, entgegnete Norman. Dennoch fühlte er
instinktiv, dass sich bald eine Rektion von den Dogon zeigen würde.
Und kaum hatte Norman es ausgesprochen, da begann das Raumschiff,
sich aus Normans Sicht eigenartig zu verhalten.
»Sieh doch, Katja, siehst du was ich sehe?«
Auf den ersten Blick fiel Katja nichts
ungewöhnliches auf. Doch auf den zweiten schon.
»Ah ja, Norman, du hast Recht. Das
Raumschiff leuchtet plötzlich nicht mehr so hell. Und da, schau
doch Norman, es beginnt zu ... Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben
soll. Es tut etwas.«
»Ja Katja, es pulsiert. Die Lichter, sie
leuchten mal stärker und mal schwächer.«
»Was das wohl zu bedeuten hat, Norman?«
»Ich weiß nicht, Katja, aber wenn das
uns gilt, werden wir es bestimmt bald erfahren.«
»Norman, ich fürchte mich so sehr!«
»Katja, du brauchst keine Angst zu
haben. Weißt du, wenn Sie uns was antun wollten, hätten Sie es
längst getan, das kannst du mir glauben.« Er hatte mit
seiner Vermutung Recht.
Noch waren die beiden sich nicht sicher. Sie
vermuteten nicht im entferntesten, dass dieser ganze Aufwand nur
ihnen galt. Und was sie auch nicht wissen konnten, ist die Tatsache,
dass sie bald die Dogon persönlich kennenlernen würden.
Norman und Katja beobachteten das Geschehen
aufs Genauste. Bis ihnen schließlich auffiel, dass eines der
abertausenden von Lichtern begann, sich auf sie zu richten. Dann
überflutete die beiden ein Meer voll Licht, das sich warm und
wohl anfühlte. Nun begann auch Norman, sich zu fürchten.
Dieses grelle Licht blendete die beiden so sehr, dass sie sich nicht
mehr sehen konnten. Und aus letzter Verzweiflung ertasteten sich die
beiden und krallten sich aneinander.
»Oh Norman,
schrie Katja aus tiefster Lunge. Was ist denn jetzt wieder los.«
Norman blieb wortlos und schmiegte sich an
Katja. Katja fühlte mit Norman und beide fielen in eine Art
Rausch. Plötzlich fiel pechschwarze Dunkelheit über sie
herein. Es war so dunkel, dass beide ihre Hände nicht vor den
Augen sehen konnten. Katja spürte noch immer Norman in ihren
Armen und umgekehrt. Verkrampft drückte sie ihn noch ärger
als sie es immerhin schon tat.
»Katja, ist ja gut, du kannst mich wieder
loslassen. Gieb mir deine Hand, dass wir uns nicht verlieren.«
Doch Katja ließ Norman nicht los. Der Schreck und die Angst
saßen ihr noch zu sehr in den Gliedern.
»Wo sind wir, Norman, und was ist
passiert?«
»Wenn ich das nur wüsste. Eines
ist sicher, wir befinden uns auf jeden Fall nicht da, wo wir gerade
waren.«
Da war sich Norman seiner Sache ziemlich sicher.
»Wo anders? Wie kommst du denn darauf?
Wir können doch überhaupt nichts sehen, es ist völlig
schwarze Nacht um uns herum.«
Tja, Katja hatte da noch einige Zweifel. Doch
Norman ist trotzdem etwas aufgefallen was ihr nicht auffiel.
»Katja, fühl doch mal auf was wir
da stehen. In unserem durchsichtigen Kraftfeld war alles weich
und dehnbar und jetzt ist der Untergrund auf dem wir stehen
knallhart oder habe ich nicht Recht?«
»Tatsächlich, Norman, es ist hart,
hart wie Stein.«
»Eher hart und kalt wie Eisen oder
Stahl.«
»Tatsächlich, Norman, du hast Recht,
es fühlt sich jedenfalls so an. Und wie ruhig es doch hier
ist.«
»Ja, für mich zu ruhig.«
Norman und Katja waren voller Spannungen, und
das mit Recht.
»Was machen wir denn jetzt, Norman.«
»Ach ich... Wieso fragst du immer mich,
woher soll ich denn das wissen.«
Katja schwieg nun und Norman bemerkte, dass
sie schmollte.
»Entschuldige, Katja, aber das ganze
wächst mir langsam über meinen Horizont hinaus.«
»Ist schon gut, Norman, ich kann das
alles allmählich auch nicht mehr begreifen. Weißt du, ich hatte
mir das alles auch ganz anders vorgestellt. Ich glaube, dass wir da
ganz schön ins Fettnäpfchen getreten sind, hoffentlich
kommen wir da wieder heil heraus.«
Und während beide sich in Zweifeln übten,
machten sich die Bewohner, also die Besatzung des gigantischen
Raumschiffes der Dogon, bereit, die beiden zu empfangen.
Noch immer saßen Norman und Katja in
völliger Dunkelheit zusammengekauert auf irgendeinem kalten
und glatten Boden. Was zu diesem Zeitpunkt beide nur vermuteten,
sie befanden sich längst nicht mehr in dieser künstlichen
Luftblase, sondern in einem leeren Frachtraum des Raumschiffes.
»Norman, sieh doch, es wird hell.«
»Ja, du hast Recht Katja, es wird hell.«
Erstaunt und zunächst wortlos guckten die beiden sich in
ihrer neuen Umgebung nach allen Saiten um.
»Norman Sieh doch, wir befinden uns
jetzt gar nicht mehr in der Luftblase.«, gab Katja sehr erregt
von sich.
»Ja, Katja, das hatte ich schon
vermutet.«
»Stimmt, Norman, das ist einzigartig.«
Nun konnten die beiden sich wieder in die
Augen sehen. Sofort begann Norman, alles zu inspizieren und zu
betasten. Er ging zu einem Ende des Frachtraumes und begann zum
anderen Ende mit großen Schritten abzulaufen, während er dabei
zählte.
»Eins, zwei, drei, vier, fünf,
se...«
»Norman, was tust du da?«
Manchmal fiel es Katja schwer, Normans Handeln
zu begreifen. Und doch fand sie Norman irgendwie süß und
lustig.
»Ich zähle.«
»Das sehe ich auch, aber warum zählst
du?«
»Nach was sieht es denn aus? In
Ordnung, wenn du es unbedingt wissen willst: Ich zähle den
Abstand zwischen den beiden Wänden.«
»Und wenn du diesen Abstand weißt, was
dann?«
»Na dann weiß ich eben den genauen
Abstand zwischen den beiden Wänden.«
Katja sah Norman so an, als würde sie
befürchten, er habe den Verstand verloren.
»Na, irgendetwas muss man doch tun. Wir
können doch nicht die ganze Zeit nur herumsitzen, nicht wahr?«
Die beiden begannen sich offensichtlich zu
langweilen. Mindestens eine halbe Stunde lang unterhielten sie sich
so weiter. Bis Katja und Norman schließlich eine
bekannte Stimme hörten.
»Lyr ist hoch erfreut, euch beide
wohlbehalten wiederzusehen.«
Norman und Katja warfen sich einen Blick zu,
der alles sagte. Plötzlich stand Lyr vor ihnen. Da stand er nun
in voller Lebensgröße, wenn man überhaupt von Leben
sprechen konnte. Es war das erste mal, dass sie ihn in ganzer
Statur zu Gesicht bekamen und das ohne seine geheimnisvollen
Auftritte, die von Nebel und Licht erfüllt wurden. Norman und
Katja waren bleich wie Kreide. Es war schwer zu begreifen, dass sie
offensichtlich einem künstlichen Wesen ihr Leben, ja ihre ganze
Existenz anvertrauten. Lyr sah aus wie ein Androide, also wie ein
Künstlicher Mensch. Es war erschreckend und doch zugleich
faszinierend. Der obere Teil sah fast wie ein Mensch aus. Doch der
untere Teil, also ab der Hüfte, eher wie ein, na ja es war
schwerlich zu beschreiben, eher wie ein Knäuel umhüllt von
einem Tuch das einer Kutte glich. Nun, im Endeffekt war es für
Norman und Katja nicht so wichtig. Wichtig war ihnen,
endlich etwas mehr über ihre Reise zu erfahren. Norman hatte
unendlich viele Fragen. Katja erging es auch nicht anders.
»Lyr, du? Wo hast du denn so lange
gesteckt, wir machten uns schon Sorgen. Also, ihr besitzt aber keine
sehr nette Art, eure Gäste zu behandeln. Und wieso sprichst du
plötzlich unsere Sprache so gut?«
»Beruhige dich, Norman, eins nach dem
anderen. Als erstes solltet ihr wissen, dass ich allein für
euch erschaffen wurde, dafür möchte ich euch nun danken.
Und zum zweiten könnt ihr nach Belieben über mich
verfügen. Und zum dritten, mein Volk lässt sich für
eventuelle Unannehmlichkeiten, die durch sie entstanden,
entschuldigen. Und um deine letzte ungeduldige Frage zu
beantworten, man hat mich noch im Bereich eurer Kommunikation
verbessert.«
»Lyr, befinden wir uns jetzt in eurem
Raumschiff.?«, erkundigten sich Norman und Katja fast zugleich.
»Gewiss, ihr befindet euch in unserem
Raumschiff. Ihr braucht euch nicht zu fürchten.« Lyr
sprach wie immer mit ruhiger und sanfter Stimme zu Norman und Katja.
Und es tat den beiden gut. Obwohl sie sich
ständig über ihn beklagten, dass er sie in letzter Zeit ein
wenig vernachlässigte, waren sie doch froh, ihn hier zu treffen.
Tausend Fragen hatten die beiden an Lyr und
keiner von beiden wusste so recht, wie er anfangen sollte.
»Lyr, willst du uns denn nicht endlich
über alles aufklären? Ich finde, du und dein Volk seid uns
eine Erklärung schuldig.«, forderte Norman von Lyr.
»Alles zu seiner Zeit. Folgt mir, ich
bringe euch nun in den Regenerationsraum.«
»In den Regenerationsraum?«,
wiederholte Norman.
»Ja, in den Regenerationsraum. Dort müsst
ihr unbedingt hinein, sonst würdet ihr die Reise nicht
überleben. Vor diesem Raum braucht ihr euch nicht zu fürchten.
Es wird nicht weh tun. Dort werdet ihr euch auf zwei Liegen legen, die für
euch bereit stehen, und einfach ein bisschen ruhen. Während
ihr ruht durchlauft ihr einen chemischen Prozess, der für
euch völlig ungefährlich aber unbedingt notwendig ist.«
Norman und Katja waren nicht gerade begeistert,
was die Dogon mit ihnen vorhatten, so dass Norman sich gleich
wieder zu Wort meldete.
»Hä, Lyr, ich will euch ja nicht
unbedingt in eure Lebensweise hineinreden, aber ich finde, das war
nicht gerade eine erleuchtende Erklärung.«
»Das finde ich auch.«, legte Katja
noch als Protestbeigabe hinzu.
»Ach ich
sehe schon, mit euch beiden habe ich ein schweres Los gezogen. Nun
denn, dann will ich euch erst einmal diesen chemischen Prozess
erklären. Also, der chemische Prozess findet in eurem Körper
statt und wird euch nur ein wenig verändern. Im Übrigen
werdet ihr so wie wir, mit einer ungeheuren Geschwindigkeit
konfrontiert. Dies hat dann zur Folge, dass sich in eurem gesamten
Organismus alles verändern und an die Gegebenheiten anpassen
wird. Das Blutbild, die Organe und vor allem das Gehirn ist einem
Zustand ausgesetzt, in dem ihr ohne unsere chemischen und
physikalischen Veränderungen sofort großen Schaden nehmen,
wenn nicht gar sterben würdet. Und genau aus diesem Grund muss
jedes Lebewesen, egal aus welcher Beschaffenheit es ist, in diese
Kammer. Ausgenommen von mir, da ich ja von künstlicher Natur
bin. Diese Kammer ermöglicht es uns, unseren Alltag auf dem
Raumschiff so zu führen, als wären wir zuhause auf unseren
Planeten. Unsere Körper brauchen genau die Schwerkraft wie die
euren. Außer dass wir euch um Jahrtausende voraus sind,
gleichen wir uns doch sehr.«
»Mann, dass ist toll und was ist mit der
Schwerkraft in euren Raumschiffen?«, fragte Katja begeistert
nach.
»Bemerkt ihr einen Unterschied, ich
meine, seht selbst. Ihr geht und bewegt euch ganz Normal. Genau wie
auf eurem Planeten, oder etwa nicht? Wir besitzen schon seit vielen
Jahrtausenten die künstliche Schwerkraft. Falls ihr
es vergessen haben solltet, ihr bewegt euch noch immer im Weltall.
Nur mit einem Unterschied, dass ihr in einem Raumschiff seid. Doch
nun wird es wirklich Zeit, ihr solltet jetzt in die Kammer gehen.
Denn in wenigen Stunden geht die eigentliche Reise erst richtig
los.«
»Lyr, darf ich dir noch eine Frage
stellen?«, fragte Norman mit großen und erstaunten
Augen ganz leise und fast geduckt wirkend.
»Natürlich, es dauert ja noch ein
wenig, bis wir den Regenerationsraum oder auch die Schlafkammer
erreichen werden.«
»Werden wir viele Dogon sehen und werden
sie uns mögen und wie sollen wir uns ihnen gegenüber
verhalten.«
Oh mein Gott, dachte sich Katja, als sie Norman
die ganzen Fragen herunterrasseln hörte und Lyr war anscheinend
auch nicht so begeistert.
»Ach du liebe Güte, Norman, du bist
aber flink in deiner Sprache. Im Übrigen waren es genau drei
Fragen. Ich dachte, du wolltest nur eine Frage stellen. Na ja,
Norman, ich kann dich gut verstehen und du kannst mir glauben, in
wenigen Stunden werden sich deine Fragen von ganz alleine
beantworten.«
Norman und Katja verstummten. Und während
sie die vielen Gänge, die ihnen wie ein Labyrinth vorkamen, mit
Lyr abliefen, kamen die beiden aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Sie durchliefen riesige Hallen, die vollgestopft und dennoch
koordiniert gleichmäßig und in allen nur erdenklichen
Formen und Gefilden mit Pflanzen aller Art sich darstellten. Blumen
und Pflanzen, die sich so wunderschön darboten, dass sie alles
andere was Norman und Katja bis jetzt gesehen hatten, in den
Schatten stellten. Sie sahen sich begierig in allen Richtungen um.
Es war eine wahre Pracht. Jeder moderne Haus- und Möbel-Dekorateur
oder Designer würden bei diesem Anblick vor Neid
erblassen. Norman fiel bei einer der großen Hallen auf, als er
nach oben sah, dass es mehrere Etagen gab, die in mehreren
Stockwerken aufgeteilt sind.
Katja drehte und wendete ihre Blicke in nur
allen erdenklichen Richtungen.
»Norman, sieh doch, sieh dir doch mal
diese Wände und Decken an. Mann, was das wohl für eine
Farbe ist? Also, ich kann diese Farbe nicht definieren, du etwa?«
»Ja Katja, du hast Recht, ich kann es
auch nicht, es sieht so... oder doch nicht. Vielleicht ist es ja
grün-bläulich. Ach was, das hat ja doch keinen Sinn, die
Farbe zu definieren.«
Norman und Katja folgten Lyr weiter, der so 2
bis 3 Meter voran ging oder? Genau konnten sie es nicht definieren,
denn Lyr umhüllte ab dem Becken eine Art Umhang oder Kutte.
»He, Lyr, warte doch mal. Kannst du mir
vielleicht sagen, was für eine Farbe eure Decken und Wände
haben?«, fragte Norman wissensbedürftig nach.
Lyr blieb stehen und sah Norman mit seinen leuchtenden und stechenden
Augen an.
»Wenn ich es euch erklären soll,
dann bräuchte ich mehr Zeit. Diese Zeit haben wir im Augenblick
nicht. Wie ich schon sagte, müsst ihr in die
Regenerationskammer. Danach, so verspreche ich euch, werde ich euch
jede Frage aufs Genaueste beantworten, einverstanden?«
Norman und Katja nickten mit einem Okay, so
dass es weitergehen konnte. Dann gingen sie auf einen großen
und hellen Raum zu, der anscheinend keine Tür oder so etwas
ähnliches besaß. Bis Lyr davor stehen blieb.
»Norman, die haben ja nirgends Türen
oder Fenster?«, stellte Katja verwundert fest.
»Ja, das ist mir auch schon
aufgefallen. Nun, ich kann ohne das alles leben.«
»Norman, ich doch auch, aber es wäre
doch schön, ab und zu durch ein Fenster die Sterne beobachten zu
können, finde ich jedenfalls.«
Dann meldete sich Lyr wieder, der ja fast die ganze Zeit kein
einziges Wort geredet hatte: »Was für ein Interessantes Völkchen
ihr Menschen doch seid. Euch beiden, wie mir scheint, entgeht doch gar
nichts. Dennoch, in dieser Hinsicht braucht ihr euch keine Sorgen zu
machen, wir haben eure Quartiere nach unserem besten Wissen so
eingerichtet, dass ihr glaubt, zu Hause zu sein. ihr werdet euch sehr
wohl fühlen. Ihr werdet auch Fenster und Türen haben, nur
dass ihr Sterne und nicht den gewohnten Blick sehen werdet. Aber
nun geht hinein, es ist Zeit. Dort inmitten der Kammer stehen zwei
Liegeplätze bereit, worauf ihr euch betten müsst. Ihr
werdet dann wohlbehütet ein paar Stunden einschlafen und wenn
ihr wieder erwacht, ist alles vorbei und ihr seid regeneriert.«
Norman hörte mal wieder einen Satz verlauten, der ihm keine Ruhe ließ.
»Lyr, eine
letzte Frage hätte ich noch. Ich verspreche dir, danach werden
wir in die Regenerationskammer gehen, okay?«
»Na schön, wenn es unbedingt sein
muss, aber das ist die allerletzte Frage.«
»Danke Lyr, ich wollte nur wissen, ob
unsere Quartiere, wie du sagtest, genau denen in unserem Zuhause
gleichen. Ich meine, ob alles bis aufs Genaueste übereinstimmt.«
»Ja, bis aufs I-Tüpfelchen, wie ihr
Menschen beliebt zu sagen. Ihr beide bekommt die gleichen Räume
wie Zuhause.«
Das konnte Norman nicht glauben, so dass er
lieber noch einmal nachfragte um sich zu vergewissern, dass er sich
nicht verhört hatte: »Lyr, du meinst alle Räume?
Wohnzimmer, Schlafzimmer usw.?«
»Ja, Norman, es ist alles so eingerichtet
wie euer Zuhause, sogar dein Tagebuch kannst du weiterführen,
das du immer auf dem Speicher vor deiner Frau und den Kindern versteckt
hast, nachdem du einen Eintrag machtest. Es ist wirklich alles
haargenau nachgebildet worden.«
»Was, mein Tagebuch, also wie finde ich
denn das? Ihr scheint wirklich alles zu wissen. Doch das mit dem
Tagebuch finde ich nicht sehr nett von euch, das will ich nur mal
gesagt haben, Lyr.«
»Tja, Norman, wir dachten uns nichts
dabei. Möchtest du, dass wir dein Tagebuch weglassen. Ist das
dein Wunsch?«, fragte Lyr.
» Nein, nicht nötig, Lyr. Ich möchte es behalten.«
Und Lyr sah mit seinen bläulich
stechenden Augen die beiden an, ein Zeichen, dass es Zeit wurde für
die Regenerationskammer.
»Also schön, komm Norman, gehen wir
hinein, bringen wir es hinter uns. Es wird schon schief gehen.«, sagte Katja.
»Es wird nichts schief gehen, das könnt
ihr mir getrost glauben.« Norman sah mit einem
leichten Lächeln Katja an.
Sie begriffen
längst, dass diese Dogon nicht alles wissen. Lyr hatte nicht
begriffen, dass mit dem Satz "Wird schon schief gehen" nur ein
allgemeiner Spruch gemeint war. Dann, als sie sich in der
Regenerationskammer befanden, sahen sich Norman und Katja die beiden
Liegen genauer an, auf die sie sich legen sollten. Diese Liegen
waren aus Stein, sie sahen zumindest so aus, ja, wie Marmor,
grüngelblicher geschliffener und polierter Marmor. Und es
befand sich auf der Oberfläche eine Vertiefung, ungefähr
der Höhe unserer Oberkörper Breite. Ja, es hatte die Form
einer kantigen, grün-gelblichen Badewanne. Und über, ja
fast an der Decke hängend, befanden sich große
rubinfarbene Kristalle, die eine wabenähnliche Form aufwiesen.
Zuerst legte sich Norman in diese, nun man könnte sie auch als
sarkophagähnliche Liege bezeichnen, hinein. Wobei er Katja
auffordernd ansah, das gleiche zu tun. Als dann beide ruhig
dalagen, veränderten sich die Lichtquellen der Kammer in
tausenden von Lichtfarben. Katja sah in die rubinfarbenen Kristalle,
die sich nun auch in vielen Farben veränderten und dabei ein
Lichtspiel veranstalteten, dass es eine Wonne war, in sie
hineinzusehen. Dann verspürte sie eine wohltuende Wärme,
die geradewegs zum Einschlafen aufforderte. Auch Norman war
gefangen von dem Schauspiel der Kristalle und dem Spiel des Lichtes,
so dass es ihm schwerer und schwerer fiel, die Augen offen zu
halten. Norman und Katja schliefen ein. Und während sie
schliefen, wachte Lyr vor dem Eingang der Regenerationskammer.
*
Währenddessen:
Nur vier Etagen höher erstreckte sich ein riesiger Raum von der Größe eines
Fußballfeldes. Etwa 800 Dogon saßen in Reih und Glied
auf ihren Rängen. Vorneweg ein Führer der Dogon, der zu
ihnen sprach.
»Dakwahe etua anchan us Motweh, Erdlinge nachebnuh.«
»So lange unsere Erdengäste bei
uns verweilen, werden wir vor ihrem Angesicht nur noch ihre Sprache
sprechen. Es ist somit strikt verboten, in unserer Heimatsprache zu kommunizieren, wie
wir es eigentlich gewohnt sind. Wir sollten doch
alles tun, dass sich unsere Besucher nicht fremd fühlen.
Vergesst nicht, dass es in ihrer Macht liegt, unseren Untergang zu
verhindern. Auch wenn sie sich ihrer Macht noch nicht bewusst sind
und noch viel von uns lernen müssen. Seid stets freundlich und
weilt in Freundschaft und Liebe mit ihnen. Versucht so gut es geht
ihre Wünsche zu erfüllen, sofern diese Wünsche für
uns keine Gefahr darstellen. Nun, da sie genau wie wir
mit ein paar geistigen Eigenschaften geschaffen sind, stellt es
kein sonderliches Problem dar, wenn sich einige von uns vielleicht
zu den beiden Erdlingen hingezogen fühlen sollten. Es wäre
nur von Vorteil, wenn sich ihre mit der unseren Macht vereinigen
würde. Sollten Norman oder Katja durch irgendeine
Vernachlässigung seitens unserer Schuld etwas zustoßen,
haben sich diejenigen zu verantworten. So wird er oder sie
unwiderruflich und für immer und ewig aus unseren Reihen in die Konnischta (den Raum
der Verlorenen Seelen) verbannt werden. Was
dies für denjenigen bedeutet, ist euch allen klar. Wir leben als
Ganzes miteinander, seid euch dessen stets bewusst. Nun, meine
lieben Brüder und Schwestern, lasst uns nun die Vorbereitungen
für den Empfang unserer zukünftigen Retter treffen. Und
vergisst nicht, so wie uns Androide Lyr bereits berichtete, haben die
beiden Menschlinge uns bereits einen neuen Namen gegeben. Ihr Wunsch
wird daher erfüllt werden, sie gaben uns den Namen Dogon.«
Ja, das war einmal mehr ein bedeutendes
Ereignis für die Dogon. Schon zwei mal brachten sie vier Menschen zu
ihrem Planeten, von denen sie glaubten,
dass es die Auserwählten waren. Doch es war jedesmal zum Scheitern verurteilt.
Diese Erstlinge, wie sie die Dogon beschrieben, besaßen
durchaus geistige und phänomenale Eigenschaften, wie zum
Beispiel Vorahnungen oder erlebten rätselhafte Träume.
Doch das erwies sich als unbrauchbar, weil sie von ihren Ahnen
vererbt wurden. Ja, was Norman und Katja nicht wussten, als sie
in die Regenerationskammer gingen, war, dass, wenn sie nicht rein in
ihrem Ganzen waren, die Regenerationskammer nicht hätten
überleben können. Mittlerweile entschieden dies schon die
ersten zwei bis drei Minuten beim Aufenthalt in dieser Kammer. Durch
diese Umänderung der Regenerationskammern waren sich die Dogon
absolut sicher, dass sie diesmal die zwei Richtigen gefunden hatten
und das von Milliarden von Menschen, schon beachtlich nicht wahr?
Also, das dritte Mal waren Sie sich ihrer Retter hundertprozentig
sicher.
Warum und was es mit der Reinheit zum Retten
ihres Planeten auf sich hatte, erfahren wir, wenn es so weit ist.
Nun schauen wir einmal, wie es Norman und Katja geht.
Kapitel 4, Reise in ferner Zeit
Anfang und Kapitelübersicht
© 2012 by Peter Althammer
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